NRW muss Sami A. zurücknehmen
Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass der abgeschobene Gefährder aus Tunesien zurückgeholt werden muss. SPD und Grüne fordern den Rücktritt von Joachim Stamp.
MÜNSTER Die Stadt Bochum muss den rechtswidrig abgeschobenen Tunesier Sami A. zurück nach Deutschland holen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am Mittwoch entschieden und dasVerwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigt. Ein Sprecher der Stadt Bochum sagte, sie werde das Urteil umgehend umsetzen. A. ist in Tunesien, wo ein Verfahren wegen Terrorverdachts gegen ihn läuft. Er ist frei, aber die Behörden haben ihm den Reisepass abgenommen. Bochum werde A. eine Einreiseerlaubnis ausstellen und das Auswärtige Amt bitten, ein Visum für ihn auszustellen, sagte der Sprecher.
Der als Gefährder eingestufte A., der mutmaßlich Leibwächter Osama bin Ladens war, wurde am 13. Juli nach Tunesien gebracht.Vor der Abschiebehaft lebte er mit seiner Familie in Bochum. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte die Abschiebung als „grob rechtswidrig“eingestuft, weil A. in Tunesien Folter drohen könne.
Das obersteVerwaltungsgericht in NRW bestätigte nun die Rechtswidrigkeit der Abschiebung. Sie sei „offensichtlich“. Am 12. Juli hatte das Gericht in Gelsenkirchen die Abschiebung verboten; der Beschluss erreichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf ) aber erst am 13. Juli um 8.14 Uhr, als A. bereits im Flugzeug saß. Die Abschiebung hätte aber abgebrochen werden können, sagt das OVG. Nicht der Beginn, sondern dieVollendung der Abschiebung sei maßgeblich. Auch ein Einreiseverbot stünde einer Rückkehr A.s nicht entgegen. Das Bamf hatte ein Abschiebeverbot im Juni widerrufen, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen setzte es wieder in Kraft.
Das Gericht in Münster macht dem NRW-Integrationsministerium von Joachim Stamp (FDP) schwere Vorwürfe. Trotz Nachfragen sei dem Gericht in Gelsenkirchen der Zeitpunkt der Abschiebung nicht mitgeteilt worden. Das OVG schreibt: „Im Übrigen hatte das Ministerium gegenüber der Ausländerbehörde die Anweisung gegeben, weder den Betroffenen Sami A. noch das Gericht über das Datum der Rückführung zu informieren.“Wenn das Gericht in Gelsenkirchen den Termin am 13. Juli gekannt hätte, hätte es einen sofortigen Beschluss erlassen, der die Abschiebung verboten hätte. Das Bamf hatte das Gericht nur über die Stornierung eines Flugs für den 12. Juli informiert, nicht aber über den neuen Termin.
Die Opposition im Landtag forderte Stamp zum Rücktritt auf. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte: „Eine Regierung, die sich nicht an Recht und Gesetz hält, hat mehr als ihre moralische Autorität verloren.“Der Rechtsexperte der Grünen, Stefan Engstfeld, sagte, Stamp müsse aus seiner Verantwortung die Konsequenzen ziehen: „Das kann nur der Rücktritt sein.“
Stamps Ministerium teilte mit: „Das Gericht lässt uns ratlos zurück.“Es fordere eine Rückholung A.s, die unmöglich sei. Man werde mitTransparenz reagieren und den „Kurs der konsequenten Abschiebung von Gefährdern“fortsetzen.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisierte den Beschluss des OVG. Er sagte unserer Redaktion: „Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.“Er bezweifle, dass dies hier der Fall sei. „Wenn die Bürger Gerichtsentscheidungen nicht mehr verstehen, ist das Wasser auf die Mühlen der Extremen“, sagte der Innenminister.
Leitartikel