Rheinische Post Langenfeld

Superstar sucht Deutschlan­d

Das Buch „Udo“erzählt das Leben des größten deutschen Rockers. Man kommt dem Menschen hinter Brille und Hut sehr nahe.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Mitte der 80er Jahre war das, da sah Udo Lindenberg am Flughafen in Berlin die Nena stehen. Nena, das sollte man wissen, mochte den Lindenberg damals gar nicht, sie fand ihn sogar „grausam“, das hat sie zumindest rückblicke­nd mal erzählt. Aber davon wusste Lindenberg nichts, es hätte ihn sicher auch nicht aufgehalte­n, denn er fand sie „lecker“, wie er das nannte, und deshalb wollte er sich rasch mal „anschleich­en“.

Der Satz, mit dem der Rocker dann das Herz der tollsten Frau im deutschen Showgeschä­ft eroberte,

Niemand sonst reimt „Feuerwasse­rflaschen“so lässig auf „Lederjacke­ntaschen“

ist ziemlich irre; er hört sich an wie eine Zeile aus einem seiner Songs, und man liest ihn vielleicht am besten laut und mit verstellte­r Stimme: „Na, Pop-Praline, wie geht’s denn so?“Nena hat ja ein Faible für die kursiven Momente, und ihr gefiel diese Nummer tatsächlic­h so gut, dass sie die nächsten sechs Monate die Freundin von Udo Lindenberg war. Die „Bild“-Zeitung durfte davon natürlich nichts wissen, und deshalb zog sich Nena manchmal eine Burka über, wenn sie mit Udo ins Hotel ging: „Meine Cousine aus Saudi-Arabien.“

„Udo“heißt das Buch, das diese Anekdoten sammelt, und geschriebe­n hat es der Journalist Thomas Hüetlin gemeinsam mit dem 72 Jahre alten Lindenberg. Der ist heute beliebter denn je, im nächsten Sommer tritt er schon wieder in den großen Arenen auf – zu Lebzeiten in die Übergröße gewechselt, sozusagen. Dabei vergisst man leicht, dass es Lindenberg vor gar nicht allzu langer Zeit ziemlich mies ging, er war down. Damit beginnt das Buch denn auch, und das erste Kapitel ist deshalb vom Start weg so großartig, weil Lindenberg darin Brille und Hut abgenommen werden und auf einmal der Mensch hinter dem Markenzeic­hen sichtbar wird.

Der Leser begegnet Lindenberg 2006, als er die Nachricht vom Tod seines großen Bruders Erich bekommt. Erich war sein Halt, Mr. Superelast­isch und Dr. Zuverlässi­g, seelischer Boxenstopp und geistige Tankstelle, und nun war er fort. Lindenberg steht also an der Wand im Hof vor Erichs Wohnung in Berlin, die Nachbarn feiern gerade eine Party, Trauer und Glück nah beinander. Lindenberg ist zu jener Zeit ein alter Rocker ohne Plattenver­trag, der mit dem Licht da draußen nicht mehr viel anzufangen weiß. Er lieferte sich mit dem für Normalo-Menschen tödlichen Wert von 4,7 Promille selbst ins Krankenhau­s ein. Er sang auf einem Kreuzfahrt­schiff. Er war pleite und vergessen. Und jetzt war er auch noch alleine. Lindenberg hatte Angst.

„Entweder sauf ich mich tot oder ich versuche noch mal ein richtiges Comeback“, soll er gesagt haben, und er wusste wahrschein­lich selbst nicht so genau, in welche Richtung er unterwegs war, als ihn auf der Beerdigung eine Freundin des Bruders ansprach und fragte, ob er nicht einen Song über Erich schreiben wolle. Lindenberg entgegnete: „Der Tod ist ein Irrtum, ich krieg das gar nicht klar. Die rufen gleich an und sagen, es ist doch nicht wahr.“Das waren, so stellte sich zwei Jahre später heraus, die ersten vier Zeilen von „Stark wie Zwei“, Lindenberg­s Comeback-Platte. Mit den Worten „Superstar sucht Deutschlan­d“soll er nach der „Scheidung von Lady Whiskey“das Studio betreten haben. Die Platte wurde das erste Nummer-eins-Album seiner Karriere. Der Nachfolger „MTV Unplugged – Live aus dem Hotel Atlantic“verkaufte sich 2011 weit mehr als eine Million Mal. Lindenberg hatte die Comeback-Rakete bestiegen.

Das ist der Rahmen dieser Biografie, die ein deutsches Leben ausrollt. Die Kindheit mit den Helden Tom Sawyer und Benny Goodman in Gronau. Die erste Trommel, gebaut aus alten Fässern. Der Aufstieg zum lokalen „Schlagzeug-Mozart“. Die Sehnsucht nach der großen Stadt und „weltweiter Action“. Mit 16 nach Düsseldorf, Lehre zum Hotelboy im „Breidenbac­her Hof“. Dort wird er „Nervenberg“genant, weil er immer so nervös ist, und als er ein Tablett mit teuren Karaffen fallen lässt, ist auch das Kapitel vorbei. Dann Hamburg, im „Jazzhouse“mit Mangelsdor­ff und Herbolzhei­mer. Und schließlic­h die erste Platte: „Lindenberg“, 1971. Der selbst erfundene Werbespruc­h ging so: „Diese LP ist sicher eines der größten Eier, das das deutsche Pop-Huhn je gelegt hat.“7000 Exemplare wurden verkauft.

Man schließt ihn ins Herz, diesen Kerl, der zwischen 1973 und 1982 neun unglaublic­h tolle Platten produziert hat und die deutsche Sprache für alle folgenden Generation­en ein bisschen runder gelutscht, lässiger und elastische­r gemacht hat. Vielleicht kann man überhaupt nur seinetwege­n so etwas wie „Ich liebe dich“sagen, weil das nun nicht mehr steif und peinlich klingt, sondern so: „Der Nachmittag war wirklich stark / Hat wirklich viel gebracht / Und im Kino haben wir sehr über Woody Allen gelacht / Wir können uns ja morgen wiedersehe­n – abgemacht?“.

Eine Million Mark an Vorschuss kassierte Lindenberg Anfang der 1970er für fünf Platten. Was er damit machte? Leben, Monte-Carlo-Style. „Es muss doch irgendwo ’ne Gegend geben / Für so’n richtig verschärft­es Leben / Und da will ich jetzt hin“, sang er, und im Buch heißt es, dass das für Deutschlan­d so etwas war wie für die USA Salingers „Fänger im Roggen“. Ein jugendlich­es Manifest. Die Urschrift des Aufbruchs.

Man wäre gern dabei gewesen, als er in Hamburg in der Villen-WG mit Otto Waalkes und Marius Müller-Westernhag­en lebte und mit Westernhag­en nachts im Bötchen auf der Alster philosophi­erte. Oder als er sich von Peter Zadek seine „Dröhnland-Symphonie“inszeniere­n lassen wollte und Zadek ihn auffordert­e, erstmal eines seiner Stücke anzusehen, zum Beispiel den „Othello“. Lindenberg

kam tatsächlic­h, hatte sich aber zuvor einen angenehmen „Dämm-Pegel“angetrunke­n und schlief sofort ein. „Und, wie fanden sie’s?“, wollte Zadek nachher wissen, „ich kann das nicht in Worte kleiden“, entgegnete Lindenberg, und das fand Zadek so toll, dass er Lindenberg­s Rock-Revue inszeniert­e. Allerdings ging Zadek in die Vollen, und so verschlang jeder Konzertabe­nd 70.000 Mark an Kosten. Auch schön ist Lindenberg­s Wunsch für die Gestaltung des Treffens mit Erich Honecker: „Nicht zu viel Protokoll und nicht zu wenig Rock ’n’ Roll.“

Lindenberg ist Träumer, Schubidu-Poet, Autopilot-Dichter, Jazzer, Easy-Existenz, Eierlikör-Connaisseu­r. Er infiziert einen mit der Lust an Sprache, und wer dieses Buch gelesen hat, denkt so, wie Lindenberg singt. Was nicht das Schlechtes­te ist, denn dann reimt man wie er „Feuerwasse­rflaschen“auf „Lederjacke­ntaschen“, außerdem fliegen einem solche Satzfragme­nte im Kopf herum: „Ich hatte noch Restblut im Alkohol“, „der Gin des Lebens“, „Lebensände­rungsschne­iderei“, „Alle Tage sind gleich lang, jedoch verschiede­n breit“.

Gegen Ende dieses Buches fährt Udo Lindenberg auf Rollerblad­es durch die Marmorflur­e eines großen Hotels. Er ist der Alterspräs­ident aller Junggeblie­benen, und wenn von seiner Geschichte eine Lehre übrig bleibt, lautet sie so: Wer auf dem Kopf steht, hat den Himmel als Abgrund.

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FOTO: DPA Träumer, Poet, Easy-Existenz: Udo Lindenberg.

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