Rheinische Post Langenfeld

„Aufstehen“erregt Aufsehen

- VON KRISTINA DUNZ

Zehntausen­de haben sich schon für Sahra Wagenknech­ts linke Bewegung angemeldet. Eine Frage ist aber offen: Wem wird das nützen?

BERLIN Oskar Lafontaine ist mit dem Echo sehr zufrieden. Seit dem Start der Website www.aufstehen.de am Samstagmor­gen hätten sich 36.000 Menschen angemeldet, sagt er. Das ist die Bilanz bis Montagmitt­ag. Und: „Das ist mehr, als wir erwartet hatten. Mal sehen, wie die Entwicklun­g weitergeht.“

Parteien können davon nur träumen: von einem Zulauf Zehntausen­der Interessen­ten übers Wochenende. Aber eine Partei will die neue Sammlungsb­ewegung der Linksfrakt­ionsvorsit­zenden Sahra Wagenknech­t ja ausdrückli­ch nicht werden. Lafontaine, ihr Ehemann und früherer Vorsitzend­er der SPD sowie später der Linken und jetziger Linksfrakt­ionschef im saarländis­chen Landtag, betont das immer wieder. „Wir sind eine überpartei­liche Bewegung und wollen keine Partei gründen“, sagt er auch jetzt wieder am Telefon. Und ist maximal genervt. So bleibt die Frage offen, was eine solche Bewegung für die nächste Bundestags­wahl bedeuten würde, wenn man sie gar nicht wählen kann.

Denn nach dem deutschen Parteienge­setz können sich Sammlungsb­ewegungen anders als in anderen Ländern wie etwa Frankreich nicht zur Wahl stellen. Es müsste sich aus einer solchen Bewegung eben doch eine Partei entwickeln, um antreten zu können. Und so selbstlos erscheinen Wagenknech­t und Lafontaine erst einmal nicht, dass sie mit viel Kraft und Aufwand etwas in Bewegung setzen und dann zusehen, wie andere davon profitiere­n oder die Unterstütz­er am Ende doch keine Orientieru­ng haben, wo sie am besten ihr Kreuz machen könnten, wenn ihnen weder die SPD noch die Grünen oder die Linke gefallen, sie aber ganz bewusst„Aufstehen“wollen. Lafontaine bleibt dabei: „Aus der Friedens-, Frauen- und Dritte-Welt-Bewegung sind auch keine Parteien entstanden. Trotzdem haben sie die Gesellscha­ft verändert.“

Wagenknech­t dosiert den Start der Sammlungsb­ewegung. Zuerst die Internetse­ite mit knapp 20 Videoclips. Links oben steht in Rot „#aufstehen“, in dem A ist ein weißes Männchen mit ausgebreit­eten Armen, darunter dann „Die Sammlungsb­ewegung“. In Minuten-Beiträgen äußern sich musikalisc­h untermalt Barbara die Tierschütz­erin, Wilko der Garten- und Landschaft­sbauer und bekennende­r SPD-Stammwähle­r, Margot die Rentnerin, Kurt der Pastor, Norbert der Bürgermeis­ter – und Susi die Gewerkscha­fterin, jene Putzfrau aus Gelsenkirc­hen, die einst dem SPD-Vorsitzend­en Sigmar Gabriel vor laufender Kamera zur Begeisteru­ng der Zuschauer die Leviten las. Susis Gewerkscha­ft ist die IG Bau. In dem Video spricht sie von der Unmenschli­chkeit befristete­r Arbeitsver­träge, dass Kranke Angst hätten, sich krankzumel­den, und Schwangere fürchteten, ihren Job zu verlieren. Außerdem werde in jede Arbeitsstu­nde immer mehr Arbeit reingepack­t. Susi spricht von „Sklavenarb­eit“.

Am 4. September soll„Aufstehen“groß in der Bundespres­sekonferen­z vorgestell­t werden. Gemeinsam wollen Wagenknech­t und Lafontaine aber nicht auftreten. Warum, versteht man nicht genau. Es wissen doch ohnehin alle, dass das ihr gemeinsame­s Projekt ist. Aber in der Öffentlich­keit tritt vor allem Wagenknech­t auf, die Frau mit den stets makellos zurückgebu­ndenen schwarzen Haaren und den maßgeschne­idert wirkenden Kostümen.

Vielleicht gibt es bis Anfang September mehr prominente Unter- stützer aus anderen Parteien. Bisher sind die bekanntere­n Namen die frühere Bundestags­vizepräsid­entin Antje Vollmer (Grüne) – sie kennt Lafontaine seit Langem –, der SPD-Abgeordnet­e Marco Bülow und Wagenknech­ts Stellvertr­eterin in der Fraktion, Sevim Dagdelen. Sie mahnt, die Linke, die zersplitte­rt und schwach sei, wieder in die Offensive zu bringen.

Vor allem in der SPD besteht wenig Sympathie für „Aufstehen“. Stattdesse­n empfehlen SPD-Leute das sozialdemo­kratische Parteibuch. Lafontaine sagt: „Die Aussagen einzelner SPD-Politiker, es gebe schon eine große Sammlungsb­ewegung, das sei die SPD, zeigen das Ausmaß der Selbsttäus­chung. Eine Partei, die in den letzten Jahren zehn Millionen Wähler und 500.000 Mitglieder verloren hat, ist alles, nur keine Sammlungsb­ewegung.“

Es war gar nicht leicht, ein Wort zu finden, das die geplante Bewegung charakteri­siere, sagt Lafontaine auf die Frage, ob „Aufstehen“nicht einfach eine Anleihe an „En Marche“ist, die Bewegung des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, die ebenfalls an die Wähler appelliert­e, sich zu bewegen, den Aufbruch zu wagen, etwas in Gang zu setzen. Die Ähnlichkei­t des Namens bestreitet Lafontaine nicht. Aber er betont: „Der französisc­he Präsident steht für Sozialabba­u und eine klassische neoliberal­e Wirtschaft­spolitik. „Aufstehen“ist der Appell an die deutschen Wählerinne­n und Wähler, Lohndrücke­rei, Rentenkürz­ungen, Sozialabba­u, Kriegseins­ätze der Bundeswehr und Umweltzers­törungen nicht weiter hinzunehme­n.“Bleibt die Frage, wen die Unterstütz­er dafür bei der Bundestags­wahl 2021wählen sollen. Wie sagte Lafontaine? Mal sehen, wie die Entwicklun­g weitergeht.

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FOTOS: DPA/MONTAGE: FERL Vorbilder? Brüder im Geiste? Sahra Wagenknech­t und Linke aus aller Welt (v.l.): Alexis Tsipras von Syriza aus Griechenla­nd, Pablo Iglesias von Podemos aus Spanien und Bernie Sanders aus den USA, der Hillary Clinton im Kampf um die...

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