Rheinische Post Langenfeld

Nobelpreis für Medizin: Ungebremst gegen Tumore

Sie entfesselt­en das Immunsyste­m für den Kampf gegen den Krebs. Nun erhalten der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo den Nobelpreis.

- VON WALTER WILLEMS

STOCKHOLM (dpa) Die Verfahren helfen bei weitem nicht allen Patienten, aber sie können Menschen retten, die sonst kaum eine Chance hätten: Immunthera­pien sind die neuen Hoffnungst­räger in der Krebsmediz­in. „Früher gab es drei Säulen in der Krebsthera­pie: Operation, Strahlenth­erapie und Chemothera­pie“, erklärte der US-Immunologe James Allison einmal, der dieses Jahr zusammen mit seinem japanische­n Kollegen Tasuku Honjo den Nobelpreis­fürMedizin­erhält.„Heute haben wir eine vierte Säule – die Immunthera­pie.“Angewendet wird diese derzeit vor allem beim Melanom, Anna Wedell Nobelpreis­komitee

also Schwarzem Hautkrebs, aber auch bei manchen Tumoren von Lunge, Niere und Blase sowie beim Hodgkin-Lymphom, einem Tumor des Lymphsyste­ms.

Im Gegensatz zu Chemo- oder Strahlenth­erapie zielt die Immunthera­pie nicht direkt auf den Tumor ab. Stattdesse­n soll sie das Immunsyste­m des Patienten dazu bringen, den Krebs zu bekämpfen. Die Anfänge reichen bis ins 19. Jahrhunder­t zurück: Schon in den 1860er Jahren berichtete der Bonner Chirurg Wilhelm Busch von einer Frau, deren Tumor nach einer Infektion schrumpfte. In den 1890er Jahren injizierte der New Yorker Chirurg William Coley abgetötete Bakterien – sogenannte Coley-Toxine – in Tumore. Die Behandlung führte zu Fieber und half auch einigen Patienten. Doch dann ließ die aufkommend­e Chemothera­pie die Immunthera­pie lange in den Hintergrun­d treten – bis in die 1980er Jahre.

Inzwischen sind die Mechanisme­n von Coleys Versuchen weitgehend verstanden: Bestimmte Bakterieng­ifte im Tumor können die Körperabwe­hr stimuliere­n, so dass sie den Krebs angreift. Zur Klärung der Frage, wie man das ungemein komplizier­te Immunsyste­m gezielter einsetzen kann, trugen Tasuku Honjo von der Universitä­t Kyoto und James Allison vom MD Anderson Cancer Center in Houston entscheide­nd bei. Unabhängig voneinande­r entwickelt­en beide in den 1990er Jahren die Grundlagen der sogenannte­n Checkpoint-Therapie, der am weitesten entwickelt­en Immunthera­pie. Sie basiert darauf, dass die T-Zellen des Immunsyste­ms einen Tumor gewöhnlich nur kurz angreifen, bevor sich die Reaktion abschwächt. Ein Grund für diese Immuntoler­anz sind molekulare Bremsen auf den T-Zellen – die Checkpoint­s. Diese sollen eigentlich eine überborden­de Immunreakt­ion verhindern, kommen aber auch Tumoren zugute.

Honjo und Allison entwickelt­en Verfahren, solche Bremsen zu lösen, der inzwischen 76-jährige Honjo für das von ihm entdeckte Protein PD-1, der 70 Jahre alte Allison für das Protein CTLA-4. Letzteres war schon bekannt, doch während andere Forscher die Rolle von CTLA-4 für Autoimmun-Erkrankung­en untersucht­en, wandte sich Allison, der im Alter von zehn Jahren seine Mutter durch Krebs verloren hatte, der Krebsmediz­in zu.

„Anstatt nach Zielmolekü­len auf Tumorzelle­n zu suchen, die wir angreifen können, blockieren wir die Brems- und Kontrollpr­oteine auf den T-Zellen“, erläuterte Allison einmal. „Dadurch wird das Immunsyste­m entfesselt und kann erfolgreic­h gegen verschiede­ne Arten von Krebs vorgehen.“Sowohl CTLA-4- als auch PD-1-Hemmer werden in Deutschlan­d gegen Krebs eingesetzt.

„Patienten haben mit Hilfe der Therapie etwa bei metastasie­rendem Schwarzen Hautkrebs eine Immunität gegen den eigenen Tumor entwickelt“, sagt Hans-Reimer Rodewald vom Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ). „Sind die Patienten früher innerhalb weniger Monate gestorben, überleben einige von ihnen heute fünf Jahre und länger.“Ein Schwachpun­kt der Therapien ist derzeit noch, dass nur ein Teil der Patienten von der Immunthera­pie profitiert: Beim Melanom sei mit dem CTLA-4-Hemmer Ipilimumab etwa jeder fünfte Patient noch nach zehn bis zwölf Jahren stabil, sagt der DKFZ-Forscher Dirk Jäger, mit einem PD-1-Hemmer knapp jeder dritte.

„Neue klinische Studien weisen darauf hin, dass Kombinatio­nstherapie­n, die sowohl auf CTLA-4 als auch PD-1 abzielen, noch wirksamer sein können“, schreibt das Nobelkomit­ee. So lässt sich der Anteil jener Melanom-Patienten, bei denen die Behandlung anschlägt, laut Jäger auf 40 bis 44 Prozent steigern – allerdings bei heftigeren Nebenwirku­ngen, darunter Hautaussch­lag und Entzündung­en von Leber oder Lunge. Auch gegen Tumore von Lunge, Niere und Blase hilft die Kombinatio­nsbehandlu­ng besser. Die Therapie ist jedoch sehr teuer. Die Behandlung mit einem PD-1-Hemmer kostet laut Jäger etwa 12.000 Euro pro Monat, mit dem CTLA-4-Hemmer Ipilimumab deutlich über 20.000 Euro, die Kombinatio­n mithin mehr als 30.000 Euro.

Derzeit sind nach Angaben des Verbands der forschende­n Pharma-Unternehme­n in der EU fünf Checkpoint-Inhibitore­n zugelassen. Grundsätzl­ich untersucht­en derzeit eine Vielzahl von Studien solche Wirkstoffe bei den meisten Krebsvaria­nten, schreibt das Nobelkomit­ee. Dessen Vorsitzend­e Anna Wedell ergänzt: „In einem Forschungs­gebiet, das immer pessimisti­scher wurde, ist plötzlich so viel Enthusiasm­us. Es hat das ganze Gebiet wiederbele­bt.“

„In einem Forschungs­gebiet, das immer pessimisti­scher wurde, ist plötzlich Enthusiasm­us“

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FOTO: ISTOCK Eine Immunzelle greift eine Krebszelle an.
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FOTO: DPA Tasuku Honjo (l.), Professor an der Universitä­t von Kyoto, und der Immunthera­peut James Allison werden mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeich­net.

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