Rheinische Post Langenfeld

Shampoo aus dem virtuellen Supermarkt

- VON ALEXANDER TRIESCH

LSD fing 1965 als Schriftset­zerei an. Irgendwann klopfte ein Dax-Konzern an. Dann änderte sich alles.

DÜSSELDORF Es gibt eine uralte Weisheit, die klingt, als käme sie direkt aus einem Start-up-Standardwe­rk. „Think outside the box“, lautet sie, also: über den Tellerrand schauen, das große Ganze im Blick behalten. Erfunden hat den Spruch aber kein hipper Gründer aus einem Hinterhof in Berlin-Mitte, sondern vor mehr als 50 Jahren ein Manager von Disney. Start-ups lieben den Satz trotzdem. Auch in der Zentrale des Düsseldorf­er Unternehme­ns LSD ziert der Spruch die Wände, allerdings in der radikalenV­ersion. Zugegeben, die Marketing-Experten des Verpackung­s- undWerbepr­oduzenten waren nicht die ersten, die den Satz mit einem Fragezeich­en versahen und daraus „Think like there is no box“dichteten. Grenzen gibt es also nicht mehr. Wer erst über den Tellerrand schauen muss, hat bis dahin alles falsch gemacht.

Nun ist LSD kein Start-Up, sondern ein Familienbe­trieb, der einst als Schriftset­zerei anfing. Trotzdem will man hier die Innovation­skultur der Gründer leben. Längst geht es bei LSD nicht mehr nur ums Drucken. Am Firmenstan­dort im Düsseldorf­er Stadtteil Hassels arbeiten Programmie­rer undWebdesi­gner an Augmented-Reality-Apps und intelligen­tenVerpack­ungen. Etwa einem Waschmitte­l, das über die Smartphone-Kamera per Videoclip zeigt, wie man es benutzt. Ein Assistent, der nicht wie Amazons Alexa mit Sprache hilft, sondern visuell. Mit Bildern. Von der Zukunft wollen sich die Gebrüder Finken, die Söhne von Unternehme­nsgründer Günter Finken und heute Geschäftsf­ührer von LSD, nicht einholen lassen. „Wir haben uns in den vergangene­n Jahren vier- bis fünfmal neu erfunden“, sagt Klaus Finken, der Ältere. „Sonst gäbe es uns längst nicht mehr.“

Das hat auch die Jury des Wettbewerb­s „NRW - Wirtschaft im Wandel“überzeugt, die LSD im Juni als eins von zehn zukunftsst­arken Unternehme­n prämiert hat.

Alles begann 1965 in Flingern. Günter Finken kaufte eine Setzmaschi­ne und druckte zusammen mit fünf Mitarbeite­rn erste Prospekte und Flyer in einem kleinen Laden an der Ackerstraß­e. „Am Anfang stand der Bleisatz nach der Methode Gutenberg, basierend auf Einzelbuch­staben, sogenannte­n Lettern“, sagt Chris Finken. Daher auch der Name LSD: Lettern Service Düsseldorf. Schnell machte sich Finken einen Namen, stellte Lithografe­n und Zeichner ein, bis er bald mit zwei Konkurrent­en für die ganze Stadt druckte. Dann kam die neue Technik – und Finken sah immer nur neue Chancen, etwa beim Fotosatz in den 70ern, beim Desktop-Publishing in den 80ern, bei allem, was den Druck beschleuni­gte. „Unsere Wettbewerb­er, die die notwendige­n Transforma­tionen nicht rechtzeiti­g eingeleite­t haben, sind heute alle vom Markt verschwund­en“, sagt Klaus Finken.

Doch das Drucken zu optimieren reichte bald nicht mehr. 1995, da saßen schon die Söhne in der Geschäftsf­ührung, schloss LSD einen Deal mit Henkel. In der Druckerei gab es fortan ein neues Geschäftsf­eld: die Produktion von Verpackung­s-Dummys für TV-Spots und Werbeanzei­gen.

Henkel gab Unikate in Auftrag, die sich nur in winzigen Details von den echten Produkten aus dem Supermarkt unterschei­den, etwa in der Kraft der Farben.„Dummys werden in erster Linie fürs Auge, aber auch zum Anfassen produziert. Das Einzelstüc­k muss in der Werbung eins zu eins aussehen wie die spätere Großauflag­e im Regal“, sagt Chris Finken.

Bis heute ist Henkel der größte Kunde von LSD, auch Bayer, Haribo und andere Großkonzer­ne lassen hier produziere­n, die meisten Aufträge sind für den internatio­nalen Markt. „Es ist eine echte Herausford­erung, das Design, die Einheitlic­hkeit der Marke und damit die Qualität weltweit zu sichern“, sagt Chris Finken. Mittlerwei­le modelliere­n die Mitarbeite­r die Dummys digital am Computer, erste Entwürfe der Verpackung­en stellen sie in Handarbeit her, einige wenige Rohlinge presst auch ein 3D-Drucker zusammen.

Für die beiden Brüder war das noch immer nicht genug. Sie wollten mehr Zukunft, noch tiefer in das digitale Geschäft, genauer: in eine andere Welt. Derzeit arbeitet ein Team an einem virtuellen Supermarkt, in dem über eineVR-Brille die digitalen Verpackung­en von LSD eingekauft werden können. Eine App bestellt die Produkte dann online. Bisher ist das System nur ein Prototyp. Im September will LSD es auf der hauseigene­n Messe „Design meets Industry“präsentier­en.

Doch woher kommen die Sehnsucht nachWandel und die Energie, die Firma immer wieder neu aufzustell­en? „Die Entwicklun­g wird zu einem Großteil vom zukünftige­n Bedarf unserer Kunden getrieben, auf den wir vorausscha­uend reagieren“, sagt Klaus Finken. Und dann war da noch der Vater. Von ihm, sagen die Brüder, haben sie nicht nur die Firma geerbt. Sondern auch den Mut.

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Die LSD-Geschäftsf­ührer Klaus (links) und Chris Finken in der Firmenzent­rale in Düsseldorf. Die Brüder haben den Werbemitte­lproduzent­en vom Vater übernommen.
FOTO: ANNE ORTHEN Die LSD-Geschäftsf­ührer Klaus (links) und Chris Finken in der Firmenzent­rale in Düsseldorf. Die Brüder haben den Werbemitte­lproduzent­en vom Vater übernommen.

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