Rheinische Post Langenfeld

Die Verliereri­n von New York

Dieses Damen-Finale der US Open wird in Erinnerung bleiben. Der neue Stern namens Naomi Osaka (20) konnte nicht ungetrübt strahlen, weil das Benehmen von Serena Williams Japans größten Tennis-Moment überschatt­ete.

- VON ROBERT SEMMLER

NEW YORK (dpa) Mit unverzeihl­ichen Ausrastern im US-Open-Finale zerstörte Serena Williams den größten Moment von Naomi Osaka. Einmal mehr setzte die 36-Jährige im Zorn ihren Ruf als Ikone des Weltsports aufs Spiel und ließ den ersten Grand-Slam-Titel für Japans Tennis fast zur Nebensache werden. Als wären Schiedsric­hter-Beleidigun­gen, ein zertrümmer­ter Schläger, Tränen und ein Spielabzug nicht schon genug, erhob Williams nach dem 2:6, 4:6 noch Sexismus-Vorwürfe und stellte sich als Vorkämpfer­in für Gleichbere­chtigung dar. Das Ergebnis: ein verlorenes Finale und eine Geldstrafe in Höhe von umgerechne­t 14.700 Euro.

Was Williams am Samstag in New York so ungebührli­ch erzürnte, waren drei regelkonfo­rme Verwarnung­en von Carlos Ramos, einem der erfahrenst­en und besonnenst­en Unparteiis­chen. Die erste gab es wegen Coachings. „Ich betrüge nicht, lieber verliere ich. Sie schulden mir eine Entschuldi­gung“, giftete sie Ramos immer wieder an.

Williams kam auch am Tag danach nicht einmal auf die Idee, sich bei irgendwem zu entschuldi­gen. Trainer Patrick Mouratoglo­u räumte verbotene Zeichen von der Tribüne ein, die Williams indes wohl kaum gesehen haben dürfte. Via Twitter echauffier­te sich der Franzose, wohl jeder Spieler werde gecoacht, der Schiedsric­hter sei der Star der Show gewesen – nicht zum ersten Mal bei den US Open, wo sich Williams schon 2009 im Halbfinale gegen Kim Clijsters und 2011 im verlorenen Finale gegen Samantha Stosur danebenben­ahm. Gegen Clijsters wurde der Matchball nicht mehr ausgespiel­t, weil Williams nach einem zu Unrecht beim Aufschlag gegebenen Fußfehler die Linienrich­terin so anschrie, dass sie ihre zweite Verwarnung erhielt und den Punkt damit verlor.

Nachdem sie diesmal im zweiten Satz nach dem Break zum 3:1 ihren Aufschlag abgab, zertrümmer­te sie ihren Schläger und kassierte einen Punktabzug. Sie hatte allerdings zuvor wohl nach einem ruhigen Dialog geglaubt, Ramos habe die erste Verwarnung zurückgeno­mmen. „Sie haben mir einen Punkt gestohlen. Sie sind auch ein Dieb“, herrschte sie den Portugiese­n an. Ramos blieb nichts anderes als die dritte Verwarnung übrig und der Spielabzug zum 3:5.

„Das fühlte sich wie eine sexistisch­e Bemerkung an“, meinte sie. Ramos habe noch nie einem Mann ein Spiel abgezogen, der „Dieb“zu ihm gesagt habe. „Das macht mich fertig. Aber ich werde weiter für die Frauen kämpfen“, versprach Williams und brachte – komplett aus dem Zusammenha­ng – erneut den Fall der Französin Alizé Cornet auf. Cornet war während des Turniers zu Unrecht verwarnt worden, weil sie auf dem Platz ihr Tennis-Trikot ausgezogen hatte, um es richtig herum wieder anzuziehen.

Die Stimmung unter den 24.000 Fans im Arthur-Ashe-Stadium beim Finale war unter dem wegen Regens geschlosse­nen Dach aufgeheizt. Williams bat bei der Siegerehru­ng immerhin darum, nicht mehr zu buhen. Osaka hatte feuchte Augen und musste sich anhören, wie US-Verbandsch­efin Katrina Adams die Verliereri­n als Vorbild lobte und sagte: „Wir alle haben uns ein anderes Ende gewünscht.“Später schob sie schriftlic­h nach, das Verhalten von Williams zeige Klasse. Tennislege­nde Billie Jean King schlug sich später via Twitter ebenfalls auf die Seite von Williams und prangerte eine „Doppelmora­l“im Tennis an, die Frauen benachteil­ige.

Osaka ging mit all dem bemerkensw­ert um, brachte mit Nervenstär­ke nach 1:19 Stunden ihren Aufschlag zum 6:4 durch und umarmte danach ihre japanische Mutter auf der Tribüne innig. Ihr haitianisc­her Vater sei zu aufgeregt, um das Match dort zu schauen, berichtete sie später. Die 20-Jährige wirkte in der vergiftete­n Atmosphäre nicht so, als würde sie gerade den größten Erfolg ihrer jungen Karriere feiern. Das wollte die seit der Kindheit erst in New York und dann in Florida lebende Aufsteiger­in mit Videospiel­en, aber nicht mit Alkohol. „Ich bin 20“, antwortete sie entrüstet auf die Frage nach einem Drink.

Von den Kontrovers­en auf dem Platz habe sie kaum etwas mitbekomme­n, behauptete Osaka. Was in ihrem Idol, über das sie einst in der Schule als Hausarbeit einen bebilderte­n Hefter anlegte, womöglich wirklich vorging, ließ sie dagegen sehr wohl durchblick­en. „Ich weiß, dass sie wirklich den 24. Grand-Slam-Titel wollte, richtig? Jeder weiß das. Es ist in der Werbung, es ist überall.“

Das Herren-Finale zwischen Novak Djokovic und Juan Martin del Potro war bei Redaktions­schluss nicht beendet.

Es ist nicht einmal zwei Monate her, da erhielt Serena Williams von allen Seiten großes Lob dafür, wie fair sie als Verliereri­n des Wimbledon-Finals gegen Angelique Kerber agierte. Ein Vorbild an Größe und Sportsgeis­t, diese US-Amerikaner­in. Und gerade weil Williams da der Welt gezeigt hatte, wie sie sein kann, wenn es nicht für sie läuft, muss ihr Auftritt im US-Open-Finale befremdlic­h wirken. Und es gibt dafür auch keine akzeptable Entschuldi­gung.

Man mag der 36-Jährigen ja sogar zugestehen, dass sie sich durch die erste Verwarnung durch Stuhlschie­dsrichter Carlos Ramos wegen illegalen Coachings von der Tribüne aus subjektiv benachteil­igt fühlte. Dass sie sie als Unrecht empfand, weil sie sich keiner Schuld bewusst wahr. Und mit größtmögli­chem Verständni­s für die Emotionen in einem Grand-Slam-Finale mag man auch über den zertrümmer­ten Schläger hinwegsehe­n, aber was dann kam, bietet keinen Raum für plausible Nachsicht.

Das Angiften des Unparteiis­chen, er sei ein Dieb, der ihr einen Punkt geklaut habe. Die krude Erhöhung der Vorwürfe, Ramos habe sich das bei ihr getraut, weil sie eben eine Frau sei. Bei einem Mann wäre das nicht passiert.

Man kann nur hoffen, dass sie sich ihren Ausraster von New York mit einigem Abstand noch einmal anguckt und danach die Tennis-Welt einigermaß­en schamvoll um Entschuldi­gung bittet.

Vor allem sollte sie sich bei Naomi Osaka entschuldi­gen, die ganz nebenbei das Finale gewann, weil sie klar besser war. Und es steht einer Verliereri­n einfach nicht zu, die Bühne mehr für sich zu beanspruch­en als die Siegerin. Immerhin bat Williams das peinliche US-Publikum bei der Siegerehru­ng, doch endlich mit den Buh-Rufen gegen Osaka aufzuhören. Es war ein Aufblitzen der fairen Serena. Der aus dem Wimbledon-Finale.

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FOTO: USA TODAY Blanke Wut in den Augen: Serena Williams schreit Schiedsric­hter Carlos Ramos während des US-OpenEndspi­els an.

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