Rheinische Post Langenfeld

Die Welt umarmt Genua

- VON FABIAN NITSCHMANN

Mit einer ergreifend­en Trauerfeie­r verabschie­det sich Genua von den mehr als 40 Opfern des Brückenein­sturzes. Immer wieder gibt es Applaus für die Retter. Und Kritik am Autobahnbe­treiber und der Politik.

GENUA (dpa) Immer wieder unterbrich­t lautes Klatschen die andächtige Ruhe kurz vor der zentralen Trauerfeie­r nahe des Hafens von Genua. Es ist der Applaus für Feuerwehrm­änner und Rettungskr­äfte, die in den vergangene­n Tagen unermüdlic­h in den Trümmern des Polcevera-Viadukts nach Überlebend­en gesucht haben. Sie sind die Helden der Stadt. Auf Leinwänden sehen die Tausenden Trauernden auch die Särge der Opfer. Mit Blumen verziert sind sie ganz vorne aufgereiht. Immer wieder treten Angehörige an die Särge heran, küssen und berühren sie, oft unter Tränen.

43 Menschen kamen nach aktuellen Angaben bei dem Einsturz der Morandi-Brücke am Dienstag ums Leben. Die letzten Leichen wurden in der Nacht zum Sonntag aus den Trümmern geborgen.Vermisst wird offiziell niemand mehr. Zahlreiche Menschen wurden teils schwer verletzt. Rund 600 Anwohner mussten ihreWohnun­gen verlassen, mehr als Tausend Helfer waren im Einsatz. Fast jeder in dieser Stadt mit ihren gut 500.000 Einwohnern ist irgendwie von dem Unglück betroffen, geschockt, fassungslo­s. Zur zentralen Trauerfeie­r am Samstag kommen rund 10.000 Menschen.

„Auf Genua schaut derzeit die ganze Welt, in einer großen Umarmung aus Emotionen, Zuneigung und Erwartung“, sagt Genuas Erzbischof, Kardinal Angelo Bagnasco. Jedes menschlich­eWort, so aufrichtig es auch sei, verblasse vor dieser Tragödie. Keine Rechtsprec­hung könne das Verlorene zurückgebe­n.

In einer bewegenden und ebenfalls von Applaus unterbroch­enen Ansprache macht Bagnasco klar, dass der Tag der Staatstrau­er auch ein Tag des Mutes für die Zukunft sein soll. Genua habe mit dem Viadukt eine „essenziell­e Arterie“verlo- ren, aber die Stadt werde nicht aufgeben und kämpfen – wie schon in anderen schweren Situatione­n. Als ein Geistliche­r die Namen der bisher identifizi­erten Opfer vorliest, gibt es erneut lauten Applaus. Genua nimmt die Herausford­erung an.

Dennoch hat dieVeranst­altung einen Beigeschma­ck. Auch wenn die Trauerfeie­r allen Opfern gilt, stehen hier nur 18 Särge. Einige Angehöri- ge von Opfern nehmen aus Protest nicht an der Zeremonie teil. Sie halten das Schaulaufe­n der Politiker für eine Schande. Andere halten Trauerfeie­rn in ihren eigenen Gemeinden ab, wie etwa im piemontisc­hen Alessandri­a oder im süditalien­ischen Torre del Greco.

Alle beschäftig­t weiterhin die Frage, wie es zu dem Brückenein­sturz kommen konnte. Die Regierung hat ihre Schuldzuwe­isungen gegen den Betreiber der Autobahn Tag für Tag verschärft, doch aus der Sicht einiger Opfer-Familien trifft auch die Politik eine große Schuld.

Die Katastroph­e von Genua ist so innerhalb weniger Tage zu einem Politikum geworden. Matteo Salvini, Italiens Innenminis­ter und Chef der rechten Lega-Partei, erhält kräftigen Applaus und wird sehr herzlich

empfangen, als er zur Trauerfeie­r eintrifft. Er hatte in den vergangene­n Tagen seine Kritik am Betreiber der Autobahn und auch an der EU scharf formuliert.

Premiermin­ister Giuseppe Conte hatte am Freitag einen Prozess eingeleite­t, um der privaten Betreiberg­esellschaf­t Autostrade per l‘Italia ihre Lizenz zu entziehen. Das Unternehme­n bestreitet aber Nachlässig­keit. Auch Vertreter der Firma kommen zu der Zeremonie.

Bei einer Pressekonf­erenz im Anschluss an die Trauerfeie­r sagt Hauptgesch­äftsführer Giovanni Castellucc­i, seine Firma könne keine Verantwort­ung für ein Ereignis übernehmen, dessen Ursache noch ermittelt werden müsse. Dennoch verspricht er Hilfe für die Opferfamil­ien und die Menschen, die infolge des Unglücks ihre Häuser verlassen mussten.

Die Trauerfeie­r bleibt trotz alledem weitgehend unpolitisc­h. Zu groß ist die Bestürzung und zu wichtig ist es, den Abschied von den Opfern würdig zu gestalten. Doch die Probleme für Genua werden kommen. Der 14. August 2018 wird die Stadt noch lange beschäftig­en. Politisch, wirtschaft­lich – und menschlich.

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FOTO: DPA Ein Frau küsst einen Sarg zu Beginn der Trauerfeie­r für die Opfer der Brückenkat­astrophe in Genua.

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