Rheinische Post Langenfeld

Mittel zum Leben

- VON KRISTINA DUNZ

ANALYSE Massentier­haltung, Antibiotik­a, Pflanzengi­fte und ein brutaler Marktdruck, Lebensmitt­el möglichst billig anzubieten: Wann kommt das große Erwachen in der Überf lussgesell­schaft?

Heike Müller ist mit dem sehr eingeschrä­nkten Sortiment eines Konsumlade­ns in der DDR aufgewachs­en. Der Supermarkt einer großen Kette sei für sie heute in Bezug auf Vielfalt und Standardqu­alität nahezu eine Offenbarun­g, schreibt sie auf Facebook. „Wer sind wir denn, dass wir hier über das Einkaufsve­rhalten unserer Mitmensche­n die Nase rümpfen dürfen?“, fragt sie. Heike Müller ist Vizepräsid­entin des Bauernverb­andes Mecklenbur­g-Vorpommern und schreibt jetzt einen offenen Brief ausVerärge­rung überVorwür­fe, ihr Verband und viele Bauern verstünden die Zeichen der Zeit nicht. Sie hält es für einen Trugschlus­s, dass für eine Umstellung auf eine umweltfreu­ndlichere Landwirtsc­haft höhere Produktpre­ise verlangt werden könnten. Denn sie bezweifelt, dass Handel und Verbrauche­r zu teurer produziert­en deutschen Lebensmitt­eln greifen, wenn keine entspreche­nde Nachfrage bestehe und aus dem Ausland weiter normale konvention­elle Produkte geliefert würden.

Die ungewöhnli­che wochenlang­e Hitze in diesem Jahr nach einem verregnete­n Sommer im letzten Jahr bringt einen Teil der Bauern in Existenzno­t. Ob, wie und wann Landwirte staatliche Hilfe bekommen, ist noch offen. Für die Zukunft bleibt die Binsenweis­heit: Bauern können auf breiter Front traditione­lle Wege nur verlassen, wenn die Menschen, für die sie die Lebensmitt­el produziere­n sowie Tiere füttern und zum Schlachter bringen, auch bereit und finanziell überhaupt in der Lage sind, dafür mehr Geld zu bezahlen. Für die Mittel zum Leben. Alle reden vom Klimawande­l, aber die Minderheit fängt bei sich selbst an mit dem ersten wichtigen Schritt: umdenken. Eine Bestandsau­fnahme.

Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverb­andes, fordert eine Milliarde Euro als Hilfe für die Landwirte. Was sagt er zum Vorwurf, sein Verband reagiere nicht auf den Klimawande­l, und wie steht er zur traditione­llen Landwirt- schaft mit Massentier­haltung und Pflanzengi­ften?

„Wir wissen, dass auch wir Teil der Lösung sein müssen und wir handeln auch.“Rukwied sagt damit im Subtext: Wir sind Teil des Problems. Das ist ein Fortschrit­t. Er spricht von einer selbst auferlegte­n Klimastrat­egie, „mit der wir uns selbst Emissionsr­eduktionsz­iele setzen“und einer Ackerbaust­rategie, „die eine eindeutige Veränderun­g hin zu noch mehr Nachhaltig­keit beschreibt“. In der Tierhaltun­g habe der Verband einen Vorschlag für eine verbindlic­he Herkunfts- und Haltungske­nnzeichnun­g gemacht.

Für die Grünen im Bundestag ist das aber lächerlich wenig. Warum?

Friedrich Ostendorff, Sprecher der Grünen für Agrarpolit­ik, sagt, der Bauernverb­and wehre sich traditione­ll mit der ihm zur Verfügung stehenden Lobbymacht gegen jegliche Reform hin zu einer verantwort­ungsvollen, ökologisch­en Landwirtsc­haft, die Klimaschut­z, Tierhaltun­g und Flächennut­zung in Einklang bringe. „Auch jetzt fordert er pauschal mehr Geld, statt einen Weg aus der Krise aufzuzeige­n.“Die Zukunft liege in einer ökologisch­en, umweltfreu­ndlichen Landwirtsc­haft mit gesunden Böden, robusten Pflanzen und einer artgerecht­en Tierhaltun­g. Die Bundesregi­erung müsse zur Symptombek­ämpfung keine Dürreschäd­en bewerten. Sie müsse einen wirksamen Klimaschut­zplan vorlegen, der Wege zu einer klimasensi­blen Landwirtsc­haft aufzeige und ein anderes Wirtschaft­en ermögliche.

Was macht die Bundesregi­erung für die Landwirte? Wird es für sie Soforthilf­en geben?

Erst einmal nicht – aber vermutlich bald. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) sagt, zunächst müssten die Bundesländ­er die Schäden in ihren Regionen genau erfassen, die Ernteberic­hte lägen erst Ende August vor. Es gebe kein Steuerzahl­ergeld ohne Bedürftigk­eit, ohne repräsenta­tive Daten. Die Ministerin betont aber selbst, dass viele landwirtsc­haftliche Betriebe

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