Vor über 100 Jahren entdeckte Karl Landsteiner das Blutgruppensystem. Seine Erkenntnisse sind bis heute weltweit Grundlage der Transfusionsmedizin.
DÜSSELDORF Hand aufs Herz: Kennen Sie Ihre Blutgruppe? Spontan wird sicher der eine oder andere Leser diese Frage nicht beantworten können. Die meisten würden nach kurzem Nachdenken wohl antworten „A positiv“oder „0 positiv“. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung trägt eine dieser beiden Blutgruppen. Viel selten würde wohl die Antwort lauten „AB negativ“oder „0 negativ“. So oder so — das Wissen der Blutgruppe kann im Notfall lebensrettend sein.
Diese spezielle Abkürzung beschreibt vereinfacht die zwei wichtigsten Blutgruppensysteme eines Menschen, das AB0- und das Rhesus-System. Beide spielen die entscheidende Rolle in der Transfusionsmedizin, und ihre Einteilung hat weltweite Gültigkeit.
Dass Blut nicht gleich Blut ist und keineswegs frei gemischt werden darf, fand der Wiener Mediziner Karl Landsteiner (1868 bis 1943) Anfang des vergangenen Jahrhunderts heraus. Im Jahr 1900 entdeckte er, dass das Blut zweier Menschen oft miteinander verklumpt (Hämagglutination). Den gleichen Effekt erhielt der Forscher, wenn er Blut mit anderem Blutserum – das ist der flüssige Teil des Blutes – mischte. Ein Jahr später formulierte er erstmals in einem wissenschaftlichen Beitrag die Annahme, dass es verschiedene Blutgruppen geben müsse. Kurz darauf definierte Landsteiner die Gruppen A, B und 0. Sie sind bis heute die Basis unseres Blutgruppensystems. 1930 bekam er für diese Entdeckung den Nobelpreis für Medizin.
Das Grundprinzip beider Systeme ist einfach: Allein die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) bestimmen die Blutgruppe eines jeden Menschen. Auf ihrer Oberfläche sitzen die spezifischen Blutgruppenmerkmale (Antigene). Dies sind Zucker-Fett-Verbindungen (Glykolipide) und Eiweiße (Proteine). Gegen die Merkmale der fremden Blutgruppen kursieren Antikörper im Blutserum. Ein Beispiel: Hat ein Mensch Blutgruppe A, trägt er selbst Merkmal A und bildet Antikörper gegen die Blutgruppe B. Ein Mensch mit Blutgruppe B wiederum hat Antikörper gegen A in seinem Blut. Die Blutgruppen A und B vertragen einander also nicht. Sie würden bei einer Bluttransfusion zu schweren Komplikationen bis hin zum Tod führen.
Das Rhesus-System funktioniert ähnlich: „Positiv“bedeutet, das sogenannte Merkmal D ist auf den roten Blutkörperchen vorhanden (D+), „negativ“heißt kein Rhesus-Merkmal (d-). Das Rhesus-System entschlüsselte ebenfalls Karl Landsteiner. Benannt ist es nach den Rhesusaffen, an denen es 1937 zuerst entdeckt wurde. Die meisten Menschen, rund 84 Prozent der Deutschen, sind Rhesus-positiv.
Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Systemen: Die Antikörper des AB0-Systems bildet der Mensch in den ersten Lebensjahren aus. Sie sind also im Serum jedes Erwachsenen vorhanden. Antikörper des Rhesus-Systems sind fast immer Immunantikörper. Das bedeutet, ihre Bildung wird erst durch Kontakt mir dem anderen Blut stimuliert (Rhesus-Unverträglichkeit).
Landsteiners Entdeckungen sind bis heute die Basis der Transfusionsmedizin. Knapp vier Millionen Vollblutspenden wurden laut Paul-Ehrlich-Institut im Jahr 2017 in Deutschland gesammelt. Verwendet werden in der Praxis überwiegend Erythrozytenkonzentrate. Im Idealfall liegt für jeden Empfänger die identische Blutgruppe bereit. Die besten Aussichten haben dafür Träger der häufigsten Blutgruppen A und 0 positiv (37 beziehungsweise 35 Prozent der Bevölkerung). Deutlich schwieriger wird es für Menschen mit der Blutgruppe B (neun Prozent) oder AB positiv (vier Prozent). Generell selten sind Blutgruppen mit negativem Rhesusfaktor, das Schlusslicht bilden die Gruppen B und AB negativ. Nur rund zwei beziehungsweise ein Prozent der Menschen in Deutschland trägt diese Merkmalskombination.
Wer Träger einer seltenen Blutgruppe ist, hat im Notfall nicht zwingend die schlechtesten Chancen auf eine passende Blutkonserve. Menschen mit der Blutgruppe AB etwa haben eigentlich großes Glück: Weil sie ja beide Merkmale A und B selber besitzen, gibt es in ihrem Serum keine Antikörper, die auf fremdes Blut reagieren. Anders ausgedrückt: Menschen mit der Blutgruppe AB positiv können im Notfall Blut von allen anderen Blutgruppen bekommen. Sie sind Universal-Empfänger. Als Spender sind AB-Träger folglich eher ungeeignet, denn sowohl ein Mensch mit der Blutgruppe A als auch ein B-Träger hat Antikörper gegen eines seiner Merkmale. Ihr Blut kann ausschließlich für Menschen der komplett identischen Blutgruppe gespendet werden.
Der umgekehrte Sonderfall ist die Blutgruppe 0. Hier sind die roten Blutkörperchen nackt, das heißt: Sie tragen keinerlei Antigen. Dafür ist das Serum dieser Menschen gefüllt mit Antikörpern gegen A und B. Das heißt in der Transfusionspraxis: Als Spenderblut kann die 0, vor allem 0 negativ, bei allen Menschen eingesetzt werden, weil sie keine Immunreaktion auslöst. Diese Menschen sind Universal-Spender. Als Empfänger aber haben sie es schwer, denn ihr Serum reagiert auf alles, was ein Merkmal hat. Sie dürfen ausschließlich Blut der Gruppe 0 bekommen.
Für die Gewinnung, Lagerung und Verwendung von Blutkonserven gibt es strenge gesetzliche Vorschriften. Jedes Erythrozytenkonzentrat wird bis zu seiner Verwendung sehr oft geprüft. Zuletzt wird die Verträglichkeit von Spender- und Empfängerblut unmittelbar vor der Transfusion getestet. So muss auch derjenige, der die Frage am Textanfang für sich nicht beantworten konnte, nicht fürchten, dass er im Notfall schlecht versorgt wird. In jedem Fall gilt für alle Blutgruppen: Jede Spende ist wichtig!
Es gibt jeweils einen Alleskönner unter den Spendern und Empfängern