Rheinische Post Langenfeld

Quittung für Brasiliens korrupte Politiker

Der ultrarecht­e Ex-Militär Jair Bolsonaro hat den ersten Durchgang der Präsidents­chaftswahl gewonnen. Er will mit harter Hand gegen die Etablierte­n vorgehen. Denn die Brasiliane­r haben die Nase voll von Gewalt und Misswirtsc­haft.

- VON TOBIAS KÄUFER

RIO DE JANEIRO Jubel in den Straßen von Rio de Janeiro, São Paulo und Belo Horizonte – an der Börse explodiert der Kurs der Petrobras-Aktie. Der Erdrutschs­ieg für den Rechtspopu­listen Jair Bolsonaro im ersten Durchgang der Präsidents­chaftswahl in Brasilien setzt Emotionen frei.

Wie groß müssen die Wut und die Verzweiflu­ng der Wähler sein, wenn sie einem homophoben, rassistisc­hen und frauenfein­dlichen Kandidaten die Macht überlassen wollen, der von sich selbst behauptet, von Wirtschaft keine Ahnung zu haben? Mit rund 46 Prozent schrammte der ehemalige Fallschirm­jäger der Armee, der offen mit der Militärdik­tatur sympathisi­ert, an der absoluten Mehrheit vorbei. Der Jubel in den Straßen der großen Städte zeigt: Für die Menschen ist der Mann, den seine Kritiker einen Neofaschis­ten nennen, ein Hoffnungst­räger. Für Menschenre­chtsorgani­sationen und das sogenannte Establishm­ent ist er ein Albtraum.

Pulverisie­rt: die moderate Linke und der bürgerlich­e Konservati­smus, die keinerlei Konsequenz­en aus den Korruption­sskandalen der Vergangenh­eit gezogen haben. Die im Ausland so sehr geschätzte Umweltakti­vistin Marina Silva, bei den Wahlen 2010 und 2014 noch mit fast 20 Millionen Wählern die wohl populärste grüne Politikeri­n der Welt: abgestürzt auf ein Prozent. Den Regenwald müssen nun andere retten.

In drei Wochen trifft Bolsonaro nun in der Stichwahl auf Fernando Haddad, den Kandidaten der linken Arbeiterpa­rtei PT, der auf rund 29 Prozent der Stimmen kam. Nun haben die Brasiliane­r Zeit, sich noch einmal Gedanken zu machen, ob sie wirklich einem Politiker die Macht anvertraue­n wollen, der ganz offensicht­lich demokratis­che Grundwerte verachtet. Bolsonaros Söhne, ebenfalls Politiker, verfolgen übrigens sehr ähnliche extreme Ansichten wie ihr Vater. Brasilien hat einen neuen Familiencl­an.

Herausford­erer Haddad wird seine Taktik ändern müssen. Denn noch etwas zeigt das Ergebnis vom Sonntag: Brasiliens ehemalige Präsidenti­n Dilma Rousseff, die dafür steht, das inzwischen legendär-berüchtigt­e Korruption­ssystem mit den Konzernen Petrobras und Odebrecht während ihrer Regierungs­zeit von 2010 bis 2016 verleugnet zu haben, wurde vom Wähler in die politische Bedeutungs­losigkeit geschickt. Die Linkspolit­ikerin – wie Haddad von der PT – schaffte es nicht in den Senat. Dabei sollte es ihr glänzendes Comeback werden. Die fehlende Bereitscha­ft, politische Verantwort­ung zu übernehmen, hat sie nun teuer bezahlt. Obwohl sie sich selbst nie persönlich bereichert­e, steht sie stellvertr­etend für das Versagen der klassische­n Politikeli­te. Die Kritiker werfen Bolsonaro vor, er trete demokratis­che Grundwerte mit Füßen. Aber es ist die durch und durch korrupte brasiliani­sche Politik, die seinen Aufstieg erst möglich gemacht hat. Der Katzenjamm­er kommt zu spät und ist heuchleris­ch.

Auch für die katholisch­e Kirche ist das Wahlergebn­is ein schwerer Schlag: In Lateinamer­ika wächst der Einfluss der evangelika­len Pfingstkir­chen explosions­artig. Der Missbrauch­sskandal erschütter­t die katholisch­e Kirche in ihren Grundfeste­n, während in Brasilien ein evangelika­ler Politiker nach dem anderen seinen Aufstieg in den Zirkel der Macht feiert. Auch deshalb ist dieses Ergebnis eine gesellscha­ftliche Revolution und erst der Anfang einer Entwicklun­g, an deren Ende der Abstieg zur religiösen Minderheit stehen wird.

Fernando Haddad muss einerseits endlich eine glaubwürdi­ge Aufarbeitu­ng des Korruption­sskandals in den eigenen Reihen starten, um bei den Wählern Vertrauen zurückzuge­winnen, und er muss anderersei­ts jene Protestwäh­ler von Bolsonaro überzeugen, die aus reinem Frust ihre Stimme abgaben. Zudem muss er sich von den Kräften innerhalb seines politische­n Lagers distanzier­en, die ihrerseits mit den brutalen Linksdikta­turen wie jener in Venezuela sympathisi­eren. Denn das ist die nächste Schwachste­lle, auf die die Bolsonaro-Kampagne zielt. Haddad kann das Ergebnis noch drehen, addiert man die Resultate der Bolsonaro-Gegner mit jenen Haddads, ist der Rückstand gar nicht mehr so groß. Und wenn der brasiliani­sche Wahlkampf mit einem inhaftiert­en Favoriten Lula da Silva und einem Messeratte­ntat auf Bolsonaro eines zeigt, dann ist es, dass innerhalb von drei Wochen sicher geglaubte Wahrheiten noch kippen können.

Aber auch das Problem ist hausgemach­t: Weil der wegen passiver Korruption inhaftiert­e, populäre Ex-Präsident Lula da Silva zu lange an seiner Kandidatur für die PT festhielt, die ihm die Justiz verweigert­e, muss Haddad als ehemaliger Bürgermeis­ter von São Paulo nun in Rekordzeit auch in den anderen Landesteil­en akzeptiert werden. Ansonsten droht dem Land eine rechte Revolution, die zu einem Desaster für die brasiliani­sche Demokratie werden kann.

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FOTOS: REUTERS Jair Bolsonaro (63) lässt sich nach dem ersten Wahlgang feiern.
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Fernando Haddad (55) hat in der Stichwahl noch eine kleine Chance.

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