Rokoko der Superlative
Die Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl sind seit 1984 deutsches Weltkulturerbe der Unesco. Hausherr war Kurfürst Clemens August – ein Mann, der alles beherrschte.
BRÜHL Eigentlich hatte Clemens August von Bayern (1700-1761) keine Absichten, Erzbischof von Köln und Kurfürst zu werden. Sein älterer Bruder Philipp Moritz (1698-1719) war für den geistlichen Posten vorgesehen. Allerdings starb dieser mit 21 Jahren an den Blattern, während Clemens August und er in Rom Theologie studierten. „Ich denke, Clemens August hätte sich vielleicht auch mit der Funktion eines Abtes zufrieden gegeben. Er hätte dann ein Kloster geleitet und wäre nicht fünffacher Bischof und sechsfacher Reichsfürst gewesen“, sagt Christiane Winkler (51), Sprecherin der Brühler Schlösser Augustusburg und Falkenlust.
Winkler geht durch die prachtvollen Räume von Augustusburg, die wie Perlen an einer Schnur zum Audienzsaal führen, in dem der damalige Kurfürst Anfragen des Adels entgegen nahm. Die Räume, mit aufwendigen Stuckverzierungen an den Decken und schweren und handgefertigten Wandteppichen voller Jagdszenen, dienten nur einem Zweck: Repräsentation. „Die Leute, die zum Kurfürsten wollten, wurden ihrem Rang gemäß vorgelassen. Teilweise hat dasWarten wohl länger als die eigentliche Audienz gedauert“, erklärt Winkler.
Augustusburg in Brühl, Grundsteinlegung 1725 und Fertigstellung 1768, zeigt die politische Seite des Kurfürsten. Während es im Inneren des Schlosses keinen Tanzsaal gibt, gilt der Garten als solcher – nur unter freiem Himmel. „Hier wächst nichts, wie es will“, sagt Winkler und deutet auf die Büsche, die dicht zusammengesetzt wurden. „Der Fürst zwingt auch der Natur seinen Willen auf. Er hat alles unter Kontrolle.“Im ersten Moment klingt das nach einem nahezu größenwahnsinnigen Adeligen, der von Gott eingesetzt wurde. Aber ganz so einfach lässt sich der Hausherr nicht in eine Schublade stecken.
Winkler arbeitet seit 2004 fest angestellt für die Schlösser Brühl. Bereits während ihres Geschichtsund Kunstgeschichtsstudiums war sie für die Schlösser tätig und führte Touristen durch die Bauten im Rokokostil, die seit 1984 an fünfter Stelle auf der Liste des deutschenWeltkulturerbes der Unesco stehen. Obwohl Winkler in beiden Schlössern vermutlich jeden Winkel kennt, bekommt sie immer noch strahlende Augen, wenn sie sowohl von den Bauten als auch von ihrem einstigen Besitzer spricht. „Was für ein Mensch er war, wird vor allem in seinen Tagebüchern und Briefen deut- lich. Nicht auf den großen Gemälden oder Büsten, die es von ihm gibt“, sagt Winkler.
Sie hat recht. Auf den Leinwänden ist ein schlanker Mann mit schmalem Gesicht, schmaler Nase und grauer Perücke abgebildet. Entweder in geistlicher Kleidung oder in einer blau-silberfarbenen Uniform, die er zu seinen legendären Falkenjagden trug. Stilisierte Bilder ohne persönliche Eigenschaften eines Mannes, der aus einem der ältesten deutschen Adelshäuser, dem der Wittelsbacher, stammte.
Eine Ahnung davon zu bekommen, wie Clemens August als Privatmann war, zeigt ein Porträt, das über einem Kamin in einem kleinen Zimmer im Jagdschloss Falkenlust hängt. Das Zimmer trägt den Namen „Chinesisches Lackkabinett“. Der Grund: Die Wände sind mit chinesischen Lackmalereien verziert. Passend dazu trägt Clemens August auf dem Bild einen seidenen Hausmantel, eine weinrote Schlafmütze auf dem Kopf und hält in seiner rechten Hand eine Tasse Tee. Am liebsten möchte man sich zu ihm setzen und ein wenig plaudern. Warum besuchte er zum Beispiel gerne Maskenbälle? Der letzte Ball, an dem Clemens August teilnehmen konnte, war ein Karnevalsball im Februar 1761 in Koblenz, bei dem er vermutlich einen Schlaganfall erlitt und an den Folgen starb. Beigesetzt ist er in der Familiengruft im Kölner Dom.
Er selbst veranstaltete zu Lebzeiten ebenfalls Bälle. „Es soll ein Bauernball gewesen sein. Dafür mussten die Gäste Lose ziehen, auf denen Rollen standen. Entweder Magd, Knecht oder Schmied. Aus einem Fundus konnten sich die Gäste passende Kleidungsstücke aussuchen und anziehen“, erzählt Winkler. Der Adel verband mit dem Landleben die Natur, die ein Symbol für Freiheit und Ausbruch aus den starren, gesellschaftlichen Konventionen bedeutete.
Dass der Kurfürst ebenso den Pomp liebte, zeigt das Treppenhaus in Augustusburg, bis zu dessen Vollendung 20 Jahre vergingen. „So etwas gibt es weltweit nicht noch einmal. Das ist sozusagen‚The Best of Rokoko‘“, schwärmt Winkler, während sie auf ein Steingebilde aus Goldbüste, Wappen und Theatervorhang weist. Rechts kniet lebensgroß die Nobilitas (Adel) und links die Modestia (Bescheidenheit). Unter dem Theatervorhang: der Hausherr. „Darin wird die gesamte Theatralik seiner Person deutlich“, erklärt Winkler, ohne diesen Satz negativ zu meinen. Im Gegenteil. Der Kurfürst hatte ein Faible für die musischen Künste und wollte jedem Gast zeigen, wie bedeutend und einflussreich er war. „Er hatte an die 40 Ämter und Posten inne, sowohl geistliche als auch weltliche. Jeder, der mit der Kutsche hier vorfuhr, wusste direkt, mit wem er es zu tun hatte.“Das Steinensemble als eine Visitenkarte.
Wenn Winkler einen schlechten Tag hat, erzählt sie, geht sie gerne zum Treppenhaus und sieht sich die Säulen aus Stuckmarmor und die bemalte Decke in Pastelltönen an. „Das hier ist für mich ein ganz harmonischer Ort.“Die polierten Säulen aus Stuckmarmor haben kein zufälliges Muster. Letztlich wird der Wille des Hausherrn, alles zu beherrschen und zu kontrollieren, auch an diesem Beispiel ganz deutlich.