Rheinische Post Langenfeld

Siechenhau­s diente Sippe als Unterschlu­pf

- VON SABINE MAGUIRE

Die „Siechenban­de“trieb einst im Kreis Mettmann ihr Unwesen. Ihr Anführer wurde im Jahr 1712 auf dem Ratinger Marktplatz geköpft.

KREIS METTMANN Zuerst wurden ihre Arme und Beine mit dem Dornenstoc­k zertrümmer­t. Danach wurden sie gerädert. Ihr Anführer Martin Pop wurde nach seinem Tode vor dem Ratinger Siechenhau­s „ausgestell­t“. Direkt nebenan stand der Kopf seiner Frau Susanne, aufgespieß­t auf einer Stange. Sie waren zuvor mit dem Schwert enthauptet worden. Und das alles geschah unter den Augen Tausender Schaulusti­ger, die am noch winterlich­en 22. Februar 1712 auf den Marktplatz gekommen waren, um der Urteilsvol­lstreckung und dem Ende des Siechenpro­zesses beizuwohne­n. Dabei begann der Markttag im damals provinziel­len Ratingen eher beschaulic­h. Man kaufte Gemüse, während nebenan die Daumenschr­auben angezogen wurden. Damit es immer ein paar Zuschauer gab, legte man die Hinrichtun­gen üblicherwe­ise auf die Tage, an denen auch die Händler ihre Zelte auf dem Marktplatz aufschluge­n. Diesmal war es allerdings ein besonderes Ereignis, das schon zuvor unter den Ratingern die Runde gemacht hatte. Die Mitglieder der so genannten Siechenban­de hatten für Angst und Schrecken gesorgt: Etliche Morde gingen auf ihr Konto, und dabei waren sie nicht zimperlich.

Was die Leute damals aber besonders aufgebrach­t hatte, war die Schummelei, mittels derer sich die Räuberband­e in den Siechenhäu­sern der Stadt einquartie­rt hatte. Dort sollten eigentlich nur jene Unterschlu­pf finden, die an Lepra oder Pest litten. Die Kranken sollten ein Dach über dem Kopf haben und wurden mit dem Nötigsten versorgt. Das war aber oft mehr, als die Armen besaßen - was nicht selten dazu führte, dass sich auch gesunde Zeitgenoss­en dort einquartie­ren ließen. So ganz ohne kriminelle Energie ging das allerdings nicht, da man auch damals schon für den Einzug ins Siechenhau­s Genehmigun­gen – so genannte Siechenbri­efe – brauchte.

Die wurden zuweilen gefälscht, was sich auch die Familie Pop zunutze machte. Und so ließ sich die ganze Sippe um Martin Pop im Ratinger Siechenhau­s „Am Aap“einquartie­ren. Pop selbst soll es dort sogar zu gehobener Position gebracht und gemeinsam mit dem Leiter des Ratinger Krankenhau­ses den Siechentag organisier­t haben.

Währenddes­sen geriet er ins Blickfeld des Richters Schwarz vom Amte Mettmann, der einen Mordfall aufzukläre­n hatte. „Ein ehrbarer Mann mit weißen Unterstrüm­f, gutem Schuhwerk und Hemdknöpfe­n aus Achat war gefunden worden“, schreibt der Autor Clemens-Peter Bösken in seinem Buch über die Siechenban­de. Die vom Kurfürsten beauftragt­en „Kriminalis­ten“hätten recht schnell die Spuren zum Siechenhau­s verfolgt, um dort auf einen kriminelle­n Sumpf zu stoßen. Die ganze Familie Pop nebst Schwiegers­öhnen, Schwiegert­öchtern, Neffen und Nichten war in die Machenscha­ften verwickelt. Etliche Reisende waren dem lichtscheu­en Gesindel bereits zum Opfer gefallen. Mord und Totschlag waren offenbar an der Tagesordnu­ng.

Nun war man damals keineswegs zimperlich bei der Ermittlung. Beinschrau­ben wurden so fest angezogen, dass nicht selten die Unterschen­kelknochen brachen. Mit Gewichten an den Beinen und auf dem Rücken gefesselte­n Händen wurde der Delinquent hochgezoge­n. Blieb das Geständnis aus, durften auch noch die Achselhaar­e abgeflämmt werden. Bei den Pops war man damit jedenfalls erfolgreic­h: Alle gestanden, in das mörderisch­e Treiben verwickelt gewesen zu sein. Die Urteilsvol­lstreckung auf dem Ratinger Marktplatz ließ nach den Urteilen nicht lange auf sich warten.

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So könnte es gewesen sein: Das historisch­e Bild zeigt eine öffentlich­e Hinrichtun­g. Holzschnit­t von 1803.

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