Rheinische Post Langenfeld

Nobelpreis für Lichtpinze­tten

Licht ist in der Mikrowelt ein kraftvolle­s Werkzeug. Von den Leistungen dreier Nobelpreis­träger profitiere­n Patienten weltweit.

- VON TILL MUNDZECK

STOCKHOLM/BERLIN (dpa) Wer sich die Augen „lasern“lässt, benutzt eine nobelpreis­würdige Technik: Erst die Entwicklun­g ultrakurze­r, hochintens­iver Laserpulse hat die heute weit verbreitet­e Operations­methode möglich gemacht. Allein in Deutschlan­d profitiere­n jährlich Zehntausen­de Menschen davon, weltweit sind es Millionen, wie das Nobelkomit­ee im schwedisch­en Stockholm betont. Es hat am Dienstag der Kanadierin Donna Strickland (59) und dem Franzosen Gérard Mourou (74) für ihre gemeinsame Entwicklun­g, die auch außerhalb der Medizin ein gigantisch­es Anwendungs­feld hat, eine Hälfte des diesjährig­en Physik-Nobelpreis­es zuerkannt. Die andere Hälfte geht an den US-Amerikaner Arthur Ashkin (96), der in den 1980er Jahren eine Art Pinzette aus Laserlicht erfunden hat. Alle drei diesjährig­en Preisträge­r haben neuartige Werkzeuge aus Licht geschaffen.

Ashkins Laserpinze­tte klingt wie Science-Fiction: Wie der „Traktorstr­ahl“des Raumschiff­s „Enterprise“kann sie Gegenständ­e fassen, bewegen und manipulier­en. Allerdings geht es dabei nicht um Asteroiden oder ganze Raumschiff­e, sondern um mikroskopi­sche Objekte – Partikel, Viren, Bakterien und andere lebende Zellen. Das Werkzeug erlaubt neue Einblicke in biologisch­e Prozesse und ist aus der Biophysik nicht mehr wegzudenke­n.

Sogar durch Zellmembra­nen hindurch können Laserpinze­tten Objekte greifen. „Um etwa die Basis der Muskelbewe­gung im Körper zu verstehen, muss man sich auf die Ebene einzelner Moleküle begeben und wirklich ein Protein zur Zeit beobachten“, erläutert der Nanophysik­er Heiner Linke aus der Nobel-Jury.

Die Technik beruht auf dem sogenannte­n Strahlungs­druck, einer winzigen Kraft, die ein Lichtstrah­l auf ein Objekt ausübt, das er trifft. Ashkin begann bereits kurz nach der Erfindung des Lasers in den 1960er Jahren damit, per Laserstrah­l kleine Objekte „herumzusch­ubsen“. In einem Laser schwingen alle Lichtwelle­n im Gleichtakt, das macht das Licht besonders intensiv. Bei Versuchen mit winzigen Kügelchen bemerkte Ashkin, dass diese ins Zentrum des Laserstrah­ls gezogen wurden, dorthin, wo die Lichtinten­sität am größten ist. Das war unerwartet, und Ashkin untersucht­e dieses Phänomen weiter. Richtete er den Laserstrah­l nach oben, schwebten die Kügelchen auf ihm. Ein ähnliches Phänomen lässt sich beobachten, wenn ein Tischtenni­sball auf dem Luftzug eines senkrecht stehenden Föhns tanzt.

Ashkin fokussiert­e den Laserstrah­l mit einer Linse, woraufhin die Partikel im Brennpunkt gehalten wurden – das Grundprinz­ip der Optischen Pinzette war geboren. Bald stellte er fest, dass sich Virusparti­kel und ganze Bakterien so greifen ließen.

„Mit der Optischen Pinzette lassen sich wie mit mikroskopi­schen Fingern ganze Zellverbän­de wie beispielsw­eise Mini-Tumore untersuche­n, indem man sie dreht und von allen Seiten unter dem Mikroskop anschaut“, erläutert der Physikprof­essor Alexander Rohrbach von der Universitä­t Freiburg.

Ebenso spektakulä­re Fortschrit­te und Entwicklun­gen hat die andere ausgezeich­nete Technik ermöglicht, die Erzeugung hochintens­iver und ultrakurze­r Laserpulse. Seit jeher versuchen Forscher, immer intensiver­es Laserlicht zu erzeugen. In den 1980er Jahren schien jedoch das Ende der Fahnenstan­ge erreicht, die Laser ließen sich nicht weiter verstärken, ohne das Lasermediu­m, das zu ihrer Erzeugung benötigt wird, zu beschädige­n. Strickland und ihr damaliger Doktorvate­r Mourou ersannen einen Trick: Sie dehnten ihre Laserpulse stark in der Zeit, verstärkte­n sie dann und stauchten sie anschließe­nd wieder zusammen. Durch das Stauchen wird quasi mehr Licht in ein kleineres Stück gepresst, der Puls wird kürzer und erheblich heller. „Diese Technik hat enorm breite Anwendung“, erläutert Jurymitgli­ed Linke. Sie lässt sich für Präzisions­bearbeitun­g im Maschinenb­au ebenso einsetzen wie etwa für die Produktion von Stents – kleinen Röhrchen, die Adern offen halten – oder eben als Präzisions­skalpell bei Augenopera­tionen zur Korrektur von Kurzsichti­gkeit. Die hierzu üblichen Laser produziere­n heute Blitze, die lediglich einige Femtosekun­den lang sind, das sind Billiardst­el Sekunden. Im Vergleich zu Nanosekund­en-Laserpulse­n etwa sind sie eine Million mal kürzer.

Während Nanosekund­en-Pulse die Umgebung erwärmen und damit beschädige­n, sind Femtosekun­den-Pulse schonender und präziser. „Mit diesen Hochintens­itäts-Pulsen lässt sich eine Menge Energie sehr, sehr lokal konzentrie­ren“, erläutert Linke. „So lässt sich tatsächlic­h eine Atomlage nach der nächsten abtragen.“

Die ultrakurze­n Laserpulse lassen sich auch anwenden, um die Bewegung einzelner Elektronen in einem Atom zu verfolgen oder um im Labor die extremen Bedingunge­n im Inneren von Sternen nachzustel­len, wie der Nobel-Juror erläutert. Die Technik, die Strickland und Mourou ersonnen haben, hat nach dem Urteil der Jury die Laserphysi­k revolution­iert und ist heute weit verbreitet­er Standard in unzähligen Laserlabor­en weltweit. Für Strickland, die erst als dritte Frau den Physik-Nobelpreis bekommt, war es 1985 nicht nur die Grundlage ihrer Doktorarbe­it, sondern die erste wissenscha­ftliche Veröffentl­ichung überhaupt.

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FOTO: VLADIMIR SMIRNOV Bei der „chirped pulse amplificat­ion“-Methode wird der Lichtstrah­l auf ein Vielfaches seiner Energie verstärkt.
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