Ein bisschen Thyssenkrupp-Chefaufseher
Der Gewerkschafter Markus Grolms übernimmt heute kommissarisch die Geschäfte des Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Suche nach Nachfolgern für Ulrich Lehner und Heinrich Hiesinger dauert an.
ESSEN Als es im Januar 2015 zur Machtprobe zwischen Volkswagen-Chef Martin Winterkorn und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch kam, da war es ein Gewerkschafter der sich urplötzlich in einer ungewohnten Rolle wiederfand: Berthold Huber, der frühere IG-Metall-Chef, wurde nach Piëchs Rücktritt zum kommissarischen Aufsichtsratschef berufen. Vorübergehend führte der damals 65-Jährige in einer extrem schwierigen Phase die Geschäfte des Kontrollgremiums, ehe im Oktober Hans Dieter Pötsch offiziell an die Aufsichtsratsspitze gewählt wurde.
Der Vergleich mit den Wolfsburgern liegt nahe, wenn man in diesen Tagen den Blick nach Essen richtet: Beim Industriekonzern Thyssenkrupp warf Anfang Juli erst Vorstandschef Heinrich Hiesinger im Streit um die Ausrichtung des Traditionskonzerns hin. Wenige Tage darauf folgte Aufsichtsratschef Ul- rich Lehner Hiesingers Beispiel. Das Führungschaos bei Thyssenkrupp war perfekt. Beide Manager begründeten ihren Schritt mehr oder weniger direkt mit fehlendem Rückhalt im Aufsichtsrat.
Mit Lehners Rückzug begann die Uhr zu ticken: Bis Dienstagabend hatten die Aufsichtsräte Zeit, sich auf einen Nachfolger aus den eigenen Reihen zu einigen – angesichts der Konflikte ein Ding der Unmöglichkeit. Entsprechend greift nun ein Automatismus: Der von der Gewerkschaft entsandte Stellvertreter übernimmt bis auf Weiteres die Geschäfte. Im Fall von Thyssenkrupp ist dies der aus Wesel stammende Markus Grolms, Jahrgang 1971. Der Gewerkschafter hatte Hiesingers und Lehners Abgang vor wenigen Tagen scharf kritisiert: „Manager können wegrennen. Unsere Leute in denWerken undVerwaltungen können das nicht“, hatte Grolms gesagt. Jetzt ist es an ihm selbst, zwischen den Lagern im Aufsichtsrat zu vermitteln. Ein Vorsitzender im Sinne der Montanmitbestimmung ist er dabei allerdings nicht. Für gewöhnlich haben Aufsichtsratsvorsitzende in Patt-Situationen ein doppeltes Stimmrecht. Dieses Privileg bekommt er nicht.
Grolms hat berufsbegleitend an der Fern-Universität Hagen Sozialpsychologie, Politikwissenschaften und Jura studiert. 2007 schlug er die Laufbahn eines hauptamtlichen IG-Metall-Funktionärs ein – zunächst als Trainee in der Frankfurter Vorstandsverwaltung, 2008 holte ihn NRW-Bezirksleiter Oliver Burkhard, heute Personalvorstand bei Thyssenkrupp, als Projektleiter nach Düsseldorf. Im gleichen Jahr zog Grolms in den Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG ein.
Wie lange er seine neue Rolle ausfüllen wird, ist unklar. Im Falle von VW war Huber ein halbes Jahr im Amt. Das Unternehmen kann für die Nachbesetzung von Lehners Sitz einen Kandidaten vorschlagen, das Amtsgericht Duisburg oder Essen entscheidet nach Gesprächen mit den Aufsichtsratsmitgliedern über dessen Berufung. Um an die Spitze des Gremiums gewählt zu werden, ist eine Zweidrittel-Mehrheit nötig.
In welch schwierigem Umfeld Grolms seine neue Aufgabe antritt, zeigt der am Dienstag nach unten korrigierte Ausblick für das laufende Geschäftsjahr. Hintergrund sind höhere Kosten im dritten Quartal für mehrere Großprojekte in der Anlagenbau-Sparte (Industrial Solutions), die Interimschef Kerkhoff jüngst als „Sorgenkind“bezeichnet hatte. Das belastet die Konzernprognose für das Gesamtjahr. Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern werde nun bei rund 1,8 Milliarden Euro (Vorjahr: 1,722 Milliarden Euro) liegen und damit am unteren Rand der bisher in Aussicht gestellten Bandbreite von 1,8 bis zwei Milliarden Euro, teilte Thyssenkrupp mit. Auf die Sparte kommen weitere Sparmaßnahmen zu.