Shampoo aus dem virtuellen Supermarkt
LSD fing 1965 als Schriftsetzerei an. Irgendwann klopfte ein Dax-Konzern an. Dann änderte sich alles.
DÜSSELDORF Es gibt eine uralte Weisheit, die klingt, als käme sie direkt aus einem Start-up-Standardwerk. „Think outside the box“, lautet sie, also: über den Tellerrand schauen, das große Ganze im Blick behalten. Erfunden hat den Spruch aber kein hipper Gründer aus einem Hinterhof in Berlin-Mitte, sondern vor mehr als 50 Jahren ein Manager von Disney. Start-ups lieben den Satz trotzdem. Auch in der Zentrale des Düsseldorfer Unternehmens LSD ziert der Spruch die Wände, allerdings in der radikalenVersion. Zugegeben, die Marketing-Experten des Verpackungs- undWerbeproduzenten waren nicht die ersten, die den Satz mit einem Fragezeichen versahen und daraus „Think like there is no box“dichteten. Grenzen gibt es also nicht mehr. Wer erst über den Tellerrand schauen muss, hat bis dahin alles falsch gemacht.
Nun ist LSD kein Start-Up, sondern ein Familienbetrieb, der einst als Schriftsetzerei anfing. Trotzdem will man hier die Innovationskultur der Gründer leben. Längst geht es bei LSD nicht mehr nur ums Drucken. Am Firmenstandort im Düsseldorfer Stadtteil Hassels arbeiten Programmierer undWebdesigner an Augmented-Reality-Apps und intelligentenVerpackungen. Etwa einem Waschmittel, das über die Smartphone-Kamera per Videoclip zeigt, wie man es benutzt. Ein Assistent, der nicht wie Amazons Alexa mit Sprache hilft, sondern visuell. Mit Bildern. Von der Zukunft wollen sich die Gebrüder Finken, die Söhne von Unternehmensgründer Günter Finken und heute Geschäftsführer von LSD, nicht einholen lassen. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren vier- bis fünfmal neu erfunden“, sagt Klaus Finken, der Ältere. „Sonst gäbe es uns längst nicht mehr.“
Das hat auch die Jury des Wettbewerbs „NRW - Wirtschaft im Wandel“überzeugt, die LSD im Juni als eins von zehn zukunftsstarken Unternehmen prämiert hat.
Alles begann 1965 in Flingern. Günter Finken kaufte eine Setzmaschine und druckte zusammen mit fünf Mitarbeitern erste Prospekte und Flyer in einem kleinen Laden an der Ackerstraße. „Am Anfang stand der Bleisatz nach der Methode Gutenberg, basierend auf Einzelbuchstaben, sogenannten Lettern“, sagt Chris Finken. Daher auch der Name LSD: Lettern Service Düsseldorf. Schnell machte sich Finken einen Namen, stellte Lithografen und Zeichner ein, bis er bald mit zwei Konkurrenten für die ganze Stadt druckte. Dann kam die neue Technik – und Finken sah immer nur neue Chancen, etwa beim Fotosatz in den 70ern, beim Desktop-Publishing in den 80ern, bei allem, was den Druck beschleunigte. „Unsere Wettbewerber, die die notwendigen Transformationen nicht rechtzeitig eingeleitet haben, sind heute alle vom Markt verschwunden“, sagt Klaus Finken.
Doch das Drucken zu optimieren reichte bald nicht mehr. 1995, da saßen schon die Söhne in der Geschäftsführung, schloss LSD einen Deal mit Henkel. In der Druckerei gab es fortan ein neues Geschäftsfeld: die Produktion von Verpackungs-Dummys für TV-Spots und Werbeanzeigen.
Henkel gab Unikate in Auftrag, die sich nur in winzigen Details von den echten Produkten aus dem Supermarkt unterscheiden, etwa in der Kraft der Farben.„Dummys werden in erster Linie fürs Auge, aber auch zum Anfassen produziert. Das Einzelstück muss in der Werbung eins zu eins aussehen wie die spätere Großauflage im Regal“, sagt Chris Finken.
Bis heute ist Henkel der größte Kunde von LSD, auch Bayer, Haribo und andere Großkonzerne lassen hier produzieren, die meisten Aufträge sind für den internationalen Markt. „Es ist eine echte Herausforderung, das Design, die Einheitlichkeit der Marke und damit die Qualität weltweit zu sichern“, sagt Chris Finken. Mittlerweile modellieren die Mitarbeiter die Dummys digital am Computer, erste Entwürfe der Verpackungen stellen sie in Handarbeit her, einige wenige Rohlinge presst auch ein 3D-Drucker zusammen.
Für die beiden Brüder war das noch immer nicht genug. Sie wollten mehr Zukunft, noch tiefer in das digitale Geschäft, genauer: in eine andere Welt. Derzeit arbeitet ein Team an einem virtuellen Supermarkt, in dem über eineVR-Brille die digitalen Verpackungen von LSD eingekauft werden können. Eine App bestellt die Produkte dann online. Bisher ist das System nur ein Prototyp. Im September will LSD es auf der hauseigenen Messe „Design meets Industry“präsentieren.
Doch woher kommen die Sehnsucht nachWandel und die Energie, die Firma immer wieder neu aufzustellen? „Die Entwicklung wird zu einem Großteil vom zukünftigen Bedarf unserer Kunden getrieben, auf den wir vorausschauend reagieren“, sagt Klaus Finken. Und dann war da noch der Vater. Von ihm, sagen die Brüder, haben sie nicht nur die Firma geerbt. Sondern auch den Mut.