Im Seensuchtsland
Das Ruppiner Wasserreich im Norden Brandenburgs gilt als Traumrevier für Hausboot-Törns. Selbstversuch eines Einsteigers.
RHEINSBERG Seen, Seen und nochmals Seen – schon beim Blick auf die Karte wird einem blau vor Augen. Ein Gemälde voller Tupfer und Muster, die von der letzten Eiszeit hingekleckst wurden. Ein Flickenteppich aus hunderten Badewannen, der jedwede Sehnsucht nach Seen problemlos stillt – allein im Ruppiner Land hart an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern.
Auf dieser Mega-Spielwiese für Wasserratten wollen auch wir Landeier unsere Bahn ziehen und einmal im Leben als kühne Freizeitkapitäne auf große Fahrt gehen. Mit einem Hausboot von Rheinsberg nach Lindow schippern; dabei in acht Tagen einen fast kompletten Kreis und zugleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn dieser Törn führt auch zu manch kulturellem Schatz in der Region.
Rheinsberg zum Beispiel: Bevor es an Bord geht, steht das legendäre Schloss auf dem Plan. In dem Barockjuwel am Grienericksee genoss Friedrich II. als Kronprinz die glücklichsten Jahre seines Lebens. Später schwärmte Theodor Fontane von der herrlichen Lage, und auch Kurt Tucholsky war hin und weg – nachzulesen in „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“. Und: Die Stadt ist seit gut 250 Jahren auch eine Hochburg für Spitzen-Keramik – das Museum etwa präsentiert Raritäten aus drei Jahrhunderten.
Dann wird es ernst. Am Yachthafen erklärt Charterboot-Chef Stefan Halbeck in Theorie und Praxis, wie man ein Hausboot manövriert. Wir üben An- und Ablegen, Drehen und Wenden, Ankern und Schleusen. Wir parken ein und wieder aus, auch in enge Lücken und mit Strömung und Wellen. Wir simulieren Maschinenausfall, Grundberührung und Mann über Bord. Alles in allem drei Stunden Einweisung, dann gibt es den Charterschein. Damit bin ich nun stolzer Skipper auf Zeit; meine Frau wird als Leichtmatrose und Smutje ihr Bestes geben.
Die Yacht ist ein knapp zehn Meter langes Schmuckstück. Sie heißt „Moni“und hat keinerlei Allüren, wie sich bald zeigt. Am nächsten Morgen stechen wir in See. Das Gepäck ist verstaut, der Proviant gebunkert, die Räder an der Reling vertäut. Problemlos legen wir ab. Drehen eine Abschiedsfotorunde vor Schloss und Seerosenfeldern und tuckern los. Erst Kurs Nord über den Rheinsberger See, dann mit Westknick zum Mittagsmahl beim Fischer in Flecken Zechlin – über den Großen Zechliner See, der türkis leuchtet wie eine Tropenlagune.
Das liegt auch amWetter. Die Mittagssonne schaut steil ins Wasser und lässt es strahlen. In fast meditativer Stille gleiten wir durch friedliche und intakte Natur, bis die erste Schleuse den Adrenalinpegel hochpumpt. Doch alles läuft wie am Schnürchen. Als wir in Priepert für die Nacht ankern, sind wir rundherum zufrieden und lassen uns von gluckernden Wellen in den Schlaf wiegen.
Tag drei: Zwei Kurven rechts, zwei Kurven links, und schon kommt Fürstenberg/Havel in Sicht. Unterwegs könnte man anlegen in Steinförde und zu Fontanes sagenhaftem Stechlinsee wandern. Eingerahmt von drei blitzblanken Badeseen, warten Stadt- und Havelpark, Barockschloss und die Stadtkirche mit dem größten hängenden Batikteppich Europas.
Nur einen Katzensprung weiter wird es göttlich. Am Stolpsee liegt das idyllische Himmelpfort mit dem berühmtenWeihnachtspostamt. Jedes Jahr zur Adventszeit landen hier abertausende Briefe und Wunschzettel von Kindern aus aller Welt, die samt und sonders beantwortet werden vom Weihnachtsmann und seinen Engeln. Was für Romantiker wiederum ist die Ruine des Zisterzienserklosters, dem der Ort seinen Namen verdankt – Gründerbruder Otto soll dereinst die Schönheit der Landschaft mit der „Pforte zum Himmel“verglichen haben.
Tag vier bis sieben. Es geht nach Süden. Die Havel mäandert anfangs gewaltig, das macht Spaß. Der Ziegenfrischkäse im Capriolenhof an der Schleuse Regow ist ein Gedicht, so wie wenig später auch Ha- velzander und Wiesenrind-Burger in der wundervollen Wassermühle Tornow. Im Seen-Labyrinth vor Zehdenick machen wir fest zum Staunen und Schlafen – am Ziegeleipark Mildenberg. Das irre und riesige Industriedenkmal punktet mit allerlei Attraktionen; hier kann man zum Beispiel Ziegel selbst formen und mit alten Dampflokbahnen übers Gelände und durch die Tonstichlandschaft schnaufen.
Weiter südlich in Liebenwalde stecken wir kurz hinter Gittern – das Heimatmuseum sitzt ein im alten Knast. In Oranienburg liegt der Yachthafen direkt am Schloss – bequemer geht’s nimmer, um den prächtigen Barockbau in Augenschein und den Schlosspark unter die Sandalen zu nehmen. Aber auch die düsterste Seite der Stadt ist Pflicht – der Besuch im Konzentrationslager Sachsenhausen. Zwei pure Naturgenuss-Tage später – in Neuruppin am längsten See Brandenburgs – wird der Landgang zum Lang-Gang, weil es so viel zu entdecken und Gutes zu essen gibt. Apropos: Auch der perfekte Kaffee-Platz liegt direkt am Wasser – das River Café Molchow hinter der Schleuse Alt Ruppin.
Finale in Lindow (Mark). Noch ein proppenvoller Tag. Mit Stopps in romantischen Buchten und auf der Insel Werder mitten im Gudelacksee. Und am Wutzsee, in dem die Granitfigur der Nonne Amalie vor den Überresten des Klosters wacht. Eine Ruine, die es durch Theodor Fontane ebenfalls zu literarischem Ruhm brachte – er widmete ihr fünf Seiten der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“und siedelte sie als Kloster Wutz auch im „Stechlin“an.
Und dann ist endgültig Feierabend. Für „Moni“, die treue Gefährtin auf dem Törn durchs blaue Paradies. Und für uns, die wir so glücklich wie stolz in die sinkende Sonne schauen. Knapp 200 Kilometer haben wir unfallfrei überstanden – über Seen und Kanäle, auf Havel und Rhin und durch 17 Schleusen. Wir sind spaziert um verwunschene Seen und geradelt durch verträumte Dörfer.Wir haben gebadet, wo wir Lust dazu hatten und in Uferlokalen gegessen, was frischer nicht hätte sein können. Und eines ist dabei von Tag zu Tag klarer geworden: Unsere Sehnsucht nach Seen lebt weiter. Jetzt erst recht.
Die Yacht ist ein knapp
zehn Meter langes Schmuckstück. Sie heißt „Moni“und hat keinerlei
Allüren.