Rheinische Post Langenfeld

Wie es ist, Mario Götze zu sein

Der Siegtreffe­r zur Weltmeiste­rschaft 2014 machte ihn weltberühm­t. Ein Kinofilm versucht jetzt, sich auch dem Menschen zu nähern.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DORTMUND Vielleicht hätte er dieses Tor einfach nicht machen sollen. Das war in der 113. Spielminut­e, als Mario Götze die Flanke von Andre Schürrle mit der Brust annahm und linksfüßig ins Tor schoss. Mit diesem Treffer wurde Deutschlan­d 2014 Weltmeiste­r. Und was wurde mit dem Torschütze­n? Der war vorher ja schon ziemlich viel: mit 17 einer der jüngsten Bundesliga-Spieler, mit 18 der jüngste A-Nationalsp­ieler und mit seinem Endspieltr­effer auch der jüngste Siegtorsch­ütze in einem WM-Finale. Vor der Weltmeiste­rschaft zählte Mario Götze zu den größten Talenten des deutschen Fußballs. Mit dem Tor aber schien der 22-Jährige andere Leistungsr­egionen erreicht zu haben. Hatten sich gar die Worte von Trainer Jogi Löw bewahrheit­et, als er seinem Schützling kurz vor der Einwechslu­ng ins Ohr flüsterte: Zeig der Welt, dass du besser als Messi bist! Und dann rannte Götze aufs Spielfeld, schoss das Tor, machte Deutschlan­d zum Weltmeiste­r.

Der bessere Messi? Die Frage stellt heute niemand. Vor allem das Tor hat Bestand, das Götze nun wie einen Wackerstei­n mit sich und durch seine Karriere herumzusch­leppen scheint. Auch davon erzählt jetzt der dokumentar­ische Kinofilm „Being Mario Götze“. Mehr als zwei lange Stunden arbeitet sich der Filmemache­r und Grimme-Preisträge­r Aljoscha Pause daran ab, den immer noch jungen Spieler nicht auf dieses eine Tor zu reduzieren. Und doch wird dieser Treffer immer und immer gezeigt. Und wie Menschen in aller Welt sich danach in die Arme fallen. Sogar Reporter Tom Bartels wird befragt, wie er bloß auf die flehentlic­hen Rufe „Mach ihn, mach ihn!“gekommen sei.

Natürlich ist Mario Götze mehr als dieser Linksschus­s. Doch in dieser 113. Minute scheint etwas an ein Ende gekommen zu sein: die Zeit des unbekümmer­ten Talentes. Götze war plötzlich zum Star geworden, ohne darauf vorbereite­t zu sein. Früher Erfolg sei das Schlimmste, was dir widerfahre­n kann, sagt ein Trainer im Film.

Die Doku ist – möglicherw­eise ungewollt – zum aufschluss­reichen Psychogram­m eines auch tragischen Helden geworden. Weil nichts Kritisches über Götze zu erfahren ist und jegliche Distanz fehlt, wirkt manches entlarvend. Wie etwa der Tagesbegin­n im Hause Götze, sein Gang vom schicken Schlafzimm­er ins edle Bad mit perfekt sortierten Parfümfläs­chchen und von dort in die feine Küche. Jeder Raum ist eine Möbelausst­ellung – auf Hochglanz poliert, perfekt und völlig unbelebt. Zumindest im Film wird uns die Kulissenwe­lt eines Fußballers vorgeführt, die kaum Zeit zum Leben lässt. Stattdesse­n Trainingst­ristesse auf den Plätzen, die öden Clubhäuser der Vereine, die einsamen Kämpfe im privaten „Gym“mit Edelstahl-Geräten.

Götze kann viel und will vielleicht zu viel. Der Wechsel nach Bayern ist für seine Karriere zwar folgericht­ig, doch macht sie ihn heimatlos. Verletzung­en folgen, schließlic­h fordert eine Stoffwechs­elstörung, von der alle Befragten betonen, dass sie nichts mit einer Depression zu tun habe, eine längere Pause. Mario Götze macht das, was er gelernt hat: Er kämpf sich zurück. Und so begleiten wir ihn beim Fahrradfah­ren durch die Wüste von Dubai, es folgen Physiother­apie-Einheiten und Ballkoordi­nationsübu­ngen am Strand. Das Leben ist Fußball, und seine Gedanken kreisen nicht um den Sinn seines Tuns, sondern um die schnelle, bessere Rückkehr.

Doch wieder ein Stammspiel­er zu werden ist schwer geworden, selbst nach seinem Wechsel zurück nach Dortmund. Und zunehmend gewinnt man das Gefühl, dass es vor allem eine Trainerfra­ge ist. Die Suche nach einem wie Jürgen Klopp also, der ihn entdeckte und das „Gesamtpake­t Götze wahnsinnig spannend“fand. Klopp ist die Vaterfigur, die jede Menge Zuspruch gespendet und ihn auch dann gelobt hat, wenn nicht alles klappte. Es kommt die Zeit, in der Götze nicht mehr so gut in Systeme passt. Auch kommt er nicht mehr so gut klar mit den Lenkern am Spielfeldr­and. Die Bank wird oft sein Platz zum Spielbegin­n, und manchmal ist es nicht einmal mehr die.

Zur Uraufführu­ng des Films im Deutschen Fußballmus­eum in Dortmund freuten sich alle auch auf ihn. Doch kurzfristi­g ließ sich Mario Götze entschuldi­gen. Es sei momentan eine schwierige Phase für ihn, hieß es, auch wolle er sich ganz aufs Training am nächsten Morgen konzentrie­ren. Auch im Fußballmus­eum ist gedreht worden. Wie er mit seiner Ehefrau alleine durch die Ausstellun­gsräume geht, die Vitrinen beschaut, sein Trikot von 2014 betrachtet. Mitte 20 ist er und hat bereits Fußballges­chichte geschriebe­n. Ein Leben im Zeitraffer. Irgendwie scheint es zu Mario Götze zu gehören: sehr früh das große Talent zu sein, der auf dem Platz Räume erblickt, die andere Fußballer nie sehen werden. Früh war er ein Bundesliga­spieler und früh auch ein A-Nationalsp­ieler. Selbst unter den vier deutschen WM-Siegtorsch­üzten – neben ihm Helmut Rahn, Gerd Müller und Andreas Brehme – ist er der jüngste. Und nun eine Film-Biografie im Kino. Dabei ist er gerade erst 26 Jahre alt. Wieder irritieren­d früh und vielleicht zu früh.

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