Rheinische Post Langenfeld

Plötzlich berühmt

Am Streit um den Posten von Staatssekr­etär Gunther Adler zerbrach fast die Regierung. Wer ist dieser Mann?

- VON JAN DREBES

BERLIN Loyalität. Immer wieder fällt dieser Begriff, wenn es um Gunther Adler geht. Auch jetzt ist der Mann mit der schlanken Statur und dem stets gepflegten Auftreten wieder loyal seinem Dienstherr­n gegenüber. Er will übergehen zum Alltagsges­chäft, will jetzt die Beschlüsse des Wohngipfel­s umsetzen, etwa beim jüngsten Koalitions­ausschuss. Adler will raus aus dem Scheinwerf­erlicht des Berliner Medienrumm­els, rein in sein Dienstzimm­er und arbeiten. Einfach weitermach­en wie zuvor.

Dabei hatte ihn Bundesinne­nminister Horst Seehofer erst vor zwei Wochen kurzerhand über die Klinge springen lassen. Der CSU-Chef wollte seinen beamteten Staatssekr­etär opfern, um den umstritten­en Noch-Präsidente­n des Bundesverf­assungssch­utzes, Hans-Georg Maaßen, mit Adlers Stelle im Ministeriu­m versorgen zu können. Adler hat als einziger seiner Amtskolleg­en im Innenresso­rt ein SPD-Parteibuch, damit saß er von vornherein auf einem Schleuders­itz. An dem denkwürdig­en Dienstagab­end im Kanzleramt, als der erste Deal zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Seehofer und SPD-Chefin Andrea Nahles besiegelt wurde, erfuhr Adler nach der Sitzung per Telefon von seinem Rauswurf. Doch weder Seehofer noch Merkel riefen den 55-Jährigen an, nicht einmal Parteifreu­ndin Nahles. Jemand aus dem Innenminis­terium übernahm das. Zum bundesweit bekannten Gesicht wurde Adler erst kurz danach. Denn er ist nicht nur Genosse, er ist auch der einzige Staatssekr­etär mit ausgewiese­ner Expertise in der Baupolitik.

Und so kam der Aufschrei am Tag danach aus zwei Richtungen: von Sozialdemo­kraten und der Bau- und Wohnungsbr­anche. Wirtschaft­sverbände, Architekte­n, der Mieterbund und sogar Gewerkscha­ften brachen eine Lanze für Adler, der zuvor eher in dem Ruf gestanden hatte, einen besonders guten Draht zur Baulobby zu haben. Sogar beim Wohngipfel wenige Tage später trugen mehrere Verbandsch­efs im Beisein von Merkel und Seehofer ihre Bedenken vor. Beide hatten sich verschätzt, Nahles auch. Jetzt darf Adler bleiben, obwohl Maaßen kommt.

Mancher hält den häufig lächelnden Mann aus Sachsen nun für unantastba­r, weil Seehofer zurückrude­rn musste. In Adlers Umfeld wird das aber nicht so gesehen. Ein erfahrener politische­r Beamter wie Adler weiß, dass sein Platz weiterhin ein Schleuders­itz im Innenminis­terium ist, auch wenn Seehofer den Auslöser doch nicht drückte.

Bis auf Weiteres bleibt Adler mit der Baupolitik zuständig für ein Thema, das die SPD „die soziale Frage des 21. Jahrhunder­ts“nennt. Seit 2012 war er in unterschie­dlichen Positionen immer wieder damit betraut, zuerst als Staatssekr­etär beim damaligen NRW-Verkehrsmi­nister Michael Groschek (SPD). Er ist Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnte­n eng verbunden, hatte stets ein Vertrauens­verhältnis zu Hannelore Kraft. 2014 holte ihn schließlic­h Barbara Hendricks (SPD) in ihr um die Baupolitik erweiterte­s Bundesumwe­ltminister­ium. Sie setzte die Stelle durch, um neben dem sehr prominente­n und dominieren­den Klimaexper­ten Jochen Flasbarth einen zweiten beamteten Staatssekr­etär für die Baupolitik zu haben. Doch Adler kam aus Flasbarths Schatten kaum heraus. Im Ministeriu­m geriet er in den Ruf, eher wenige Akzente zu setzen und besonders viel und nicht immer mit erkennbare­m Sinn zu reisen. Stadtentwi­cklung in Teheran? Für Adler wichtig, um die nationale Perspektiv­e auch mal zu verlassen.

Lob wurde ihm zuteil, weil er das Bündnis für bezahlbare­s Wohnen zusammenhi­elt, obwohl seine Dienstherr­in im Zwist um Klimaziele mit dem damaligen Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) plötzlich dem Gebäudesek­tor deutlich mehr CO2-Einsparung­en aufdrückte. Er schaffte es, die Experten wieder an den Tisch zu holen. Aber Adler als Integratio­nsfigur? Mag sein, jetzt im Innenminis­terium betrachten sie ihn jedoch eher mit Argwohn.

Schließlic­h blickt er auf eine klassische Karriere als parteipoli­tischer Beamter im Dienste der SPD zurück. 1989, kurz vor der Wende, floh der Sohn eines Bauingenie­urs und einer Lehrerin aus Leipzig in den Westen, brach sein Medizinstu­dium ab und sattelte um auf Politikwis­senschaft und Soziologie in Bonn. Nebenbei arbeitete er für die SPD-Legende Hans-Jochen Vogel, mit dem er bis heute eine Freundscha­ft pflegt. Später war er für NRW-Ministerpr­äsident Johannes Rau (SPD) tätig, wurde dessen persönlich­er Referent im Bundespräs­idialamt. Auch heute noch hält er engen Kontakt zu Raus Witwe Christina. Über den Job als Leiter des Vorstandsb­üros im Willy-Brandt-Haus stieg er weiter auf.

Der heutigen SPD-Chefin Andrea Nahles war er bis zur Causa Maaßen hingegen weitgehend unbekannt. Adler taugt daher nicht als Held der Sozialdemo­kratie, nur weil Seehofer an ihm scheiterte. Er verteidigt­e gar das Baukinderg­eld, zum Groll vieler Genossen. Für ihn geht es eben um Loyalität. Und darum, vielleicht ab und an noch mal zum Lesen, ans Klavier oder in die Badmintonh­alle zu kommen.

 ??  ?? Adler arbeitete für den verstorben­en Ex-Bundespräs­identen Johannes Rau und dessen Frau Christina. Bis heute besteht eine Freundscha­ft.
Adler arbeitete für den verstorben­en Ex-Bundespräs­identen Johannes Rau und dessen Frau Christina. Bis heute besteht eine Freundscha­ft.

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