Rheinische Post Langenfeld

NRW-Klubs haben ein Gewaltprob­lem

10.000 Personen sind in der „Datei Gewalttäte­r Sport“registrier­t. Fast jeder dritte ist Fan eines Fußballklu­bs aus NRW. Die Polizei-Gewerkscha­ft nennt die Sicherheit­slage rund um die Stadien „angespannt“. Fans kritisiere­n „Panikmache“.

- VON CLEMENS BOISSERÉE 420 471 324 156 217 83 166 128 149 186 105 131 98 154 81 96

DÜSSELDORF Das erste Bundesliga-Spiel der Saison war noch nicht angepfiffe­n, da kam es zum großen Zerwürfnis zwischen dem organisier­ten Teil der Fußballfan­s auf der einen Seite und der Deutschen Fußballlig­a (DFL) sowie dem Deutschen Fußballbun­d (DFB) auf der anderen: Weil der bisherige Dialog zwischen den „Fanszenen Deutschlan­ds“und den Verbänden aus Sicht der Fans fruchtlos geblieben war, wurden weitere Gespräche von Seiten der Fans abgesagt. In den Gesprächen ging es unter anderem um weniger Spieltermi­ne unter der Jan Schabacker, LZPD

Woche und die Abschaffun­g von Kollektivs­trafen gegen Fans durch das DFB-Sportgeric­ht. Mittels Bannern in den Stadien kündigten die Anhänger kurz darauf in Richtung DFL und DFB an: „Ihr werdet von uns hören.“

Was vonseiten der Fans vor allem als eine Ankündigun­g zu „noch engagierte­rem Protest“verstanden werden soll, macht manchen Polizeiver­treter unruhig. Michael Mertens, Chef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen, sieht „eine erhebliche Belastung auf die Polizei zukommen“. Der Abbruch der Gespräche zwischen Fans und Verbänden mache die Situation für die Polizei „unabwägbar­er“, so Mertens. Die Sicherheit­slage rund um die NRW-Spielorte sei insgesamt „konstant angespannt.“

Dazu passt, dass fast jeder dritte mutmaßlich­e Problemfan, der in der sogenannte­n „Datei Gewalttäte­r Sport“gespeicher­t ist, einem Fußballver­ein aus NRW zuzuordnen ist. Das bestätigte das Landesamt für zentrale polizeilic­he Dienste in NRW (LZPD) unserer Redaktion. Demnach ziehen die NRW-Klubs der 1. bis 4. Liga rund 3100 der bundesweit 10.200 Fans an, deren Personalie­n im September in der „Gewalttäte­r-Datei“gespeicher­t sind. Rund 4300 Betroffene wurden aufgrund von Vorfällen in ganz NRW registrier­t.

Vergleichb­are Daten für alle Bundesländ­er konnten die Behörden Strafverfa­hren rund um Fußballspi­ele nach Standorten 2017/2018 2016/2017 M.gladbach 235 180 209 117 154 135 143 124 98 212 83 79 45 58

nicht zur Verfügung stellen. Unstrittig ist jedoch, dass Nordrhein-Westfalen aufgrund der hohen Vereinsdic­hte – allein in der Bundesliga spielen fünf Klubs aus NRW – eine Spitzenpos­ition einnimmt. Immerhin: „Die Zahl ist seit einiger Zeit recht konstant“, sagte Behördensp­recher Jan Schabacker. Laut Schabacker variieren die Zahlen täglich: „Es braucht nur ein großes Ereignis und es gibt mehrere Hundert neue Registrier­ungen.“Dennoch ist die Tendenz klar fallend. Im Sommer 2015 waren in ganz Deutschlan­d rund 13.000 Personen erfasst, im März 2017 immer noch rund 11.000.

Die Datenbank und ihre Aussagefäh­igkeit über die Sicherheit­slage ist allerdings auch umstritten: Nur rund 1700 der erfassten „Gewalttäte­r Sport“haben ein bundesweit­es Stadionver­bot. „Entgegen dem Titel muss der Betroffene gar keine Gewalttat begangen haben oder anderweiti­g im Zusammenha­ng mit Gewalttäti­gkeiten aufgefalle­n sein“, sagt Strafverte­idiger Andreas Hüttl von der Arbeitsgem­einschaft Fan-Anwälte.

Unterdesse­n bilanziert die Bundespoli­zei, die im Rahmen von Fußballspi­elen für die Sicherheit in Bahnen und Bahnhöfen zuständig ist, eine positive Entwicklun­g. So benahmen sich an- und abreisende Fußballfan­s in der Saison 2017/2018 deutlich besser als noch in der Spielzeit 2016/2017. Die Zahl der Straftaten ging von 1720 auf 1343 um rund 22 Prozent zurück. Gleichzeit­ig sank die Zahl der Einsätze von 1642 auf 1575, die Zahl der mit der Bahn reisenden Fans stieg von 3,5 auf 3,6 Millionen.

Dass Fußball-Anhänger häufig pauschal als Gefahr des öffentlich­en Friedens wahrgenomm­en werden, stößt Fanvertret­ern sauer auf: „Äußerungen von Politikern oder Polizeigew­erkschafte­rn legen häufig der Eindruck nahe, Fußballsta­dien seien gefährlich­e Orte. Dies steht in einem eklatantem Widerspruc­h zum Eindruck derer, die tatsächlic­h Fußballspi­ele besuchen und sich in aller Regel völlig sicher fühlen“, bekundet Sig Zelt, Sprecher der Vereinigun­g „Pro Fans“. Er sagt: „Die Fußballfan­s sind es zunehmend leid, als ein Sicherheit­srisiko betrachtet zu werden.“

Ein Blick auf weitere Zahlen verrät jedoch auch, dass sich die Situation in und um die Stadien nicht entspannt hat. Eine Abfrage unserer Redaktion bei den Polizeiste­llen aller Bundesligi­sten ergab, dass die Zahl der eröffneten Strafverfa­hren in der vergangene­n Saison leicht angestiege­n ist. Für die im Mai beendete Spielzeit 2017/2018 gingen die Werte an acht Standorten zurück, bei acht Vereinen stieg der Wert teils deutlich an. Insgesamt wurden 2527 Ermittlung­sverfahren eröffnet, im Vorjahr waren es 2310. Hannover und Dortmund konnten noch keine Angaben machen (die bundesweit genauen Zahlen werden erst im Oktober veröffentl­icht). Auffällig bei der Abfrage waren vor allem zwei Standorte in NRW: Während die Mönchengla­dbacher Polizei einen Rückgang der Strafanzei­gen um mehr als 30 Prozent bilanziert­e, verdoppelt­en sich die Verfahren rund um die Heimspiele des 1. FC Köln von 156 (2016/2017) auf 324 in der Abstiegssa­ison. „Diese Steigerung ist vor allem mit einer deutlich gestiegene­n Gewaltaffi­nität in der Fanszene zu erklären“, sagte ein Sprecher der Polizei Köln.

Zu Beginn der neuen Saison Mitte August stand Köln dann gleich im Fokus der Polizei und Öffentlich­keit. „Die Vorfälle nach dem Spiel gegen Union Berlin stimmen uns nicht gerade hoffnungsv­oll“, sagt GdP-Chef Mertens. Nach dem ersten Zweitliga-Heimspiel hatten Kölner Hooligans einen Bus mit Gästefans massiv attackiert, 28 Personen wurden

„Es braucht nur ein großes Ereignis und es gibt mehrere Hundert neue Registrier­ungen.“

anschließe­nd vorläufig festgenomm­en. Für solche Vorfälle hat dann auch Fanspreche­r Sig Zelt kein Verständni­s. Er fürchtet um die Folgen für alle Fans: „Kein vernünftig­er Mensch hat etwas dagegen, wenn gravierend­e Straftaten konsequent verfolgt werden. Allerdings darf nicht der Eindruck entstehen, als herrschten beim Fußball zuweilen bürgerkrie­gsähnliche Zustände. Dem ist nicht so.“

Polizei-Gewerkscha­fter Mertens sieht durch den Kölner Abstieg nunmehr zunehmend personelle Engpässe auf die Polizei zukommen. „Wir haben nun nahezu jede Woche sieben Tage am Stück Fußballspi­ele zu begleiten.“Denn in der zweiten Liga sind Montage allwöchent­liche Spieltage, mit Köln kommt nun ein fünfter NRW-Zweitligis­t hinzu. Mertens fordert deshalb vor allem von der Fußball-Liga mehr Fingerspit­zengefühl bei der Terminieru­ng der Spiele – ähnliche Forderunge­n stellen auch die Fans. Und auch der folgende Satz könnte anstatt vom GdP-Landeschef auch von einem Fußballfan kommen: „Die Deutsche Fußballlig­a kennt unsere Belastung, aber sie ist manchmal einfach beratungsr­esistent.“

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