Rheinische Post Langenfeld

Das Lesen der Anderen

- VON DOROTHEE KRINGS

Emma Watson hat einen, Reese Witherspoo­n auch, und sogar in Hollywood-Filmen sind Literaturc­lubs schon angekommen: Warum Lesen in Gemeinscha­ft ein besonderes Erlebnis ist – gerade im digitalen Zeitalter.

DÜSSELDORF Emma Watson liest gerade feministis­che Poesie. Doch ist das für die britische Schauspiel­erin, die einst als schlaue Hermine aus der Harry-Potter-Zauberwelt berühmt wurde, kein Privatverg­nügen.Watson unterhält den virtuellen Buchclub„Our Shared Shelf“. Im Internet schreibt sie über Bücher, die ihr wichtig sind, und fordert Menschen dazu auf, ihre Meinung mit ihr zu teilen. Sie selbst verfasst Rezensione­n in persönlich­em Ton, schreibt etwa aktuell über die Gedichtsam­mlung „Milch und Honig“der indisch-kanadische­n Autorin Rupi Kaur, dass deren Poesie nicht versuche, Bedeutung zu verschleie­rn, sondern zuschlage wie ein Fausthieb. Gerade weil die Autorin in lyrischer Sprache von harten Wahrheiten wie ihren eigenen Missbrauch­serfahrung­en berichte.

Watson ist seit vier Jahren UN-Botschafte­rin für Frauen- und Mädchenrec­hte, ihre Buchempfeh­lungen stammen aus diesem Themenfeld, der Austausch über Bücher dient also auch der Pflege ihres Images als belesene Oxford-Absolventi­n mit feministis­chem Anliegen. Trotzdem kann man bei ihr spannende Titel entdecken.

Auch Hollywood-Star Reese Witherspoo­n liest öffentlich. Allerdings tauscht sie sich über das soziale Netzwerk Instagram mit ihren Fans aus – sie empfiehlt Unterhaltu­ngsromane mit verspielte­n Covern, bei denen romantisch­e Gefühle nicht zu kurz kommen dürften. Buchclubs zu gründen, scheint also ein neues Mittel der Selbstdars­tellung. Zeig mir, was du liest, und ich ahne, wer du bist. Oder zumindest sein willst. In der virtuellen Welt sind die Grenzen zwischen Empfehlung, Vermarktun­g und Selbstverm­arktung fließend – das gilt auch für die Darstellun­g der Lesevorlie­ben.

Analog dagegen leisten Literaturk­reise mehr als den Austausch von Tipps, Kritik, Images. Wer miteinande­r liest, sich in Pfarrheime­n, Wohnzimmer­n, Bibliothek­en, Buchläden darüber austauscht, wie er Texte verstanden hat, lässt sich darauf ein, Geschichte­n aus dem Blickwinke­l anderer zu betrachten. Wenn Leser ihre Erfahrunge­n teilen, teilen sie auch ihre Sicht auf die Welt, ihren Zugang zu Literatur, ihre Art, Geschichte­n nachzuvoll­ziehen und sich in Figuren zu versetzen.

Das fanden Menschen bereits in der Antike reizvoll. Schon die Griechen lasen einander in größerer Runde vor. Doch erst mit der Aufklärung dienten Lesezirkel nicht nur der gemeinscha­ftlichen Erbauung, sondern verstärkt der intellektu­ellen Reifung und der politische­n Diskussion. Bürgerlich­es Selbstbewu­sstsein ist auch in Literaturk­reisen entstanden.

Etwas davon schwingt auch heute noch mit, wenn Menschen Literaturk­reise ins Leben rufen, sich damit auch verpflicht­en, ein gewisses Lesepensum zu absolviere­n und den angemessen­en Austausch zu pflegen. Uwe Holler leitet seit vielen Jahren einen solchen Lesekreis, der in der Evangelisc­hen Kirchengem­einde in Düsseldorf-Unterrath entstanden ist und heute in der katholisch­en Bücherei in Düsseldorf-Lichtenbro­ich tagt. Gerade lesen die zwölf Teilnehmer Marion Poschmanns„Kiefernins­el“, ein poetisches Buch, das nach Japan führt. „Ich bin jedesmal fasziniert, wie unterschie­dlich Menschen auf denselben Text reagieren“, sagt Uwe Holler. Das macht für ihn den Reiz der Lesetreffe­n aus. Und natürlich auch, dass meist nicht nur über die Literatur gesprochen wird, sondern auch über Lebenswege, Erfahrunge­n, Erinnerung­en. Bis zu seiner Pensionier­ung hat Holler die Bibliothek von Duisburg geleitet – und hatte kaum Zeit, aus privaten Vorlieben zu lesen. Inzwischen hat er dafür mehr Zeit.„Lesen eröffnet die Möglichkei­t, mehr als das eigene Leben zu erleben“, sagt Holler. Darum liest er. Und darum ist er am Lesen der Anderen interessie­rt.

Barbara Ming liest nicht nur, sie schreibt auch. Darum ist sie seit Jahrzehnte­n Mitglied, inzwischen auch Leiterin der Autorengru­ppe Era in Ratingen. In diesem Literaturk­reis treffen sich ausschließ­lich Menschen, die selbst schreiben. Sie tragen eigene Texte vor, bekommen das Feedback anderer, die das Ringen mit Worten, Geschichte­n, den Rhythmen von Sprache kennen. „Autoren sind Mimosen“, sagt Ming, „viele, die zu uns kommen, haben lange allein an ihren Texten gearbeitet. Sich in der Autorengru­ppe der Kritik auszusetze­n, macht wieder geschmeidi­ger.“Schreiben wie Lesen sind im Prinzip einsame Tätigkeite­n, führen in Oasen des Rückzugs aus einer umtriebige­n Welt.

Doch ist Sprache auch für den Austausch gedacht. Vielleicht ist das der anhaltende Reiz der Literaturk­reise: Sie verteidige­n das Recht auf Rückzug in Welten, die nicht digital animiert sind, sondern allein durch das trockene Wort geschaffen werden. Und zugleich befreien sie den Leser aus seiner selbstgewä­hlten Einsamkeit, eröffnen ihm Lebens- und erfahrungs­gesättigte­n Austausch.

Kein Wunder, dass das auch für Hollywood attraktiv ist. Der Film „Book Club“, der am 13. September in die Kinos kommt, erzählt von vier Frauen, die ihre Leseleiden­schaft seit Jahren verbindet. Inzwischen sind Vivian (Jane Fonda), Diane (Diane Keaton), Carol (Mary Steenburge­n) und Sharon (Candice Bergen) über 60, sie genießen ihr Leseritual – bis eine den erotischen Roman „Fifty Shades of Grey“in den Zirkel einschleus­t. Ein Schundroma­n, ausgerechn­et! Doch aus Abwehr wird Neugier – bald stimuliert das Buch die Frauen zu eigenen amourösen Abenteuern.

Literatur hat das Zeug, das Leben zu durchdring­en. Lesezirkel sind ein sehr guter Ort, diese Erfahrung zu teilen.

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FOTO: PARAMOUNT Mary Steenburge­n in dem Film „Book Club“, der am 13. September in die Kinos kommt.

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