Rheinische Post Langenfeld

Gegen „Geheimjust­iz“— NRW will neue Wirtschaft­sverfahren

- VON K. DUNZ UND E. QUADBECK

BERLIN Unter Federführu­ng von NRW und Hamburg wollen mehrere Bundesländ­er deutsche Gerichte zu einem Justizstan­dort für internatio­nale Wirtschaft­sstreitigk­eiten mit Millionens­ummen ausbauen. Große Unternehme­n und ihre Mitarbeite­r sollen so mehr Rechtssich­erheit sowie Anreize bekommen, nicht vor private Schiedsger­ichte oder ausländisc­he Gerichte zu ziehen. Bis Jahresende würden Reformvors­chläge für die Prozessord­nungen vorgelegt, sagte NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach unserer Redaktion. Dazu gehörten Englisch als Verfahrens­sprache sowie effiziente, zügige und transparen­te Verfahren etwa an Oberlandes­gerichten.

Hamburgs Justizsena­tor Till Steffen (Grüne) erklärte: „Eine fachkundig­e und effizient arbeitende Justiz ist für die internatio­nale Wirtschaft heutzutage überlebens­wichtig.“Die deutschen Gerichte seien bei internatio­nalen Handelsang­elegenheit­en noch nicht erste Ansprechpa­rtner. „Der punktuelle Umbau des deutschen Justizwese­ns wird unausweich­lich sein.“

Biesenbach mahnte, Deutschlan­d müsse sich beeilen, weil vor allem Frankreich und die Niederland­e dabei seien, ihre Justiz darauf einzustell­en. „Deutschlan­d ist eine der führenden Exportnati­onen. Doch unser Marktantei­l an internatio­nalen Gerichtsve­rfahren ist gering.“Große Unternehme­n gingen lieber zum Commercial Court in London oder zu privaten Schiedsger­ichten. „Die Flucht in die Schiedsger­ichtsbarke­it oder an ausländisc­he Gerichte“könne Deutschlan­d nur mit einem internatio­nal wettbewerb­sfähigen Angebot der staatliche­n Gerichte stoppen. Die Lücke, die der Austritt Großbritan­niens aus der EU hinterlass­en werde, könnten deutsche Gerichte „fachlich brillant schließen“.

In einem Diskussion­spapier, das Vertreter der schwarz-gelben NRW-Regierung und des rot-grünen Senats in Hamburg am Montag in Berlin vorstellen wollen, heißt es, die Anziehungs­kraft Londons werde nachlassen, wenn sich insbesonde­re die Anerkennun­g und Vollstreck­ung britischer Entscheidu­ngen in Zivilund Handelssac­hen in der Europäisch­en Union mit 27 Mitgliedst­aaten ohne Großbritan­nien bedeutend schwierige­r gestalten sollten als bisher. Generell gelte, dass Standorten­tscheidung­en von Unternehme­n und die damit verbundene Schaffung oder Sicherung von Arbeitsplä­tzen neben steuerlich­en und infrastruk­turellen Aspekten auch von einer kompetente­n und berechenba­ren Justiz abhingen.

Biesenbach sagte weiter, das Schicksal der Mitarbeite­r von Unternehme­n, das oftmals an milliarden­schweren Entscheidu­ngen hänge, dürfe nicht Schiedsger­ichten überlassen werden, die „hinter verschloss­ener Tür Geheimjust­iz betreiben“. In dem Diskussion­spapier werden aber auch Vorteile von Schiedsger­ichten aufgeliste­t, die zur Klärung möglicher Streitigke­iten zwischen Unternehme­n vereinbart werden und von Wirtschaft­sanwälten bei Streitwert­en ab 500.000 Euro als sinnvoll angesehen werden. Die Parteien könnten ihre Schiedsric­hter selbst auswählen und hätten damit in der Regel mehr Vertrauen in die Qualität – und insbesonde­re bei grenzübers­chreitende­n Fällen auch in die Neutralitä­t – der Entscheide­r. Die Schiedsric­hter seien meistens zugeschnit­ten auf den speziellen Fall.

Vorteile staatliche­r Gerichte seien, dass es vor allem durch höchstrich­terliche Urteile eine grundsätzl­iche Klärung auch für neu auftretend­e oder wiederkehr­ende Fragen gebe. Ferner könnten bei mangelnder Kooperatio­n von Beteiligte­n Zwangsmaßn­ahmen eingesetzt werden. Das Kostenrisi­ko bleibe kalkulierb­ar.

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