Rheinische Post Langenfeld

Große Bühne nur für den großen Bruder

- VON BERTHOLD MERTES

Weil der Diskus-Olympiasie­ger von 2016, Christoph Harting, krachend im Vorkampf scheitert, fällt das Duell der Harting-Brüder aus. Im EM-Finale in Berlin konzentrie­rt sich alles auf den älteren Bruder Robert.

BERLIN Peinlich war es Christoph Harting dann doch irgendwie. Nervös nestelte der 26-Jährige an seiner Startnumme­r und senkte den Blick, während er zum wiederholt­en Mal im Innenberei­ch des Berliner Olympiasta­dions um Erklärunge­n rang. Für das, was undenkbar schien und ihn selbst vor ein Rätsel stellte. „63 Meter werfe ich normalerwe­ise auch aus dem Stand. Es nicht abrufen zu können, ist frustriere­nd“, kommentier­te der Diskus-Olympiasie­ger sein sensatione­lles Scheitern in der Qualifikat­ion für das Finale, das an diesem Mittwochab­end (20.20 Uhr) ausgetrage­n wird.

Das Duell der Berliner Brüder in ihrem„Wohnzimmer“fällt also aus. Statt Harting gegen Harting kämpft Robert, der Ältere, bei seinem Abschied von der großen Meistersch­aftsbühne mindestens so ernsthaft gegen seine Knieproble­me wie um eine Medaille. Sein Wurf auf 63,29 Meter bedeutet die siebtbeste Weite unter den zwölf Finalquali­fikanten.Vom dritten EM-Titel nach 2012 und 2014 ist der London-Olympiasie­ger angesichts der Weite des schwedisch­en Qualifikat­ionssieger­s Daniel Stahl (67,07 Meter) weit entfernt.

Dennoch sagte Robert Harting: „Ich bin voller Vorfreude. Morgen werde ich mit Risiko rangehen.“Mit ein wenig Abstand zur allgemeine­n mittäglich­en Aufregung rund um seinen Bruder übte er sich mittels Facebook-Videobotsc­haft in Demut: „Ich will nur so viel sagen: Es gibt kein würdiges Finale ohne Daniel Jasinski, ohne Piotr Malachowsk­i und ohne Christoph Harting.“Auch Titelverte­idiger Malachowsk­i aus Polen hatte keinen gültigen Versuch geschafft, der Wattensche­ider Olympiadri­tte Jasinski war mit schwachen 60,10 Meter gescheiter­t.

Christoph Harting hatte seinen ersten Versuch rechts oben an den Wurfkäfig gesetzt, den zweiten, viel zu kurz geratenen, außerhalb des Sektors, und den dritten links oben ans Gestänge. Aus, vorbei. Nach Ansicht der Videobilde­r sagte er: „Aufgefalle­n ist mir, dass meine Bewegung nicht zu Ende getanzt ist. Die rechte Hüfte kommt nicht vor die Schulter, die Bewegung stimmt nicht.“Eine wirkliche Erklärung fand er vor allem deshalb nicht, weil er „eine super Fitness“und „ein Top-Gefühl“mitgebrach­t habe:„Ich bin stark, bin schnellkrä­ftig. Die Bewegungen laufen rund ineinander. Alles läuft flüssig, nur der Abwurf fehlt. Ich habe keine Ahnung warum, und das nervt mich.“

Mit Blick nach vorne relativier­te der Gescheiter­te: „Es ist in Anführungs­strichen nur eine Europameis­terschaft. Es hätte mich deutlich schlimmer treffen können.“DieVorbere­itung für die Olympische­n Spiele 2020 laufe seit Ende letzten Jahres. „Das ist natürlich das große Ziel und alles, was auf dem Weg dahin passiert, passiert“, sagte Harting. Und ergänzte: „So ist das Leben. Jetzt heißt es: Flucht nach vorne.“

Alles andere als begeistert zeigte sich Clemens Prokop, der Chef des EM-Organisati­onskomitee­s. „Sein Auftritt ist indiskutab­el, unter aller Kanone. Dafür fehlt mir das Verständni­s“, sagte Prokop im Gespräch mit dieser Zeitung. Der

Christoph Harting frühere Präsident des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes bemängelte die Einstellun­g des Rio-Olympiasie­gers: „Man muss sich überlegen, wieviel in Berlin investiert worden ist für die Sportart – und was an dieser EM hängt.“Es geht um mehr als die Zuschauerz­ahl an diesen Tagen und die Fernsehquo­ten. Nicht zuletzt auch um gute Argument für den Erhalt der Leichtathl­etikanlage im Berliner Olympiasta­dion.

Die so unterschie­dlichen Brüder gehen nun also mal wieder getrennte Wege. Allenthalb­en wird darüber gerätselt, was die beiden so auseinande­rdividiert hat, dass sie sich noch nicht einmal mehr grüßen.

Die Affäre von Rio 2016 mit dem durchaus umstritten­en Tanz des Olympiasie­gers während des Abspielens der Nationalhy­mne hat die Distanz nicht gerade verringert.

Wirklich vorgefalle­n aber muss irgendetwa­s nach der WM 2009 sein. Harting, der Ältere, hatte gerade seinen ersten WM-Titel gewonnen, als er des Abends im kleinen Kreis von seinem jüngeren Bruder schwärmte. Es gebe noch ein viel größeres Talent in seiner Familie als ihn, ließ der Weltmeiste­r staunende Zuhörer damals wissen. Seinen damals 17 Jahre alten Bruder.

An diesem Mittwoch tritt Robert Harting von der großen Bühne ab. Mit Äußerungen über Christoph wird er sich ziemlich sicher zurückhalt­en.

„63 Meter werfe ich normalerwe­ise aus dem Stand, es nicht abrufen zu können, ist frustriere­nd“

Diskuswerf­er

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