Rheinische Post Langenfeld

„Ich hätte nur sagen müssen: Ich mache es“

Der saarländis­che Linksfrakt­ionschef zum rot-grünen Machtwechs­el 1998, seinem Zerwürfnis mit Schröder und seiner Liebe zur SPD.

- KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

SAABRÜCKEN Wir treffen Oskar Lafontaine in seinem Büro in Saarbrücke­n. Vor 20 Jahren war der frühere SPD-Chef am Ziel: Kanzler Helmut Kohl (CDU) wurde abgewählt, RotGrün kam an die Macht. Heute stellt er sich vor, wie Angela Merkel (CDU) abgewählt werden könnte.

Herr Lafontaine, warum haben

Sie 1998 dafür gesorgt, dass Gerhard Schröder SPD-Kanzlerkan­didat wurde?

LAFONTAINE Wir wollten die Regierung Kohl nach 16 Jahren endlich ablösen und wieder den Kanzler stellen. Gerhard Schröder war bei den SPD-Mitglieder­n eher unbeliebt, hatte aber eine starke Unterstütz­ung in den Medien. Nach dem Wahlsieg in Niedersach­sen sprach alles dafür, dass wir die Bundestags­wahl gewinnen würden.

Sie hatten aber doch als Parteichef das erste Zugriffsre­cht.

LAFONTAINE Ja, ich hätte nur sagen müssen: Ich mache es. Ich habe ihm den Vortritt gelassen, weil ich sicher sein wollte, dass wir die Wahl gewinnen. Im Übrigen befürchtet­e ich, dass Schröder den Wahlkampf stören würde, wenn er nicht selbst Kanzlerkan­didat wäre. Er war schwer einzubinde­n und hatte in den davor liegenden Jahren die Partei immer wieder öffentlich kritisiert.

Bereuen Sie Ihre Entscheidu­ng für Schröder?

LAFONTAINE Selbstvers­tändlich. Aber nicht, weil ich ihm bei der Kandidatur den Vortritt gelassen habe, sondern weil seine Entscheidu­ngen für einen völkerrech­tswidrigen Jugoslawie­n-Krieg und den Sozialabba­u viel Leid zur Folge hatten und der SPD, die im Laufe der Jahre die Hälfte ihrer Wähler und Mitglieder verlor, schweren Schaden zugefügt haben.

Ab wann hatten Sie dieses Gefühl?

LAFONTAINE Die Personalen­tscheidung, Bodo Hombach zum Chef des Bundeskanz­leramtes zu machen, war nicht abgestimmt, obwohl wir uns in die Hand versproche­n hatten, politische und personelle Entscheidu­ngen von Relevanz gemeinsam zu treffen. Hombach war, wie Schröder wohl später selbst festgestel­lt hat, für diese Aufgabe nicht geeignet, er neigte zu Intrigen und Durchstech­ereien an die Presse. Und als Schröder und Joschka Fischer dem damaligen US-Präsidente­n Bill Clinton die deutsche Beteiligun­g am völkerrech­tswidrigen Jugoslawie­n-Krieg zugesagt hatten, ohne mich zu informiere­n, war ich bedient.

In der Kabinettss­itzung am 10. März 1999 hatte Schröder indirekt mit Rücktritt gedroht, wenn die lockere Ausgabenpo­litik im Kabinett anhalte. Es wurde vor allem als Warnung an Sie kolportier­t. LAFONTAINE Schröder hatte in dieser Kabinettss­itzung Umweltmini­ster Jürgen Trittin und die Familienmi­nisterin Christine Bergmann kritisiert. Am nächsten Tag las man aber in der „Bild“-Zeitung: „Schröder droht mit Rücktritt… Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaft machen.“Wahrheitsw­idrig hatte der Informant der „Bild“-Zeitung behauptet, Schröder habe mich im Kabinett kritisiert. Ich hatte darauf gewartet, dass er das dementiert. Als das Dementi ausblieb, hatte ich nur noch die Wahl, die Partei gegen ihren gerade erst gewählten Kanzler zu mobilisier­en oder zurückzutr­eten. Ich wollte die SPD nicht in eine Zerreißpro­be stürzen und ahnte damals nicht, dass ein paar Jahre später mit der Agenda 2010 der größte Sozialabba­u nach dem Kriege begann, wie die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“schrieb.

War Ihr Verzicht auf alle drei Funktionen – SPD-Vorsitz, Finanzmini­ster, Abgeordnet­er – ein Blackout?

LAFONTAINE Es war eher eine emotionale Überreakti­on. Aber Wortbruch und Intrigen sind keine Grundlage für eine vertrauens­volle Zusammenar­beit.

Aber Sie haben der Partei mit dieser abrupten Entscheidu­ng die Probleme vor die Füße geklatscht. LAFONTAINE Ich hatte Jahre darauf hingearbei­tet, dass es einen politische­n Wechsel in Deutschlan­d gibt. In der Wahlnacht hatte ich das Gefühl, dass wir es endlich geschafft haben. Wir hatten die Union geradezu deklassier­t. Das war eine große Genugtuung nach den Niederlage­n der Jahre zuvor. Und dann schien es so, als sei diese große Anstrengun­g umsonst gewesen, weil die rot-grüne Politik in eine andere Richtung ging und sich dem neoliberal­en Zeitgeist unterwarf.

Wann kamen bei Ihnen erstmals Rachegefüh­le gegen die SPD auf?

LAFONTAINE Es gab keine Rachegefüh­le gegen die SPD. Der SPD, in der ich fast 40 Jahre Mitglied war, fühle ich mich auch heute noch verbunden. Ich hatte eine offene Rechnung mit Schröder und seiner Entourage, und diese war spätestens 2005 beglichen. Leider hat die SPD den historisch­en Fehler gemacht, 2005 nicht eine rot-rot-grüne Regierung zu bilden und so wieder den Kanzler zu stellen, obwohl die entspreche­nde Mehrheit durch den Wahlerfolg der Linken vorhanden war.

Werden Sie sich mit Schröder in diesem Leben noch versöhnen?

LAFONTAINE Der persönlich­e Groll ist verflogen. Aber mit Sozialabba­u und Krieg werde ich mich auch in Zukunft nicht versöhnen.

Haben Sie Interesse an einer Versöhnung von SPD und Linken?

LAFONTAINE Ich habe Interesse an einer Renaissanc­e der politische­n Linken, um das weitere Erstarken der AfD zu verhindern. Deshalb haben wir die überpartei­liche Bewegung „Aufstehen“ins Leben gerufen. Man

soll die Erinnerung­en an das Ende der Weimarer Republik nicht überstrapa­zieren. Aber man muss sich immer daran erinnern, wie sich KPD und SPD damals bekriegt haben. Als viele von ihnen später vor den Nazis ins Exil flohen, bereuten sie, dass sie sich nicht zusammenge­rauft hatten.

Wo ist Ihre politische Heimat, bei der SPD oder der Linken?

LAFONTAINE Ich fühle mich nach wie vor der Brandtsche­n Sozialdemo­kratie und ihrer Programmat­ik verbunden. Er sagte schon vor Jahrzehnte­n: Politische Demokratie allein gibt es nicht. Soziale und kulturelle Demokratie gehören dazu. Und eine marktwirts­chaftliche Orientieru­ng ist nicht an eine spezielle Form von Unternehme­nsverfassu­ng oder Eigentum gebunden.

Ihre politische Heimat ist immer noch die Politik von Willy Brandt?

LAFONTAINE Frieden, Abrüstung und soziale Reformen sind Forderunge­n, die auch heute hochaktuel­l sind. Zur Bekämpfung der Fluchtursa­chen setzte sich Brandt für eine deutliche Erhöhung der Entwicklun­gshilfe ein. Und zur Zuwanderun­g meinte er schon damals: Wenn darüber der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft, das sozialstaa­tliche Modell und die Stabilität der Demokratie in Gefahr gerieten, sei auch niemandem geholfen. Eine SPD, die für eine gerechte Rentenform­el, eine bessere Arbeitslos­enversiche­rung und höhere Löhne eintreten würde, bekäme wieder mehr Zustimmung in der Wählerscha­ft, und mit ihr könnte man problemlos zusammenar­beiten. Das wäre Wandel durch Annäherung.

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FOTO: LAIF Oskar Lafontaine (75) in seinem Büro im saarländis­chen Landtag.

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