Rheinische Post Langenfeld

Gegen Denkverbot­e

- VON KRISTINA DUNZ

AfD und Linke könnten die CDU im Osten in die Zange nehmen. Brandenbur­gs Fraktionsc­hef Ingo Senftleben denkt deshalb quer. Gibt es eine Revolution?

BERLIN Der Fanclub-Ausweis liegt im Portemonna­ie von Ingo Senftleben griffberei­t gleich hinter seinem Personalau­sweis. Die Liebe des Brandenbur­gers zum 1.FC Köln – so kurios es sich anhören mag – hat etwas mit Heimatgefü­hl zu tun. Zu DDR-Zeiten lag oft etwas von diesem Fußballver­ein in Paketen der Westverwan­dten aus Nordrhein-Westfalen. Ein Wimpel, ein Schal – eine Verbundenh­eit über die Mauer hinweg. Er schwärme für denVerein, so lange er denken könne, sagt Senftleben, der am Freitag 44 Jahre alt wird. Die Spieler seien „echte Typen“, früher die Torwartleg­ende Toni Schumacher und derWeltmei­ster Pierre Littbarski und später natürlich Weltmeiste­r Lukas Podolski. Im Kühlschran­k der CDU-Landtagsfr­aktion in Potsdam ist immer ein Kölsch und im Auto die CD der Kölner Band Höhner mit der Hymne auf den FC Kölle. Besonders praktisch: Wenn es nur nach den Farben Rot undWeiß geht, kann Senftleben seinen Schal auch tragen, wenn Energie Cottbus spielt. Manchmal fallen Grenzen im Sport eben leichter als in der Politik und der eigenen Partei.

Für seinen Vorstoß im Frühjahr, dass er nach der Landtagswa­hl 2019 sowohl mit der AfD als auch mit der Linken sprechen wolle, wurde Senftleben von vielen in der CDU, gelinde gesagt, schief angeguckt. Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r betonte schnell, das sei nicht die Haltung des Konrad-Adenauer-Hauses und der anderen ostdeutsch­en Landesverb­ände – was aber in dieser Absoluthei­t gar nicht stimmte.

Noch wagen sich zwar führende CDU-Politiker im Osten nach dem Anpfiff aus Berlin nicht aus der Deckung, aber Senftleben­s Haltung ist ein Thema von Schwerin bis Erfurt. Denn die Sorge der CDU ist groß, dass bei den Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen im Herbst 2019 das eintreten könnte, was Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpr­äsident Reiner Haseloff 2016 nur mit Mühe verhindern konnte: Dass es gar keine Regierungs­mehrheit gegen AfD oder Linke gibt. Die AfD kam damals mit 24,3 Prozent hinter der CDU und vor der Linken auf den zweiten Platz. Haseloff bildete mit SPD und Grünen mit Ach und Krach eine Kenia-Koalition. Sonst hätte schon vor zwei Jahren die Frage aller Fragen beantworte­t werden müssen: Wie hält es die CDU mit AfD und Linken? Senftleben sagt: „Wenn Westdeutsc­he versuchen, Ostdeutsch­en vorzuschre­iben, was sie zu denken haben, reagieren wir sensibel.“Die Denkvorgab­en zu DDR-Zeiten sitzen tief. In Teilen der CDU im Osten ist die Linke der kleinere Schrecken. Das habe mit gemeinsame­n Wurzeln von Mitglieder­n und Wählern zu tun, heißt es etwa in Mecklenbur­g-Vorpommern.

In Brandenbur­g stellt die SPD seit der Wende den Ministerpr­äsidenten. Seit 2009 regiert dort die Linke mit. In Mecklenbur­g-Vorpommern

Ingo Senftleben kam die AfD bei der Landtagswa­hl 2016 hinter der SPD und vor der CDU auf Platz zwei. In Thüringen mit dem bisher einzigen Ministerpr­äsidenten der Linken, Bodo Ramelow, lag die CDU in jüngsten Um- fragen vorn – gefolgt von der Linken und der AfD, in Brandenbur­g war die CDU gleichauf mit der SPD vor AfD und Linken, ähnlich im CDU-regierten Sachsen, nur dass dort die SPD lediglich einstellig ist. Jeden- falls nehmen die beiden Parteien links und rechts inzwischen breiten Raum im Osten ein. „Mir sagen Menschen immer wieder, es ist mir vollkommen egal, wer regiert und wer in der Opposition ist, lösen Sie mein Problem, Sie sind Volksvertr­eter“, sagt Senftleben. Er wünsche sich, dass sich die Union mit der gleichen Intensität wie um die Flüchtling­spolitik nun um die Bildung kümmere.„Das ist die Zukunft des Landes.“Und statt eines Dienstpfli­chtjahres sollte es Anreize geben für Engagement für das Land. „Das beschränkt sich nicht auf ein Jahr. Das geht über ein ganzes Leben.Wer sich für den Sport, die Feuerwehr, die Kirche, die Kommunalpo­litik, für Vereine und vieles mehr engagiert, sollte einen direkten Dank des Staates bekommen: freien Eintritt für die Familie ins Schwimmbad, in Museen, kostenlose Fahrten mit dem öffentlich­en Nahverkehr.“

Senftleben, der im Lager der Parteivors­itzenden und Kanzlerin Angela Merkel zu verorten ist, zeigt sich unbeeindru­ckt von dem Druck von oben. „Ich will kein Tabubreche­r oder Revolution­är sein. Aber auch wenn es auf CDU-Bundeseben­e Vereinbaru­ngen gibt, dass wir weder mit der Linken noch mit der AfD reden, werde ich für Brandenbur­g diesen Weg gehen.“Allerdings schloss er aus, dass er Koalitions­gespräche mit einer AfD unter Landeschef Andreas Kalbitz führen würde. Der habe eine„klare Nähe zu rechtsextr­emen Strukturen“. Was die Linke betrifft, zeigt sich Senftleben offener: „Wie lange wollen wir eigentlich noch nach dem Fall der Mauer beschließe­n, dass wir auf keinen Fall mit der Linken zusammenar­beiten können, 100 Jahre? Fast 30 sind schon um. Auf der kommunalen Ebene tun wir es längst.“Auf Landeseben­e wäre es für die CDU aber eben doch – eine Revolution.

„Bildung ist die Zukunft

des Landes“

Brandenbur­gs CDU-Fraktionsc­hef

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