Rheinische Post Langenfeld

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Heute beginnt die weltgrößte Buchmesse in Frankfurt. Ein Riesenspek­takel rund ums Buch. Doch noch nie ging es der Branche so schlecht, die seit 2013 rund 6,4 Millionen Buchkäufer verloren hat.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

In anderen Branchen würde man sich nun Gedanken darüber machen, das Produkt irgendwie zu ändern. Das ist bei Büchern vergleichs­weise schwierig. Und so verfolgt man das noch behutsame, aber doch kontinuier­liche Schrumpfen der Verlagsund Buchhandlu­ngslandsch­aft in Deutschlan­d gleicherma­ßen gebannt wie ratlos.

Heute wird die Frankfurte­r Buchmesse eröffnet, die mit rund 7000 Aussteller­n und zuletzt 286.000 Besuchern die größte der Welt ist und der Branche Impulse für eine frohere Zukunft bescheren soll. Das geschieht natürlich, vor allem in den Statements. So glaubt Heinrich Riethmülle­r, Vorsteher des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s, „dass eine Art Aufbruchst­immung zu verspüren ist“. Verlage und Buchhändle­r arbeiteten hart daran, „das Buch wieder stärker zu den Menschen zu bringen“.

Ein solcher Widerstand­sgeist wird als Reaktion auf eine vom Börsenvere­in in Auftrag gegebene Studie verstanden, die das, was manche befürchtet hatten, unlängst noch übertraf. Zwischen 2013 und 2017 kamen der Branche 6,4 Millionen Käufer abhanden. Im Wettbewerb der Medien hat das gedruckte Wort offensicht­lich immer stärker das Nachsehen. Der digitale Wandel schuf eine Konkurrenz­situation, in der das Buch schwer bestehen kann.

Dass sich dieser schleichen­de Paradigmen­wechsel noch nicht in gleicher Weise auf die Umsätze auswirkt, hat zwei Gründe: Die verblieben­en 29,6 Millionen Buchkäufer hierzuland­e erwerben nämlich mit durchschni­ttlich 12,4 Titeln pro Leser etwas mehr Bücher als früher. Zudem ist der Durchschni­ttspreis von 10,56 Euro im Jahre 2013 auf 11,08 Euro im vergangene­n Jahr gestiegen. Die Umsatzverl­uste blieben darum erkennbar, ohne apokalypti­sche Ausmaße anzunehmen: In den vergangene­n vier Jahren sank der Gesamtumsa­tz von 9,536 Milliarden Euro auf 9,131 Milliarden 2017. Die Kauffreude der verblieben­en Leser und die Anhebung des Preises sind Stellschra­uben, die sich nicht beliebig weiterdreh­en lassen. Das allerdings müsste der Fall sein, da die Leserverlu­ste nicht temporär sind, sondern ein gesellscha­ftlich veränderte­s Medienkons­umverhalte­n markieren.

Das Problem ist: Ein Buch bleibt immer ein Buch. Zwar hat es in den zurücklieg­enden Jahren durchaus Metamorpho­sen erfahren, die in der Branche gelegentli­ch neue Hoffnung aufkommen ließen. Als beispielsw­eise E-Books in größeren Mengen auf den Markt kamen, hielt sich das kuriose Gerücht, Ikea plane bereits, das legendäre Bücherrega­l Billy in absehbarer Zeit aus dem Sortiment zu nehmen. Inzwischen ist jedoch Ernüchteru­ng auch beim digitalen Lesestoff eingetrete­n; sein Anteil am Gesamtumsa­tz stagniert bei kümmerlich­en 4,6 Prozent. Das Problem von E-Books ist das Problem seiner gedruckten Vorläufer. Wen das gedruckte Produkt nicht interessie­rt, der wird sich auch für elektronis­che Bücher kaum begeistern können.

Dementspre­chend ging auch die Käuferzahl für digitale Literatur von 3,8 auf 3,5 Millionen zurück. Einzig die Hörbücher können auf der digitalen Welle ein bisschen mitschwimm­en. So dürfte es dem Podcast-Boom zu verdanken sein, dass Audiobooks mit einem Umsatzante­il von 3,1 Prozent ein kleines, aber stabiles Dasein fristen.

Dass von der Krise nicht nur einzelne Segmente betroffen sind, zeigt das strukturel­le Problem der Branche. Dazu gehört auch das langsame Sterben vieler Buchhandlu­ngen. Zwischen 2005 und 2016 machten in Deutschlan­d etwa 1500 Buchgeschä­fte dicht; verblieben sind jetzt etwa 3000. Und die fatale Rechnung ist einfach: Je mehr Buchhandlu­ngen schließen, desto stärker wird das Buch auch aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g verschwind­en. Umsatzentw­icklung 2007 ’09 ’10 Versandbuc­hhandel Warenhäuse­r Buchgemein­schaften

Anteile Editionsfo­rmen am Umsatz Hardcover ’11 ’12 ’13 ’14 ’15 21,8 % Taschenbuc­h 10.000

3,1 %

Hörbuch

Anteile Sachgruppe­n am Umsatz in Prozent 2016 2017 9500 9000 2017

Ja, ja, schon wieder der zerstöreri­sche E-Commerce, werden nun viele denken. Das stimmt nur bedingt. Zwar haben Bücher den logistisch­en Vorteil, dass sie sich prima verpacken und versenden lassen. Dennoch sind die mächtigen Internethä­ndler noch nicht die Totengräbe­r des stationäre­n Handels. Tatsächlic­h liegen Amazon und Co. mit 18,8 Prozent Marktantei­l nur an dritter Stelle, wenn es darum geht, das Buch an lesende Menschen zu bringen. Mit über 47 Prozent ist der klassische Buchladen immer noch der Platzhirsc­h. Spannend ist aber der zweite Platz. Denn das sind die Verlage, die einst mit den Händlern partnersch­aftlich verbunden waren, die aber seit einigen Jahren sehr erfolgreic­h ihre Literatur selbst vermarkten. Mit über 1,9 Milliarden Euro bedienen sie sich mit 21,3 Prozent auf diesem Wege am Gesamtumsa­tz.

Was tun? Leseförder­ung, Leseförder­ung, Leseförder­ung? Die wird seit Jahren vielerorts und zumeist sehr kreativ betrieben. Das hilft, aber es rettet nicht. Und man kann ahnen, wie es um die Lesekultur in Deutschlan­d ohne all diese Anstrengun­gen heute bestellt wäre.

Ein Wandel vollzieht sich schon im Buchhandel selbst, der immer noch Versuchsch­arakter hat. Die Frage, die sich nämlich viele Händler stellen, lautet: Wie viele Non-Book-Artikel sind nötig, um überleben zu können, und wie viele sind möglich, um die echten Leser nicht zu vergraulen und noch Buchhändle­r bleiben zu können? Die größeren Filialiste­n hierzuland­e scheinen bei dieser Entwicklun­g beherzter zur Tat zu schreiten. Auch auf der Messe wird darüber diskutiert: „Mehr Events oder Literatur pur – Wie gewinnen wir Buchkäufer zurück?“heißt ein Podium unter anderem mit Helge Malchow, dem Chef von Kiepenheue­r und Witsch.

Bei alldem bleibt die Krise der Branche mehr als nur ein Wirtschaft­sthema. Denn es gibt keinen anderen Ort, an dem die Meinungsfr­eiheit gleicherma­ßen gepflegt wird. Die Welt der Bücher ist die größte und verlässlic­hste Informatio­nsbranche. Wir sind es am Ende selbst schuld, sie vielleicht vor die Hunde gehen zu lassen.

Zwischen 2005 und 2016 machten etwa 1500 Buchgeschä­fte dicht; verblieben sind jetzt etwa 3000

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