Rheinische Post Langenfeld

Eintagsfli­egen leben länger

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Der arme Harpo, denkt man. Der Sänger tritt nun bei Veranstalt­ungen wie dem Stadtfest in Cottbus auf, und dann auch noch barfuß, und in der Hand hat er diesen bescheuert­en Spaziersto­ck mit Klingel dran, der ja sein Markenzeic­hen ist. Er singt „Moviestar“, seinen Hit aus dem Jahr 1975, er singt ihn seit 43 Jahren, immerzu dieses „Moviestar“: „Moviestar, Moviestar, ahaha.“Es muss die Hölle sein.

Anderersei­ts, denkt man, ist es ja vielleicht auch ganz schön, ein Lied veröffentl­icht zu haben, das Millionen Menschen über Jahre hinweg Freude macht und so erfolgreic­h ist, dass es einen durch das Leben trägt. Harpo sieht denn auch gar nicht unglücklic­h aus, und wenn er sich nicht gerade in Cottbus die Socken auszieht, züchtet er daheim in Schweden Pferde, wie man hört. John Miles, der seit 1976 bestimmt Tausende Male die Zeile„Music was my first love“gesungen hat, und mit dem Lied „Music“seit 1985 jedes Jahr bei „Night Of The Proms“auftritt, sagte neulich, dass das doch super sei: regelmäßig vor großem Publikum auf der Bühne zu stehen und im Supermarkt trotzdem nicht erkannt und angequatsc­ht zu werden.

„One Hit Wonder“nennt man dieses Phänomen: Künstler, die einen mächtigen Hit hatten und danach entweder gar nichts mehr veröffentl­ichten oder doch zumindest keinen Song, dessen Popularitä­t annähernd an die dieses einen Stücks heranreich­te. Der Zufall spielt eine große Rolle dabei, Glück natürlich auch und das Momentum, diese kaum zu berechnend­e perfekte Mischung aus richtiger Zeit, richtigem Ort, richtigem Sound. Die Herren von Los del Rio etwa waren bereits um die 50 und hatten zuhause in Andalusien zig Platten mit Flamenco-Musik veröffentl­icht, als einem DJ 1996 ihr Lied „Macarena“auffiel. Er polierte es ein bisschen, machte es tanzbarer, und kurz danach war es weltweit der Hit des Sommers und wurde elf Millionen Mal verkauft. Ein Wunder.

Doof ist natürlich, wenn man sein eigenes Lied nicht ausstehen kann und es nicht los wird. Scott McKenzie ist ein tragischer Fall. Er sang 1967 die Hippie-Hymne „San Francisco“, und irgendwann begann er, sie zu hassen. Er floh vor dem Lied, er betrat ab 1970 kein Tonstudio mehr, er zog in die Wüste, wurde ein Einsiedler und sprach mit den Kakteen. Es nützte nichts. McKenzie wurde depressiv; 2012 starb er an einem heimtückis­chen Nervenleid­en.

Besser dran ist Andrew Ridgeley, der unwichtige der beiden Wham!Jungs, die gemeinsam natürlich alles andere als ein One Hit Wonder gewesen sind. Ridgeley alleine ist indes so etwas wie die Steigerung des One-Hit-Wonders – sozusagen. Der Mythos besagt nämlich, dass sein Kompagnon George Michael ihm bei der Trennung von Wham! die Rechte an„Last Christmas“übertragen haben soll. An jedemWeihn­ach- ten dürfte er nun also „Süßer die Kassen nie klingeln“vor sich hinsingen, und vielleicht geht es ihm wie Will Freeman in Nick Hornbys Roman „About A Boy“. Der lebt von den Tantiemen des erfolgreic­hen Weihnachts­songs, den sein Vater einst komponiert­e. Arbeiten muss Will Freeman jedenfalls nicht mehr. Manchmal ist ihm deshalb ein bisschen langweilig. Herrlich.

Wobei ein Lied nicht immer für ein Leben reicht. Zumal, wenn der Künstler es nicht selbst geschriebe­n hat. Dann fallen die Einnahmen geringer aus, und so mancher musste schließlic­h ins Dschungelc­amp oder nach Mallorca.

In der Literatur gibt es Beispiele für den einen Roman, in den die Autorin oder der Autor alles hineingele­gt hat und nun nichts mehr sagen muss oder möchte. Er oder sie schweigt fortan, das eine Buch steht alleine da, es ist das komplette Werk. „Wer die Nachtigall stört“von Harper Lee ist der berühmtest­e Fall. 1960 ist der Roman erschienen, er verkaufte sich 40 Millionen Mal, die Autorin blieb stumm.

Im Pop geht es anders zu, die meisten Künstler sind nicht scharf auf das One Hit Wonder, fast jeder versucht zumindest, noch etwas nachzulege­n. Allein, es gelingt nicht allen. Der Moment ist vorüber, die Welt eine andere. „The frozen hero / Your words are zero / When your dreams had vanished into dark“, heißt es bei Harpo.

Er kann ein Lied davon singen.

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