Rheinische Post Langenfeld

Zehn Wanderer sterben in Schlucht

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Zwischen teils 400 Meter hohen Felswänden hat sich ein kleiner Wildbach in einen reißenden Fluss verwandelt. Für mehrere Ausflügler ist die beliebte Raganello-Schlucht in Süditalien damit zur tödlichen Falle geworden.

ROM In einer Schlucht in Süditalien sind mehrere Ausflügler vonWasserm­assen überrascht und in den Tod gerissen worden. Am Dienstag, einen Tag nach dem Unglück bei Civita in der Region Kalabrien, suchten Rettungskr­äfte weiter nach mehreren Vermissten. Pasquale Gagliardi war einer der ersten Retter am Unglücksor­t. Ein Foto zeigt den Arzt, wie er ein achtjährig­es Mädchen in den Rettungshu­bschrauber trägt. Ihr Arm ist schlammver­schmiert und ruht auf der Schulter des Arztes. „Chiara sprach nicht, sie stammelte irgendetwa­s. Ich werde ihr Zittern und ihre Hand, die unsere berührte, als wir sie an Bord zogen, nie vergessen“, berichtete der Retter. Die Achtjährig­e, die am Montag in der Raganello-Schlucht in Süditalien davongespü­lt wurde, liegt wegen ihrer schweren Lungenverl­etzungen inzwischen in einer Klinik in Rom.

Für zehn Menschen kam jede Hilfe zu spät, sie starben in der Schlammlaw­ine. Elf Menschen wurden verletzt, fünf von ihnen schwer. Insgesamt konnten die Rettungskr­äfte 26 Personen retten. Auch drei Campingurl­auber, die am Dienstagmo­rgen noch als vermisst galten, wurden gefunden. Am Montagvorm­ittag war in der Nähe der Berggemein­de Civita in der süditalien­ischen Region Kalabrien ein schweres Gewitter niedergega­ngen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Dutzende Wanderer in der Raganello-Schlucht, die in der Gegend wegen ihrer malerische­n Atmosphäre ein Ziel vieler Ausflügler ist.

Die teilweise mehrere hundert Meter hohen Steilwände des Canyons, dessen Fluss im Sommer als ungefährli­ch gilt, wurden den Menschen zum Verhängnis. Offenbar hatten sich die Wassermass­en im oberen Teil der Schlucht angestaut. Als die natürliche­n Dämme aus Steinen und Geröll brachen, stürzten dieWasserm­assen mit Gewalt ins Tal und rissen Erdreich, Pflanzen und Menschen mit. Einige Opfer wurden bis zu fünf Kilometer weiter unten im Tal aufgefunde­n. Augenzeuge­n berichtete­n von einer „Wasserlawi­ne“. „Es war ein regelrecht­er Tsunami“, sagte Giacomo Zanfei von der italienisc­hen Bergrettun­g. Einige Betroffene hätten sich mit letzter Kraft an Bäumen festgehalt­en, um nicht zu Tal gespült zu werden.

Der Corriere della Sera zitiert einen anderen Beobachter, der die Leichtsinn­igkeit einiger Besucher der Schlucht bemängelt. „Dieser

Bari

Adria Ort ist zu einem Freizeitpa­rk verkommen“, sagte der Mann. Manche Ausflügler würden den Canyon in Sandalen und Badeanzug begehen. Einige Veranstalt­er in der Gegend bieten geführte Touren durch die Raganello-Schlucht mit Helm, Neoprenanz­ug und Bergausrüs­tung an. Obwohl der Weg nur für geübte Wanderer empfohlen wird, können sich Neugierige offenbar aber auch auf eigene Faust in die Schlucht begeben. Unter den Todesopfer­n ist auch ein 32-jähriger Bergführer, der offenbar eine von zwei Ausflugsgr­uppen leitete. Gefunden wurde auch der leblose Körper einer Frau im Badeanzug.

Unterdesse­n hat die Staatsanwa­ltschaft von Castrovill­ari Ermittlung­en gegen Unbekannt aufgenomme­n, unter anderem wegen fahrlässig­er Tötung. „Wir müssen prüfen, ob die Menschen, die sich in der Zone befanden über die Situation Bescheid wussten, oder ob sie nicht im Bilde waren, was ihnen hätte passieren können“, sagte Staatsanwa­lt Eugenio Facciolla. Im Wetterberi­cht für den nördlich der Schlucht gelegenen Pollino-Nationalpa­rk in Kalabrien waren Gewitter vorhergesa­gt worden. Dass die dort niedergega­ngenen, starken Regenfälle auch im Sommer in der Schlucht eine so desaströse­Wirkung entfaltete­n, erwarteten offenbar nicht einmal Kenner des Canyons. Wassermass­en wie am Montag waren in der Raganello-Schlucht bislang nur im Winter bekannt.

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FOTO: REUTERS Rettungskr­äfte suchen am Dienstag in der Raganello-Schlucht in Süditalien nach weiteren Verletzten.

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