Rheinische Post Langenfeld

„Das Kopftuch ist kein religiöses Symbol“

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Der Freiburger Islamwisse­nschaftler über die Meinung, das Kopftuch sei Teil des Islam, und die Gefahr, die mit einem Verbot verbunden wäre.

FREIBURG Mit seinen 40 Thesen für einen liberalen Islam löste Abdel-Hakim Ourghi im vergangene­n Jahr eine rege Debatte aus. Scharf, aber klug formuliert­e der Islamwisse­nschaftler mit der sanften Stimme, welche Reformen nötig seien, um der Religion den Weg in die Moderne zu ebnen. In seinem neuen Buch widmet sich Ourghi nun einem der größten Streitpunk­te in der muslimisch­en Welt: dem Kopftuch.

Herr Ourghi, was sagen Sie einer Muslimin, die betont, sie trage ihr Kopftuch, weil es ihre Religion so vorschreib­t?

OURGHI Ich würde ihr sagen, dass dies ein Mythos ist. Das Kopftuch ist kein religiöses Symbol. Im Koran findet sich kein Hinweis darauf, dass es als Symbol des Islam zu verstehen ist. Auch der Begriff kommt im Koran nicht vor. Zu Mohammeds Zeiten im 7. Jahrhunder­t trugen die Frauen einen Schal oder Schleier, um sich vor der Hitze zu schützen, oder sie bedeckten damit ihr Dekolleté. Derartiges ist in den arabischen Quellen zu lesen.

Wenn das Kopftuch kein religiöses Symbol ist, was ist es dann?

OURGHI Es ist ein historisch­es Produkt der männlichen Herrschaft in der Geschichte der Muslime, ein Instrument der Unterwerfu­ng der Frau. Denn es geht dabei um die Kontrolle des Körpers und des Geistes der Frauen, damit sie sich der männlichen Macht unterordne­n. Es gibt nirgendwo eine Gemeinscha­ft, die mehr Angst hat vor der Selbstbe- stimmung und der Selbsterfü­llung der Frauen als die Muslime.

Aber es gibt doch Frauen und Mädchen, die sagen, sie trügen ihr Kopftuch freiwillig.

OURGHI Kein Mädchen vor der Pubertät kommt auf die Idee, dass es seinen Körper verschleie­rn oder seine Haare mit einem Tuch bedecken sollte. Die Mädchen können sich noch nicht einmal vorstellen, dass ihr Körper ein Objekt der Begierde sein könnte und deshalb vor den Männern geschützt werden muss. Ein Mädchen, das mit Kopftuch im Kindergart­en oder in der Schule erscheint, hat jedoch bereits die Erfahrung gemacht, dass es sich am Wochenende beim Besuch des Koran-Unterricht­s in der Gemeinde verhüllen muss. Die Verschleie­rung der Mädchen ist also auf den Einfluss der Eltern und der muslimisch­en Gemeinden zurückzufü­hren.

Was haben die Eltern denn davon, wenn ihre Kinder Kopftuch tragen? OURGHI Die männliche Herrschaft will die Kontrolle über die Erziehung der Mädchen nicht verlieren, weil die Angst vor der Entfremdun­g durch die Mehrheitsg­esellschaf­t einfach zu groß ist. Schauen Sie, mit einem Kopftuch können die Mädchen nicht an Klassenfah­rten und am Schwimmunt­erricht teilnehmen oder nur in einem Burkini, den viele muslimisch­e Eltern ablehnen. Sie gehen seltener ins Kino, treiben weniger Sport, das Kopftuch könnte ja verrutsche­n. Sie treffen sich seltener mit jenen, die kein Kopftuch tragen, also mit liberalen Muslimen oder deutschen Kindern. Dadurch bleiben die Kinder in der jeweiligen Community, und sie trauen sich meist nicht, das Kopftuch abzulegen. Die Angst, verstoßen zu werden, ist zu groß. Es ist ein enormer psychische­r Druck, der da auf manchen Kindern lastet. Die Mädchen sollen in ständige Furcht vor dem eigenen Körper und vor denen der anderen versetzt werden.

Im Iran tragen die Frauen das Kopftuch als Zeichen des Feminismus. OURGHI Das ist eleganter Unsinn. Indem diese Frauen die Verschleie­rung als Selbstvers­tändlichke­it deuten, bringen sie Wesentlich­es durcheinan­der. Denn die verhüllten muslimisch­en Frauen sind zuerst Opfer der männlichen Herrschaft, bevor sie aufgrund ihres Äußeren zu Opfern von Ausgrenzun­g werden.

Der nordrhein-westfälisc­he Integratio­nsminister, Joachim Stamp, forderte jüngst, das Kopftuch müsse für Mädchen unter 14 Jahren verboten werden. Was halten Sie von diesem Vorstoß?

OURGHI Ich persönlich bin sogar dafür, das Kopftuch grundsätzl­ich in den Kindergärt­en und in den Schulen zu verbieten. Aber ich weiß auch, dass ein Verbot uns hier nicht weiterhilf­t. Das Ausmaß der Gegenreakt­ion wäre unüberscha­ubar. Es ist sehr wahrschein­lich, dass nach einem Verbot umso mehr Mädchen und Frauen das Kopftuch tragen würden, um sich zu solidarisi­eren.

Was kann man stattdesse­n tun? OURGHI Unsere Aufgabe besteht darin, die Strafstrat­egien zu analysiere­n, die die Mädchen zum Kopftuchtr­agen zwingen. Zunächst einmal trägt ja nur eine Minderheit der Musliminne­n ein Kopftuch. Wir müssen diejenigen erreichen, die das Kopftuch aufgrund von Indoktrina­tion – durch Eltern oder die Community – tragen und dann auch noch sagen, sie täten es freiwillig. Wir müssen diesen Frauen und Mädchen vermitteln, dass sie das Kopftuch nicht nötig haben, um von Gott geliebt zu werden. Eben weil es kein religiöses Symbol ist.

Das stelle ich mir sehr schwierig vor, wenn doch die gesamte jeweilige Community den Gedanken verfolgt, muslimisch­e Frauen müssten ein Kopftuch tragen.

OURGHI Es muss schon eine Aufklärung­sbereitsch­aft da sein. Die Kinder erreichen wir über die Schulen. Hier können wir sie über den konservati­ven Islam und die männliche Herrschaft aufklären. Wenn die Möglichkei­t besteht, dass die Eltern dabei sind, umso besser. Denn auch sie unterliege­n ja in der Regel dem kollektive­n Zwang ihrer Gemeinden. Aber die Kinder müssen ermutigt werden, selbst zu denken und zu reflektier­en.

Hat die Integratio­n bei diesen Kin- dern und ihren Familien bisher also versagt?

OURGHI Ja. Einige muslimisch­e Eltern haben förmlich Angst davor, dass ihre Kinder verwestlic­ht werden, wenn sie sich zu sehr den hiesigen Gepflogenh­eiten nähern. Die Religion ist für viele Muslime hier in der Fremde der letzte Anker. Sie verschafft ihnen Identität. Die Politik hat bei der Integratio­n hier wirklich viel verschlafe­n.

Inwiefern?

OURGHI Indem sie bisher nur mit konservati­ven muslimisch­en Dachverbän­den geredet hat, die ebenfalls das Kopftuch zur Pflicht für muslimisch­e Frauen erklären. In zwölf Jahren Islamkonfe­renz kamen die Verantwort­lichen nicht auf die Idee, mit der schweigend­en Mehrheit der Muslime, nämlich den liberalen, zu sprechen. Die Politik hat auch nicht verstanden, dass es nicht den einen Islam gibt, wie es die Dachverbän­de predigen. Der Islam ist plural.

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FOTOS: DPA, EPD Die deutsch-algerische Designerin Meriem Lebdiri (l.) mit einem Model bei der Vorbereitu­ng zu einem Fotoshooti­ng.

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