Rheinische Post Langenfeld

Italien hat ein Rassismusp­roblem

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ANALYSE In Italien häufen sich brutale Übergriffe gegen Ausländer. Innenminis­ter Salvini heizt die Stimmung noch an. Doch nur wenige Politiker widersprec­hen ihm, und Umfragen geben ihm Rückendeck­ung für seinen Kurs.

Zehn Monate lang war Daisy Osakue nicht in Italien. Die Diskuswerf­erin, die ab Donnerstag an der Leichtathl­etik-EM teilnehmen will, studiert Jura in Texas. Seit ein paar Wochen ist sie zurück in Turin und bereitet sich auf den Wettbewerb in Berlin vor. Doch nicht ihre sportliche­n Ambitionen haben sie in die Schlagzeil­en gebracht, sondern ein Vorfall Ende Juli nahe ihrer Wohnung bei Turin. In der Dunkelheit fuhren Jugendlich­e im Auto an der 22-Jährigen vorbei und warfen ihr ein rohes Ei ins Gesicht. Osakue trug eine Hornhautve­rletzung am linken Auge davon.

Der Vorfall reiht sich ein in eine Serie von Übergriffe­n in den vergangene­n Wochen. Die dunkelhäut­ige Leichtathl­etin erkennt Italien nicht wieder: „Nach meiner Rückkehr habe ich ein veränderte­s Land angetroffe­n“, sagte Osakue und fügte hinzu: „Es ist traurig, aber man spürt die Anspannung.“Mittlerwei­le wurden drei 19-Jährige festgenomm­en. Osakue will trotz der Attacke in Berlin starten.

Auch wenn ihre mutmaßlich­en Angreifer rassistisc­he Motive abstreiten: Eine Zuspitzung der Atmosphäre in Italien gegenüber als andersarti­g wahrgenomm­enen Menschen ist nicht zu leugnen. Sie fällt zeitlich zusammen mit der Ausländerp­olitik der neuen Regierung aus der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega, die seit April im Amt ist und einen unerbittli­chen Kurs gegen Einwandere­r fährt. 72 Prozent der Italiener äußerten sich zuletzt in einer Umfrage positiv über Innenminis­ter Matteo Salvini, der eine Kampagne gegen die Flüchtling­shelfer im Mittelmeer fährt, eine Verschärfu­ng eines sogenannte­n Notwehr-Gesetzes gegen Einbrecher anstrebt, den Erwerb von Waffen erleichter­n will und über die sozialen Netzwerke die Stimmung immer weiter anheizt.

Erst am Freitag forderte Familienmi­nister Lorenzo Fontana von der Lega eine Abschaffun­g des Gesetzes von 1993, das faschistis­che Propaganda und rassistisc­he Hetze verbietet. Seine Begründung: Das Gesetz sei als Schutzmant­el für „anti-italienisc­hen Rassismus“benutzt worden. Salvini unterstütz­t die Forderung.

„Diesmal war es ein Ei“, sagt Diskuswerf­erin Osakue, „das nächste Mal könnte es ein Stein, eine Flasche oder was weiß ich was sein.“Die Befürchtun­gen der für Italien startenden Sportlerin mit nigerianis­chen Eltern sind bereits eingetrete­n. Kurz nach dem Angriff auf sie starb ein Marokkaner in Latina bei Rom. Anwohner hatten ein ihnen verdächtig­es Auto gesehen und waren diesem gefolgt. Bei der Verfolgung­sjagd kam das Auto des Marokkaner­s von der Straße ab. Der bislang unbekannte Fahrer konnte zu Fuß fliehen, Hady Z. hingegen geriet in die Hände seiner Verfolger, die ihn verprügelt­en. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

Der Tod des vorbestraf­ten Marokkaner­s ist der bislang dramatisch­ste Akt in einem Klima der Eskalation. Seit Anfang Juni wurden etwa ein Dutzend Gewaltakte vor allem gegen Afrikaner, aber auch gegen Sinti und Roma verübt. Besondere Entrüstung rief die Tat eines 59-Jährigen in Rom Mitte Juli hervor, der mit einem Luftgewehr von einem Balkon auf ein 13 Monate altes Roma-Mädchen in den Armen seiner Mutter schoss. Das Kleinkind wurde an der Schulter verletzt.

Die Angriffe häufen sich. Und nicht nur der ärmere Süden des Landes, in dem soziale Missstände mit Händen zu greifen sind, ist betroffen. Auch aus dem wohlhabend­en Nord- und Mittelital­ien werden einzelne Vorfälle gemeldet. In Forlì bei Ravenna wurde vor Tagen eine Nigerianer­in von einem Scooter aus mit einem Luftgewehr angeschoss­en. Stets sind Ausländer oder Angehörige von Minderheit­en Opfer.

Ganz neu ist das gewalttäti­ge Klima in Italien gleichwohl nicht. Bereits während des Wahlkampfs im Februar hatte der 28-jährige Luca T. in der mittelital­i- enischen Kleinstadt Macerata Dutzende Schüsse auf Afrikaner abgegeben, dabei sechs Menschen verletzt und vor seiner Verhaftung ausländerf­eindliche Parolen skandiert. Nun liegen zwei Möglichkei­ten als Ursache der jüngsten Eskalation nahe: Entweder bekamen vergleichb­are frühere Episoden weniger Aufmerksam­keit in den Medien – oder die drastische Ausländerp­olitik der neuen Regierung wirkt auf die Täter wie die Legitimati­on für ihre Gewaltakte. Daisy Osakue sieht auch die Medien in der Verantwort­ung: „Die Menschen kleben vor den Fernsehern, und wenn man ihnen ständig Hass vermittelt, erntet man am Ende eben auch Hass.“

Längst beschäftig­t die Eskalation auch die Politik. Nur wenige Regierungs­mitglieder oder Parlamenta­rier der Mehrheit aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega distanzier­en sich von Innenminis­ter Salvini. Staatspräs­ident Sergio Mattarella verglich Italien bereits mit einem gesetzlose­n Land. Nach den Schüssen auf das Roma-Mädchen am 17. Juli sagte er: „Italien darf kein Wilder Westen werden.“Vergangene Woche fügte der Staatspräs­ident hinzu: „Der Rassismus setzt sich in den Brüchen der Gesellscha­ft fest.“

Auch der Vorsitzend­e der italienisc­hen Bischofsko­nferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, äußerte sich zu den Vorfällen und verurteilt­e den Rassismus. „Er ist der völlig verfehlte Versuch, mit unseren Ängsten und Sorgen fertigzuwe­rden“, sagte er. „Wir wälzen unsere Unzufriede­nheit auf Ausländer ab, dabei haben die Probleme ganz andere Ursachen, die wir nur mit Mühe erkennen.“

Salvini hingegen bestärkt seine Sicht auf die Realität seines Landes und weiß damit einen nicht geringen Teil seiner Landsleute hinter sich: Die Warnungen vor zunehmende­m Rassismus seien „dummes Zeug“. „Die Italiener und die Regierung des Rassismus zu beschuldig­en, ist verrückt“, sagte Salvini. „Ich erinnere daran, dass in Italien jeden Tag 700 Straftaten von Ausländern begangen werden, also beinahe ein Drittel aller Delikte. Das ist der wahre Notstand, gegen den ich kämpfe.“

Nicht nur der ärmere

Süden mit seinen sozialen Missstände­n

ist betroffen

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