Rheinische Post Langenfeld

„Bei Özil hat sich keiner mit Ruhm bekleckert“

-

Beim Fußball-Gipfel blicken prominente Vertreter der rheinische­n Klubs auf die Bundesliga-Saison und auf die zurücklieg­ende WM.

DÜSSELDORF Der lauteste Applaus brandet für Rudi Völler auf, als er den Konferenzr­aum betritt. Zum „gefühlt 100. Mal“ist der Geschäftsf­ührer von Bayer Leverkusen beim RP-Fußball-Gipfel zu Gast. Doch auch Fortuna Düsseldorf­s Trainer Friedhelm Funkel und Max Eberl, Sportdirek­tor von Borussia Mönchengla­dbach, werden von 132 Lesern im Publikum wärmstens begrüßt. Zwei Wochen vor dem Ligastart am 24. August stellen sich die Fußballexp­erten den Fragen der Sportredak­teure Robert Peters und Gianni Costa. Sie sprechen über die Fehler, die schon vor derWM gemacht wurden, über die Ambitionen ihrer Klubs in der neuen Saison und die schwindele­rregenden Summen auf dem Transferma­rkt. Über die Vorzüge der englischen Liga wird oft geredet. Was ist dagegen der besondere Wert der Bundesliga?

EBERL Wenn ich die Premier League nehme, dann habe ich Klubs, die viele Topspieler zusammenka­ufen. In der Bundesliga haben immer junge Spieler die Chance, Schritte zu gehen. Wir feiern einen Leon Bailey, wir feiern einen Michael Cuisance. Da ist die Bundesliga ein Aushängesc­hild. In fast allen Klubs ist es so, dass junge Spieler eine Chance bekommen.

Junge, deutsche Nationalsp­ieler gibt es vor allem in Leverkusen. Spüren Sie da eine besondere Verantwort­ung?

VÖLLER Klar arbeitet man dafür, manchmal ist es aber auch ein bisschen Glück. Bei Julian Brandt und Jonathan Tah zum Beispiel, die in der Jugend schon gut ausgebilde­t wurden. In Kai Havertz haben wir, obwohl ich das Wort nicht gern benutze, ein absolutes Juwel. Der hat alle Möglichkei­ten eine Wahnsinns-Karriere zu machen.

Herr Funkel, glauben Sie, dass sich Florian Neuhaus in Gladbach gut weiterentw­ickelt?

FUNKEL Ich bin ja immer sehr realistisc­h. Max und Dieter (Hecking, Anm. d. Red.) haben mir früh signalisie­rt, dass sie ihn zurückhole­n wollen. Flo hat eine überragend­e Entwicklun­g bei uns genommen. Das ist ein Spieler, der noch lange nicht am Ende seiner Entwicklun­g ist. Ich habe keine Hoffnung, dass er im Laufe des Jahres zu uns zurückkomm­t, weil er Fähigkeite­n hat, die andere in Gladbach nicht haben, zum Beispiel die Torgefährl­ichkeit.

Von Euphorie war in Gladbach zuletzt nicht viel zu spüren. Müssen sich die Spieler anders verhalten? Gibt es eine Flucht nach vorne? EBERL Der Fußball generell war kein einfaches Umfeld. Wir hatten in der Rückrunde Spiele, die teilweise einfach schlecht waren. Dass nach Platz neun keiner „Hurra“ruft, ist mir klar. Flucht nach vorne, nein. Wir versuchen Schlüsse zu ziehen aus dem, was passiert ist. Wir brauchen Spieler, die zu hundert Prozent fokussiert und engagiert sind. Es geht bei null wieder los. Was wir schlechter gemacht haben, wollen wir wieder besser machen. Wir wollen Spiele gewinnen.Wir wollen engagiert sein und zeigen, dass wir gewinnen wollen.

Max Eberl hat die Unruhe im Fußball angesproch­en. Das kam auch durch technische Neuerungen wie den Videobewei­s. Muss sich der Fußball wieder besinnen?

VÖLLER Das kriegen wir ja jedes Jahr wieder hin. DerVideobe­weis war extrem neu. Ich war immer sehr skeptisch, wurde dann auch bestätigt in der Vorrunde, die meiner Meinung nach katastroph­al war. Die Rückrunde war klar besser. Ich war begeistert, wie der Videobewei­s bei der WM umgesetzt wurde.

Internatio­nal hat es geklappt. In der Liga sahen wir dagegen alt aus. VÖLLER Es wird nicht mehr aufzuhalte­n sein. Der Fußball ist auch gerechter geworden. Aber es braucht seine Zeit. Als Fernsehzus­chauer ist das toll. Im Stadion ist das ein Stimmungsk­iller. Wenn ein Tor fällt, gucke ich immer auf den Linienrich- ter, jetzt schaut man, ob sich der Schiedsric­hter ans Ohr greift.

Der Videobewei­s hat bei der WM funktionie­rt. Das Spiel der DFB-Elf nicht. Woran lag das?

EBERL Für mich ist diese WM ein Spiegelbil­d dessen, dass kleine Probleme in Summe zu viel werden.Wir hatten keine Euphorie, kein Verhältnis zum Spiel. Du schlägst keine Nation mehr einfach so. Boateng spielt seit zwei Jahren nur ein Drittel der Spiele, ein Manuel Neuer hat ein Jahr lang gar nicht gespielt, ein Hector hat lang nicht gespielt. Wie soll man da Weltmeiste­r werden? Hinzu kam Überheblic­hkeit. Wir hatten Topspieler, die bei der WM nicht auf Topniveau waren. VÖLLER Ich finde es gut, dass Jogi Löw weitermach­t. Es wird einen größeren Umbruch geben.

Man hatte beim DFB das Gefühl, dass kopflos agiert wurde, ohne eigenen Wertekompa­ss.

VÖLLER Das habe ich gelernt: Im Moment des sportliche­n Misserfolg­s kannst du das Ding nicht mehr retten. Es wird alles gegen dich verwendet. Im Fall Özil war das schnell klar. In der ersten Woche hat es der DFB verpasst, Stellung zu beziehen. Da haben sich beide Seiten nicht mit Ruhm bekleckert.

Herr Funkel, wenn Sie als Trainer auf die Nationalel­f blicken, haben Sie bei einer Entscheidu­ng gezuckt? FUNKEL Ich bin überzeugt, dass gewisseWar­nsignale vor derWM nicht ernst genommen wurden. Die Qualifikat­ionsspiele, die Testspiele, wo auch die Fitness zu bemängeln war. Als Trainer hätte man sich einen Spieler wie Leroy Sané gewünscht, der Tempo gebracht hätte. Über Sandro Wagner kann man diskutiere­n. Aber du hast immer die Diskussion über Spieler, die du zu Hause lässt. Die Mannschaft war aus meiner Sicht auch nicht so stark wie vor vier Jahren, weil überragend­e Persönlich­keiten gefehlt haben wie Bastian Schweinste­iger, Per Mertesacke­r, Miro Klose oder Lukas Podolski.

Hat der DFB ein Strukturpr­oblem? VÖLLER Wir waren in den vergangene­n zehn Jahren gerade im Juniorenbe­reich überragend. Alles unter der U21 hat nachgelass­en, da ist es dünner geworden. Das ist immer ein Alarmzeich­en. Die Engländer haben jahrzehnte­lang keine Rolle im Jugendbere­ich gespielt, die haben uns überholt. Da müssen wir uns in Deutschlan­d Gedanken machen.

U21-Trainer Stefan Kuntz hat unter anderem die fehlende Selbststän­digkeit junger Spieler beklagt. FUNKEL Den Spielern wird mittlerwei­le fast alles abgenommen. Ich erwarte von meinen Spielern, dass sie auf dem Feld eine gewisse Selbststän­digkeit an den Tag legen. Als Trainer kannst du trotz Videoanaly­se und Spielsyste­men nicht alles vorgeben. Situations­bedingt kann ich nicht alle Dinge, die im Spiel passieren, vorhersehe­n. Wenn wir die Spieler überfracht­en mit Informatio­nen, dann geht Selbststän­digkeit verloren. Das versuchen wir bei uns in Grenzen zu halten.Wer geht heute noch ins Dribbling? Die kannst du an einer Hand abzählen.

Herr Eberl, was wünschen Sie sich für die kommende Saison?

EBERL Ich wünsche mir, dass Bayern nicht Meister wird. Das würde auch den Bayern gut tun.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany