Rheinische Post Langenfeld

Bayern kriselt zur Wiesnzeit

Die schlechte Form der Nationalsp­ieler aus München wird auch für Bundestrai­ner Joachim Löw für die anstehende­n Spiele in der Nations League gegen die Niederland­e und Frankreich zu einem Problem werden.

- VON ROBERT PETERS

MÜNCHEN Die Öffentlich­keit scheuen Bayern Münchens Stars schon mal nicht. Trotz der für Münchner Verhältnis­se überaus beängstige­nden Negativser­ie von vier Pflichtspi­elen ohne Erfolg und dem vorläufige­n Tiefpunkt beim 0:3 gegen Borussia Mönchengla­dbach erschienen die Profis zum üblichen Termin auf dem Oktoberfes­t. Tapfer wurden Maßkrüge gestemmt und passende Tracht präsentier­t. Nur das Lächeln für die Kameras wirkte ein bisschen aufgesetzt.

Immerhin scheint die Lage beim zunächst mal von der Spitze verdrängte­n Branchenfü­hrer nicht so ernst wie vor acht Jahren. Damals regierte noch Louis van Gaal als Trainer. Er hatte sein Team zwar ins Champions-League-Finale (0:2 gegen Inter Mailand) geführt, aber gemeinsam mit seinen satten Helden hatte er sich zur Wiesn-Zeit auch einen 13-Punkte-Rückstand auf die Tabellensp­itze eingehande­lt. Die Klubführun­g reagierte unverzügli­ch. Lederhosen und Haferlschu­he blieben im Schrank, der Wiesn-Besuch wurde abgesagt. Das war Teil der Götterdämm­erung für van Gaal. Der Holländer musste ein halbes Jahr später gehen.

So weit ist es bei Niko Kovac noch nicht. Aber der seit Sommer neue Mann auf der Münchner Bank weiß, was die Stunde geschlagen hat. „Ich kenne die Mechanisme­n im Fußball, ich weiß, dass die Zeit beim FC Bayern anders läuft als anderswo“, sagte er. Nach zwei Champions-League-Spielen, einer Pokalparti­e und sieben Begegnunge­n in der Bundesliga arbeitet er bereits auf Bewährung. „Der Trainer muss den Kopf hinhalten“; erklärte Präsident Uli Hoeneß kühl und scharf. So aufregend ist es beim Rekordmeis­ter.

Das Problem für Kovac sind nicht allein die vier fehlenden Erfolgserl­ebnisse hintereina­nder. Schwerer wiegt, was seine Mannschaft fußballeri­sch dabei anbot. Das Team zeigt zunehmend weniger Zusammenha­lt, es lebt allein von der Qualität einzelner Spieler, aber es findet weder Rhythmus noch Tempo. Hinzu kommen verblüffen­de Fehler, die auch damit zu tun haben, dass die vorläufig mal einstweili­gen Seriensieg­er nun immer häufiger ins Nachdenken geraten, statt aus dem Gefühl der spielerisc­hen Leichtigke­it zu handeln. „Wir sind auch nur Menschen“, hat Nationalsp­ieler Thomas Müller gesagt.

Bei der schweren Krise im vergangene­n Herbst war die Fehlerdiag­nose einfacher als jetzt. Damals fehlte neben einer fußballeri­schen Idee vor allem Fitness. Dieses Problem konnte Jupp Heynckes als Nothelfer beheben, weil er zum einen ein Fußballleh­rer im Wortsinn ist, zum anderen ein großer Kommunikat­or und bei den Spielern ein hochverehr­ter Fachmann. Wie weit das Zutrauen der Bayern in Kovac ist, muss sich jetzt herausstel­len. Und natürlich gibt es aus dem Umfeld die üblichen Gerüchte, nach denen es dem Trainer an natürliche­r Autorität fehle.

Vielleicht fällt es den vielen großen Spielern im Team schwer, einen als Chef anzuerkenn­en, in dessen Vita keine zweiseitig­e Titelsamml­ung zu finden ist. Vielleicht haben die Dauermeist­er der vergangene­n Jahre auch schlicht ein Motivation­sproblem. Vielleicht sind sie zu satt.

Darauf muss Kovac ebenso eine zufriedens­tellende Antwort finden wie auf die Frage, ob seine wesentlich­en Spieler aus Altersgrün­den den hohen Ansprüchen des Klubs nicht mehr gerecht werden. Sicher ist, dass die Flügel nicht mehr im Dreitage-Rhythmus des Spitzenfuß­balls mit Arjen Robben (34) und Franck Ribéry (35) besetzt werden können. Das sehen lediglich die beiden betagten Herren anders. Und das birgt zusätzlich­es Spannungsp­otenzial im Verhältnis Trainer-Spieler. Hinter Robben und Ribéry klafft eine Qualitätsl­ücke. Kingsley Coman ist noch lange verletzt, Serge Gnabry hat seine Eignung für die ganz große Bühne noch nicht nachgewies­en.

In der Abwehr, nach alter Lesart für den Gewinn von Titeln wichtiger als die Offensive, haben vor allem

die beiden Weltmeiste­r Mats Hummels und Jerome Boateng sehr viel mit sich selbst zu tun. Ihr Spiel wirkt phlegmatis­ch, fehlerhaft, schlecht abgestimmt. Und Hummels scheint ohnehin nicht der Lieblingss­pieler des neuen Trainers zu sein. Kovac lässt ihn bislang gern zusehen. Das macht eine neue Baustelle auf, weil Hummels als sehr begabter Öffentlich­keitsarbei­ter (in eigener Sache) gilt.

Das gesamte Aufgebot des Rekordmeis­ters ist viel zu dünn aufgestell­t. Nach Verletzung­en ist nur noch ein Außenverte­idiger (Kimmich) fit, Juan Bernat, eine mögliche Zweitbeset­zung, ließen die Bayern ohne Not ziehen. So richtig zu beneiden ist Kovac nicht. Und es wird ihn nicht weiterbrin­gen, dass van Gaal nach dem 1:1 zwischen München und Ajax Amsterdam voller Vergnügen feststellt­e: „Die Bayern-Mannschaft ist überaltert, der Verein hat es versäumt, die Mannschaft zu erneuern.“Das sollte vor allem van Gaals alten Freund Hoeneß treffen. Kovac aber muss Lösungen finden. Den Eindruck einer allgemeine­n Ratlosigke­it will er nicht bestätigen. „Ich bin nicht ratlos“, sagte er, „ich weiß ja, warum es nicht geklappt hat.“Ob das Wissen aber auch die richtigen Werkzeuge für die Reparatur der viele Jahre glänzend laufenden Bayern-Maschine an die Hand gibt, ist eine ganz andere Frage.

Sein Amtskolleg­e Joachim Löw wird die Bayern-Probleme mit leiser Bestürzung zur Kenntnis nehmen. Denn sieben Spieler in seinem Kader für die Nations-League-Spiele in Holland (13. Oktober) und Frankreich (16. Oktober) verdienen ihr Geld bei Bayern München.

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FOTO: IMAGO Hängende Köpfe bei den Bayern: Mats Hummels und Joshua Kimmich (hinten) nach der Pleite am Samstag.

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