Die goldenen Zeiten sind vorbei
Der Kurs des Edelmetalls ist deutlich gefallen. Wer jetzt noch Gold hält, verzichtet auf Erträge.
Vielleicht das Wichtigste, was Kinder lernen, sind Millionen Zusammenhänge.Wenn ich auf die Rassel schlage, macht sie ein lustiges Geräusch. Wenn ich laut schreie, kümmert sich jemand um mich. Wenn ich Mamas Handy greife, wird sie hektisch. Unser kompliziertes Leben können wir überhaupt nur bewältigen, weil die Wenn-dann-Sequenzen so zuverlässig funktionieren. Stellen Sie sich als Gegenbeispiel für einen Moment vor, dass Sie die Bremse Ihres Autos betätigen – und nichts passiert. Sie wären zumindest beunruhigt.
An der Börse spielt zwar die Physik keine Rolle. Trotzdem kennen wir auch hier eine große Zahl eingespielter Abläufe.Wenn Notenbanken überraschend Zinssätze anheben, brechen Kurse ein. Wenn ein Unternehmen über Erwarten hohe Gewinne meldet, steigt der Aktienkurs. Und wenn es auf derWelt richtig ungemütlich wird, suchen alle am liebsten Zuflucht im Gold – oder?
Niemand wird abstreiten, dass die Unsicherheit in Wirtschaft und Politik seit Mitte 2017 deutlich zugenommen hat. Raketentests in Nordkorea, abgeschwächtesWachstum, Handelsstreitigkeiten und ein US-Präsident im Alleingang sprechen eine unmissverständliche Sprache. Genau das Umfeld, das die Nachfrage nach Gold und dessen Preis treiben müsste. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus. Ein Anleger bekommt heute für seine Goldmünze oder seinen Barren nicht einmal mehr das, was er im Sommer des vegangenen Jahres dafür bezahlt hat. Selbst über fünf Jahre fällt die Bilanz nicht besser aus. Seit April ist der Kurs wieder deutlich gesunken. Was ist da bloß schiefgelaufen?
Zunächst ist festzuhalten, dass Profis die Vermutung „Gold gleich Krisenschutz“schon immer unter Vorbehalt gesehen haben. Ein anderer Mechanismus, der auch diesmal amWerk war, ist nämlich wesentlich wichtiger – Gold ist ein Nullzinsprofiteur: Da Edelmetalle keinen regelmäßigen Ertrag abwerfen, sind sie reine Spekulationsgegenstände. Das ist nicht weiter schlimm, wenn an- dere flüssige Anlagen wie Kontoguthaben und Festgelder auch keinen Zins abwerfen. Kein Wunder, dass der Goldpreis in der Finanzkrise nach oben schoss, als die Zentralbanken die Zinsen auf null und darunter senkten. Das ist Vergangenheit. Sehr konsequent hebt die US-Notenbank seit 2016 Quartal für Quartal ihre Zinsen um einen Viertelprozentpunkt an. Wer jetzt noch Gold hat, verzichtet wieder auf Erträge – und das wird von Quartal zu Quartal mehr. Kein Wunder, dass so viele sich vom Gold abwenden, es verkaufen und damit den Preis drücken.
Sie mögen einwenden, dass ja speziell die Goldnachfrage aus Asien für Schmuck den Kurs des Edelmetalls unterstützt hat. Und da der Wohlstand in Asien stetig steigt, ist auch mehr Geld für Ketten und Ringe da. Aber das reicht nicht. Zu Zeiten, in denen es keine zuverlässigen Möglichkeiten der Geldanlage in Asien gab, war Goldschmuck ein bevorzugtes Investment. Inzwischen haben sich die Kapitalmärkte jedoch prächtig entwickelt. Wertpapiere sind dort ebenso gut handelbar wie in Europa, Banken gelten als krisenfest, der Zustrom ausländischen Geldes hat enorm zur Leistungsfähigkeit der Börsen beigetragen. Kurz gesagt: die Geldanlage orientiert sich in Asien zunehmend am westlichenVorbild. Da hat Gold weiterhin einen Stammplatz – nur eben nicht mehr im selben Ausmaß wie früher.
Es mag für Investoren hierzulande noch einen Grund geben, Gold zu meiden: Sein Preis in US-Dollar gibt nämlich regelmäßig nach, wenn der Dollar aufwertet. Für Euro-Investoren heißt das: Was sie hier gewinnen, verlieren sie dort gleich wieder. Viel spricht dafür, lieber gleich Dollar-Zinsen zu kassieren.
DER AUTOR IST CHEFANLAGESTRATEGE PRIVATE BANKING HSBC DEUTSCHLAND