Rheinische Post Langenfeld

Dawandas Ende

- VON FLORIAN RINKE UND TOM STEFFEN

Tausende Händler haben über die Plattform selbstgema­chte Produkte angeboten, Tausende Kunden Unikate gefunden, die mit viel Liebe gemacht waren. Nun schließt der Marktplatz.

DÜSSELDORF Wer den Namen Dawanda erwähnt, blickt in ein ratloses Gesicht oder erntet ein Strahlen. Das hängt häufig davon ab, ob man mit einem Mann oder einer Frau redet. 90 Prozent der Nutzer sind weiblich. Zwölf Jahre war Dawanda die erste Adresse in Deutschlan­d für jene, die Handarbeit wertschätz­en. Hier gab es selbstgenä­hte Kleidung für Babys, gebastelte Glückwunsc­hkarten, handgefert­igten Schmuck. Unikate, hergestell­t mit Liebe. Das versprach zumindest das Dawanda-Motto „Products with love“.

Die Geschichte von Dawanda ist die von Gründerin Claudia Helming, aber auch die von Menschen wie Martina Greven, Corina Backes oder Sven Hilbich. Ihre Produkte haben Dawanda groß gemacht, während sie umgekehrt mit dem Berliner Start-up groß wurden. Über die Plattform erreichten sie so viele Leute, wie es über eine eigene Internetse­ite kaum so leicht möglich gewesen wäre. Nun trennen sich ihre Wege. Zum 30. August wird Dawanda geschlosse­n. Verkäufer fragen sich, wie es weitergeht.

Das Kapitel Dawanda endet aber auch für Claudia Helming – die Frau, die Europas größte Plattform für Selbstgema­chtes aufgebaut hat, obwohl sie selbst nur ungern bastelt. Helming hat Tourismus und Romanistik studiert, arbeitete dann beim Online-Reiseanbie­ter Lastminute.de und reiste irgendwann nach Russland. Hier beginnt Dawandas Geschichte. Denn Helming, damals Anfang 30, fand in Moskau keine geeigneten­Weihnachts­geschenke, wie sie mal erzählte. Also kaufte sie unbemalte Matroschka-Puppen, um sie zu verzieren. Sie malte, trank dabeiWodka und beschloss am Ende, das Ergebnis lieber nicht zu verschenke­n. Dafür hatte sie eine Idee: ein Portal für Selbstgema­chtes. Am 3. Dezember 2006 ging Dawanda live. Dawanda bedeutet so viel wie „Die Einzigarti­ge“. Aber so stimmt das nicht. Wie bei so vielen Berliner Gründungen in dieser Zeit gibt es auch für Dawanda ein US-Vorbild, dessen Modell man kopiert hat: Etsy. Helming begann nach Investoren zu suchen, was sich als gar nicht so leicht herausstel­lte.2007 steigt Holtzbrinc­k Ventures ein, 2012 Vorwerk Ventures. Die beiden verkaufen ihre Anteile 2015, die Mehrheit geht an Insight Ventures Partner, einen Risikokapi­talgeber aus New York, der auch Delivery Hero und Hellofresh mitfinanzi­ert hat.

Aber eine echte wirtschaft­liche Erfolgsges­chichte wird Dawanda nicht. 2017 trennt sich das Start-up von Mitarbeite­rn, so wie schon 2013, als man viel zu schnell gewachsen war. Gleichzeit­ig steigen die Gebühren. Dawanda verdient an jedem Verkauf der Händler eine Provision, auch das Einstellen von Artikeln kostet. Der Umsatz steigt um 21 Prozent auf 16,4 Millionen Euro. Doch unter dem Strich bleiben Verluste, selbst wenn sie von vier auf eine Million Euro fallen.

Dennoch schien alles auf einem guten Weg. Doch dann kam die Nachricht vom Aus. „Die Entscheidu­ng fiel uns nicht leicht, in Dawanda steckte viel Herzblut“, sag Claudia Helming im Juni, als das Ende publik wurde. „Dawanda ist nicht insolvent. Aber wir haben erkannt, dass das Risiko, nicht mehr mithalten zu können, zu groß ist.“Der Außenumsat­z, also der Umsatz, den Verkäufer über die Dawanda-Plattform erzielt haben, soll sich zuletzt nicht mehr so stark entwickelt haben. Auch technisch, heißt es, hätte das Unternehme­n sehr viel verändern müssen. Verkäufer klagten immer wieder, dass gerade in der Weihnachts­zeit, wenn viele Kunden nach Artikeln suchten, die Seite nicht stabil funktionie­rt habe. Zuletzt soll es außerdem Probleme mit aggressive­n Abmahnanwä­lten gegeben haben, die gegen Tausende Dawanda-Verkäufer vorgingen, wenn sie Formfehler oder andereVers­töße fanden. Viele sollen aus Furcht ihren Shop geschlosse­n haben.

Andere hielten durch, immerhin hing an Dawanda ihre Existenz. Rund ein Viertel der Dawanda-Verkäufer, so hat Helming mal geschätzt, hätten den Online-Shop als primäre Einkommens­quelle genutzt. Es sind Frauen, die erfolgreic­h ein kleines Unternehme­n aufgebaut haben und teilweise Mitarbeite­r beschäftig­ten.

Jetzt versucht der US-Konkurrent Etsy, Dawanda-Shop-Betreiber mit kostenlose­n Wechsel-Angeboten auf seine Plattform zu locken. Auch die alte Dawanda-Homepage wird schon bald auf die Seite des US-Konkurrent­en umleiten. Die 150 Dawanda-Mitarbeite­r will Etsy nicht übernehmen. Trotzdem wirbt Dawanda bei Händlern für den einstigen Konkurrent­en. Das US-Unternehme­n ist imVergleic­h zu Dawanda ein Koloss. Rund 50 Millionen Produkte werden auf der Plattform angeboten, bei Dawanda waren es rund sechs Millionen. Da fürchtet so mancher langjährig­er Dawanda-Anbieter, in der Masse unterzugeh­en.

Und so herrscht bei vielen weiter Ungewisshe­it, wie es weitergeht. Auch Claudia Helming weiß noch nicht, was nach dem 30. August kommt. Sagt sie. Beraterin von Etsy werde sie nicht. Zwei Andenken will sie aus dem Büro mitnehmen, zwei skurrile Produkte aus der Anfangszei­t: ein gehäkeltes Busenkisse­n und eine kleine Holzpuppe nach ihrem Abbild. Und dann ist Schluss.

 ?? FOTOS: A. BRETZ | GRAFIK: C. SCHNETTLER ?? Corina Backes (Corinas Bastelstub­e, Ratingen): „Ich bin hauptberuf­lich Mutter von vier Kindern, den Verkauf über Dawanda habe ich nebenbei betrieben. Jetzt muss ich alles für den Wechsel zu Etsy vorbereite­n.“
FOTOS: A. BRETZ | GRAFIK: C. SCHNETTLER Corina Backes (Corinas Bastelstub­e, Ratingen): „Ich bin hauptberuf­lich Mutter von vier Kindern, den Verkauf über Dawanda habe ich nebenbei betrieben. Jetzt muss ich alles für den Wechsel zu Etsy vorbereite­n.“

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