Rheinische Post Langenfeld

Was ist uns der Wolf wert?

Mit der Rückkehr des Wolfs nach NRW brechen alte Konflikte wieder auf, genießt der Räuber doch einen zweifelhaf­ten Ruf. Das Zusammenle­ben mit dem Wolf sei gratis nicht zu haben, sagen Experten.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Die Angst vor dem Wolf ist fest verwurzelt im kollektive­n Gedächtnis und manifestie­rt in Mythen und Märchen. Der Wolf steht für das Böse, er frisst Rotkäppche­ns Großmutter und die sieben Geißlein, er ist grausam, gemein und listig. Kaum ein Raubtier wurde und wird mehr verteufelt als der Wolf – kaum eines wird aber auch mehr beklatscht, weil es sich seinen Platz in der Natur zurückerob­ert hat. Ist der Hass von einst doch bei vielen Menschen umgeschlag­en in den Wunsch, die Natur wieder ins Gleichgewi­cht zu bringen und damit auch dem Wolf seine angestammt­e Rolle zuzugesteh­en. Nun breitet sich der Räuber aus, siedelt sich, wie gerade im Kreis Wesel, wieder an, und schert sich dabei nicht um menschlich­e Interessen­lagen. So ist der Konflikt programmie­rt: Denn der Wolf ist vor allem dann erwünscht, wenn er sich nicht blicken lässt.

Einfach abtun lassen sich die Sorgen nicht, hat die Urangst vor der Bestie doch einen realen Ursprung. Laut Ulrich Wotschikow­sky, Wildbiolog­e und renommiert­er Wolfsexper­te, ist die Menschheit­sgeschicht­e eng verknüpft mit der Schafhaltu­ng. Symbole wie das Osterlamm oder der gute Hirte spiegeln die kulturelle Bedeutung des Schafs – dessen erklärter Feind seit jeher der Wolf war. „Der Mensch konnte ihm damit nicht freundlich gesonnen sein“, sagt Wotschikow­sky.

Entspreche­nd wurde das Raubtier hochstilis­iert zum Satansersa­tz auf Erden, lebenden Wölfen im Mittelalte­r gar der Prozess gemacht. Tatsächlic­h dezimierte­n Wölfe in vergangene­n Jahrhunder­ten nicht nur massiv Wild- und Viehbestän­de und bedrohten die Existenzgr­undlage vieler Bauern, sie setzten auch den Menschen zu. Vor allem Kinder waren immer wieder betroffen, wurden sie doch früher gerne auf die Weide geschickt, um das Vieh zu hüten – für die Wölfe eine weitere leichte Beute. Eine Studie des Norwegisch­en Instituts für Naturforsc­hung listet weltweit zwischen 1557 und 2001 mehrere Hundert menschlich­e Todesfälle durch Wolfsattac­ken auf, erst im 20. Jahrhunder­t nimmt die Zahl dramatisch ab. Eine Folge vor allem der veränderte­n Lebensbedi­ngungen, aber auch der Ausrottung des Wolfs in vielen Regionen. Heute leben wieder rund 15.000 Wölfe in europäisch­en Kulturland­schaften, in der Regel nicht allzu weit entfernt von Siedlungsg­ebieten. Angriffe auf Menschen: keine. In Nordamerik­a, wo rund 70.000 Wölfe leben, hat es seit 2005 zwei tödliche Attacken gegeben. „Weißwedelh­irsche erschlagen in den USA jedes Jahr mehrere Jäger“, sagt Wotschikow­sky, „und es gibt jedes Jahr alleine in Deutschlan­d statistisc­h bis zu sechs von Hunden totgebisse­ne Menschen.“Heißt: Die Perspektiv­e des Menschen auf den Wolf ist stark von Irrational­ität geprägt.

Dennoch, das bestätigen auch Umfragen, will eine Mehrheit den Wolf und andere bedrohte Tierarten gerettet wissen – eine Folge des wachsenden Naturschut­zbewusstse­ins. Wotschikow­sky findet es beglückend, dass diese Kreaturen zurückkehr­en. Ihnen das Lebensrech­t streitig zu machen, darüber hätten wir nicht zu befinden. Gleichwohl gilt es, eine Balance herzustell­en, die Rückkehr des Räubers und das Zusammenle­ben mit den Menschen zu managen.

Das geschieht, der Erfolg ist Ansichtssa­che. In den Wolfslände­rn, zu denen nun auch NRW gehört, werden gerissene Schafe finanziell ersetzt und präventive Herdenschu­tzmaßnahme­n wie die Errichtung von Elektrozäu­nen zu 80 Prozent vom Land bezuschuss­t. Erfahrunge­n aus anderen Bundesländ­ern hätten gezeigt, heißt es aus dem NRW-Umweltmini­sterium, wie sinnvoll solche Zäune seien – mehr als 90 Prozent seines Nahrungsbe­darfs decke der Wolf dort über Wild. Ortrun Humpert, Vorsitzend­e des Schafzucht­verbands

„Die Gesellscha­ft will die Wölfe haben, dann soll sie auch dafür aufkommen“

Ulrich Wotschikow­sky Wildbiolog­e

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