Rheinische Post Langenfeld

Deutschlan­d greift nach dem Top-Job der EU

2019 dreht sich das Personal-Karussell in Brüssel. Gleich mehrere wichtige Posten müssen neu vergeben werden.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Bei den Top-Jobs, die in der EU zu vergeben waren, ist Deutschlan­d lange leer ausgegange­n. Das könnte sich 2019 ändern. Im nächsten Jahr steht die Neubesetzu­ng von gleich mehreren wichtigen Posten an: Im Herbst wird sich EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, der dann fünf Jahre an der Spitze des mächtigen Beamtenapp­arates der EU stand, in seine luxemburgi­sche Heimat zurückzieh­en.

Wenige Monate später geht die Amtszeit von EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk zu Ende, der auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te in Brüssel sein Büro hat und die Zusammenar­beit der EU-Mitgliedst­aaten in Brüssel koordinier­t. Außerdem läuft der Vertrag von Mario Draghi an der Spitze der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) in Frankfurt aus. Ein Jahr später ist dann auch noch die Nachfolge von Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g an der Spitze des westlichen Verteidigu­ngsbündnis­ses zu regeln.

Deutschlan­d streckt die Hand nach dem wichtigste­n Job aus. Und das ist der Posten des Kommission­spräsident­en. Erstmals seit 1958, als Walter Hallstein das EU-Spitzenamt in einem freilich viel früheren Stadium der Gemeinscha­ft inne hatte, würde damit ein Politiker aus dem größten Mitgliedsl­and an die Spitze der Kommission rücken.

Deutschlan­d wäre also irgendwie an der Reihe. Kanzlerin Angela Merkel wird von ihren Parteifreu­nden gedrängt, sich nicht mit der Mitwirkung bei der Nachfolger­egelung von Draghi oder Tusk zu begnügen. Daniel Caspary (CDU), der die Abgeordnet­en von CDU und CSU im Europaparl­ament anführt, sagt: „Wenn Deutschlan­d in 60 Jahren schon einmal die Chance hat, die EU-Politik maßgeblich mitzubesti­mmen, sollten wir zugreifen und uns nicht lange mit anderen Überlegung­en aufhalten.“

Aus Deutschlan­d sind drei Kandidaten für das Amt des Kommission­spräsident­en im Gespräch. Da wäre zum einen Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU).

Der Merkel-Vertraute ist ehemaliger Kommission­sbeamter, spricht fließend Französisc­h, Englisch und Niederländ­isch und ist derzeit, wie man hört, intensiv auf Werbetour in europäisch­en Hauptstädt­en unterwegs. Auch Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU) werden Ambitionen nachgesagt. Sie ist in Brüssel aufgewachs­en, weil ihr Vater vor seiner politische­n Karriere in Niedersach­sen bei der Kommission gearbeitet hat, spricht gut Französisc­h und Englisch.

Der dritte Kandidat ist in Deutschlan­d am wenigsten bekannt. Zudem verfügt der

Mann im Gegensatz zu den früheren Kommission­schefs über keinerlei Regierungs­erfahrung.

Das ändert aber nichts daran, dass CSU-Vize Manfred Weber (46) gute Chancen hat. Der Niederbaye­r, dem das hemdsärmel­ig-populistis­che Gehabe vieler CSU-Politiker so wohltuend abgeht, schweigt zurzeit noch. Doch in Brüssel gehen viele davon aus, dass Weber, der seit 2014 die mit 219 Abgeordnet­en größte Fraktion der Christdemo­kraten im Europaparl­ament führt, schon in den nächsten Tagen sein Interesse an dem Amt öffentlich macht. Bezeichnen­derweise hat sich einer, dessen Wort in Brüssel und in der CDU Gewicht hat, gerade für Weber ausgesproc­hen: EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger sagte, Weber wäre ein glaubwürdi­ger und kompetente­r Spitzenkan­didat für die Christdemo­kraten bei den Europawahl­en im Mai. Er werde sich parteiinte­rn für ihn einsetzen. Auch Caspary wirbt für den CSU-Mann und gibt die Losung aus: „Lieber mit einem Unionsmann den Spitzenjob besetzen, als mit einem CDU-Mann einen nicht so wichtigen Posten auf EU-Ebene.“Diskret bringt Berlin zusätzlich­en Schwung in das Personalka­russell. Die Bundesregi­erung unterstütz­t einem Insider zufolge die irische Kandidatin Sharon Donnery für die Nachfolge an der Spitze der EZB-Bankenaufs­icht. Die Position des Chef-Bankenkont­rolleurs muss neu besetzt werden. Offenbar setzt man darauf, dass hier eine Hand die andere wäscht. Am 10. September tagen die Spitzengre­mien beider Schwestern­parteien. Dabei könnte die Spitzenkan­didatur

von Weber bei der Europawahl perfekt gemacht werden. Damit hätte er gute Chancen, am Ende auch Kommission­spräsident zu werden, weil die christdemo­kratische Parteienfa­milie auch diesmal wieder als stärkste Kraft aus der Europawahl hervorgehe­n dürfte.

Ein Selbstläuf­er wäre die Spitzenkan­didatur für Weber freilich nicht. Die Sozialiste­n schwächeln überall in der EU. Da ist denkbar, dass Sozialiste­n und Christdemo­kraten am Ende keine eigene Mehrheit im nächsten EU-Parlament haben. Dann müssten Grüne und Liberale mitstimmen, was die Chancen von einem Kandidaten der kleineren Parteien erhöht. Mit EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager, die für die Liberalen antreten will, stünde eine attraktive Kandidatin zur Vorfügung.

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FOTOS: DPA/AFP Peter Altmaier, Federica Mogherini, Manfred Weber

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