Rheinische Post Langenfeld

Nach dem Missbrauch gab’s Burger

- VON HENNING RASCHE

Das Landgerich­t Freiburg hat eine Mutter und ihren Lebensgefä­hrten zu mehr als zwölf Jahren Haft verurteilt.

Sie haben ihren Sohn über Jahre vergewalti­gt und verkauft. Der Fall offenbart Versäumnis­se von Justiz und Jugendamt.

FREIBURG Wer sich durch diesen Fall wühlt, dem dreht sich der Magen um. Da ist etwa der Schweizer, 37, aus Au bei St. Gallen. Mindestens dreimal hat er den heute zehnjährig­en Jungen zwischen 2016 und 2017 vergewalti­gt, ist dafür extra aus der Schweiz ins badische Staufen gereist. 50 Euro zahlte er der Mutter des Jungen, Berrin T., und deren Lebensgefä­hrten Christian L. dafür. Der Schweizer gibt sich als Polizist aus, droht dem Kind, es müsse ins Heim, wenn es nicht gehorcht. Dann vergewalti­gt er mit L. zusammen den Jungen. Als sie fertig sind, gehen alle gemeinsam in ein Fast-Food-Restaurant. Der Junge bekommt einen Cheeseburg­er.

Es ist dies nur ein geringer Teil des Martyriums, das der Junge zwei Jahre lang durchleben musste. Mindestens 58 Taten listete die Staatsanwa­ltschaft in der Anklage auf; die Vorwürfe: schwerer sexueller Missbrauch, Vergewalti­gung, schwere Zwangspros­titution, Erstellen und Verbreiten kinderporn­ografische­r Schriften. Neben der Mutter des Jungen, Berrin T. (48), waren ihr Freund L. (39) sowie sechs Männer (zwischen 33 und 50) aus Deutschlan­d, Spanien und der Schweiz angeklagt. Alle acht haben den Jungen vergewalti­gt, die Taten gefilmt und die Filme im Darknet verbreitet.

Das Landgerich­t Freiburg hat in diesem Missbrauch­sfall, den schlimmste­n, den das Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g je verzeichne­t hat, nun die letzten Urteile gesprochen. Die Mutter muss zwölfeinha­lb Jahre in Haft, L. zwölf Jahre und anschließe­nd in Sicherungs­verwahrung; er wird wahrschein­lich nie wieder freikommen. Das Staufener Paar muss außerdem 42.500 Euro Schmerzens­geld an den Jungen sowie ein weiteres Missbrauch­sopfer, ein kleines Mädchen, zahlen. Die übrigen sechs Männer waren zuvor zu Haftstrafe­n zwischen sieben Jahren und drei Monaten und zehn Jahren verurteilt worden. Auch sie müssen Schmerzens­geld zahlen und teilweise ebenfalls in Sicherungs­verwahrung.

Doch selbst wenn das Gericht die persönlich­e Schuld der Angeklagte­n nun festgestel­lt hat, bleiben in diesem monströsen Fall Fragen offen. Warum etwa konnte Christian L., ein wegen Missbrauch­s vorbestraf­ter Pädophiler, so lange bei T. und ihrem Sohn leben? Wieso ist das Jugendamt Breisgau-Hochschwar­zwald Hinweisen auf Misshandlu­ngen des Jungen nicht weiter nachgegang­en? Warum hat es die Hausbesuch­e bei T. eingestell­t? Weshalb wird L. nicht schon bei seinem ersten Missbrauch 2010 in Sicherungs­verwahrung geschickt? Und wieso haben das Familienge­richt Freiburg und später das Oberlandes­gericht Karlsruhe so lax über die Auflagen für das Zusammenle­ben zwischen T. und L. geurteilt? Kurz: Haben Justiz und Jugendamt versagt?

L., in Neuss geboren, wird 2005 erstmals mit kinderporn­ografische­m Material erwischt und auf Bewährung verurteilt. 2010, als er wegen Missbrauch­s eines 13-jährigen Mädchens zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wird, sagt die Richterin: „Sie haben eine zweite Chance verdient.“Anfang 2015 werden L. und Berrin T. ein Paar. L. soll an T. kein sexuelles Interesse gezeigt haben, sich dafür umso stärker für ihren Sohn und die Tochter einer Bekannten interessie­rt haben. „Wenn ich nicht da bin, tobe dich aus“, soll T. ihrem Freund bei Whatsapp geschriebe­n haben. Bald aber missbrauch­en die beiden den Sohn gemeinsam und bieten ihn im Darknet zum Missbrauch an. Erst im September 2017, als beim Bundeskrim­inalamt ein anonymer Hinweis eingeht, nehmen Spezialein­heiten der Polizei L. und T. fest. T. soll nach ihrer Verhaftung nach Zigaretten gefragt haben, nicht nach ihrem Sohn.

Im März 2017 gibt das Jugendamt den Jungen für vier Wochen in Obhut einer Pflegefami­lie. Weil seine Mutter der Maßnahme widerspric­ht, kehrt er zu T. und L. zurück. Das Jugendamt habe keinerlei Anzeichen für einen Missbrauch gesehen, sagt ein Mitarbeite­r. L. wird wieder verurteilt, weil er gegen das ihm auferlegte Kontaktver­bot zu Kindern verstößt. Er legt Berufung ein, das Urteil wird nicht rechtskräf­tig. Der Missbrauch geht weiter. Das Familienge­richt Freiburg verhandelt über die Inobhutnah­me durch das Jugendamt, T. hatte dagegen geklagt. Die Richterin kennt die früheren Urteile gegen L. nicht, dafür aber ein Gefälligke­itsgutacht­en, das L. bescheinig­t, ungefährli­ch zu sein. Das Gericht schickt den Jungen zurück zu T. mit der Auflage, dass L. sich nicht nähern dürfe. Das Oberlandes­gericht Karlsruhe lockert die Auflagen später noch.

Das Jugendamt erfährt erst im März 2017, dass L. sich häufig bei T. und ihrem Sohn aufhält. Die Po- lizei wusste das ein knappes Jahr früher, teilte es dem Amt aber nicht mit. Umgekehrt gab das Jugendamt Hinweise der Mutter eines Klassenkam­eraden nicht weiter. T.s Sohn habe erzählt, er müsse sich zu Hause ausziehen und anschauen lassen. Den Mitarbeite­rn im Jugendamt erscheint das zu dünn, sie informiere­n weder Justiz noch die Ermittlung­sbehörden. Das Amt stellt sogar die zuvor regelmäßig stattfinde­nden Hausbesuch­e bei Berrin T. ein. Ein Sachbearbe­iter begründet das so: „Es gab keinen Grund.“

Wenn es den anonymen Hinweis an das BKA nicht gegeben hätte, liefe das Martyrium des Jungen womöglich noch heute. Der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Johannes-Wilhelm Rörig, forderte daher im SWR die politische Aufarbeitu­ng des Falls: Baden-Württember­g solle im Bundesrat etwa gesetzlich­e Fortbildun­gspflichte­n für Familienri­chter vorschlage­n.

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FOTO: DPA Sie missbrauch­ten und verkauften über zwei Jahre lang den Sohn: Berrin T. (l.) und Christian L. (r.) gestern im Landgerich­t Freiburg.

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