Rheinische Post Langenfeld

„Dieser Vorfall geht unter die Haut“

Zehn Wochen lang saß ein unschuldig­er Syrer im Gefängnis und starb dann nach einem Feuer – der NRW-Justizmini­ster ist unter Druck.

- REINHARD KOWALEWSKY UND THOMAS REISENER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Freundlich lächelt Peter Biesenbach bei unserem Gespräch wie meist, aber die Knie drückt er angespannt zusammen. Der Tod eines unschuldig einsitzend­en Häftlings macht ihn betroffen – und als Polit-Affäre auch nervös.

Herr Biesenbach, das Land legt einen neuen Entwurf für das Polizeiges­etz vor. Ist das eine Entschärfu­ng aus rechtsstaa­tlicher Sicht?

BIESENBACH Die Koalitions­partner haben gemeinsam einen guten Vorschlag erarbeitet. Wir wollen entschloss­en gegen Problemgru­ppen vorgehen können und zugleich rechtsstaa­tliche Bedenken ernst nehmen. Beiden Zielen trägt der Entwurf Rechnung.

Amed. A sitzt zehn Wochen in einem NRW-Gefängnis und stirbt an den Folgen eines Brandes in seiner Einzelzell­e. Können Sie Ihre Häftlinge nicht schützen?

BIESENBACH Dieser tragische Vorfall geht unter die Haut. Das belastet mich. Umso wichtiger ist nun, dass sich eine solche Tragödie nicht wiederholt.

Wer ist schuld?

BIESENBACH Dass etwas schiefgela­ufen ist, steht fest. Die Fehler der Polizei hat der Innenminis­ter benannt. Amed A. kam aufgrund einer Verwechslu­ng durch die Polizei in Haft. Die Würdigung der Arbeit der Staatsanwa­ltschaft Hamburg als Vollstreck­ungsbehörd­e obliegt der dortigen Justiz. Ob und gegebenfal­ls welchen Anteil der Justizvoll­zug hat, prüfen wir derzeit.

Welche Konsequenz­en ziehen Sie?

BIESENBACH Unsere Strafansta­lten dürfen sich nicht länger allein darauf verlassen, dass Polizei und Staatsanwa­ltschaft die Identität eines Inhaftiert­en korrekt sicherstel­len. Wir haben Tausende Personen in NRW, die ohne Ausweispap­iere nach Deutschlan­d gekommen sind. Damit es bei ihnen und anderen Beschuldig­ten nicht erneut zu einer Verwechslu­ng kommen kann, denken wir im Justizvoll­zug über die Einführung einer weiteren, dritten Stufe der Identitäts­prüfung nach.

Konkret?

BIESENBACH Wir prüfen derzeit Wege, wie wir in den Justizvoll­zugsanstal­ten in NRW künftig einen Prozess einleiten können, bei dem die Identität eines Häftlings in begründete­n Zweifelsfä­llen erneut effektiv überprüft werden kann. Sie können es Sicherheit­sstufe 3 nennen. Allerdings muss die eigentlich­e Prüfung weiter durch die Polizei geschehen, weil die Haftanstal­ten keinen Zugriff auf die Fahndungsd­aten der Polizei haben.

Amed A. hat der Anstaltsps­ychologin am 3. September gesagt, er sei zum Zeitpunkt der ihm angelastet­en Straftaten nicht in Deutschlan­d gewesen, schon gar nicht an den zwei Tatorten Hamburg und Braunschwe­ig. War das nicht Anlass für eine Überprüfun­g des Vorgangs?

BIESENBACH Richtig ist, dass die Psychologi­n selber diese Angaben in ihr Protokoll aufgenomme­n hat. Sie notierte dort aber eben auch, es gebe eine Reihe kaum nachvollzi­ehbarer Angaben von Amed A. Die Staatsanwa­ltschaft Kleve überprüft, ob es hier oder an anderer Stelle im Vollzug Versäumnis­se gab.

Trotzdem hat die Psychologi­n ihm geglaubt, er sei nicht suizidgefä­hrdet, und nahm ihn darum aus der Sonderbeob­achtung für Selbstmord­gefährdete. Gestorben ist er dann an einem Feuer, das er selbst gelegt haben könnte.

BIESENBACH Die Staatsanwa­ltschaft Kleve und die Polizei Krefeld werden ihre Arbeit machen und alle Aspekte dieses in mehrfacher Hinsicht tragischen Sachverhal­tes aufklären. Dazu gehört die Bewertung der Arbeit der Psychologi­n und anderer Bedienstet­er des Justizvoll­zugs genauso wie die Bestimmung der Brandursac­he. Die Staatsanwa­ltschaft Hamburg, die Auftraggeb­er der Verhaftung in NRW war, fragte schon am 20. Juli nach, ob Amed A. wirklich die richtige Person ist.

BIESENBACH Leider ist dies so nicht gefragt worden. Richtig ist: Es wurde am 20. Juli angefragt, ob in der JVA Nachweise über die dort geführten Personalie­n des Verurteilt­en vorliegen. Gegebenenf­alls werde um Übersendun­g von Kopien gebeten. Es wurde geantworte­t: „Hier liegen keine Nachweise vor.“

Und dann wollte die Staatsanwa­ltschaft Hamburg am 20. August von der Kreispoliz­eibehörde Kleve wissen, aufgrund welcher Erkenntnis­se man die Personalie­n des Inhaftiert­en festgestel­lt habe. Wie bewerten Sie das?

BIESENBACH Ein Eingang eines Schreibens vom 20. August ist nicht bekannt und hat auch nach Einschätzu­ng der Hamburger Behörden wohl nicht stattgefun­den. Sicher ist der Eingang eines späteren Schreibens vom 20. September, das am 24. September in NRW ankam. Das war eine Woche nach dem Ausbruch des Brandes.

Also wurde in Hamburg versäumt, den Brief am 20. August abzusenden?

BIESENBACH So sieht es derzeit aus. Und so wie es dort gelaufen ist, möchte ich es in NRW nicht erleben! Bei so wichtigen Dingen reicht es nicht, eine weitere Standardan­frage auf dem Postweg zu senden. Hier muss zügig mit einem Telefonanr­uf und nicht nur im Schriftweg­e gehandelt werden.

Warum wurde erst zwei Wochen nach dem Feuer ein Gutachter geholt?

BIESENBACH Die Frage leitet in die Irre. Die Polizei hat unmittelba­r nach Bekanntwer­den des Brandes Einsatzabs­chnitte gebildet, Ermittlung­en vor Ort durchgefüh­rt und den Haftraum gesichert. Erste Erkenntnis­se wurden weitergege­ben.

Zwei erfahrene Brandermit­tler haben den Geschehens­ort begutachte­t und mit der Staatsanwa­ltschaft entschiede­n, über die erforderli­che Sachkunde zu verfügen. Wenn sich dann später eine Zusatzfrag­e ergibt, für die sich die Ermittler noch der Hilfe eines externen Gutachters bedienen wollen, ist das eine ständig geübte Praxis.

NRW-Innenminis­ter Herbert Reul hat öffentlich schwere Fehler der Polizei eingeräumt und erklärt, persönlich die politische Verantwort­ung zu übernehmen. Übernehmen Sie ebenso Verantwort­ung für mögliche Fehler der Justiz?

BIESENBACH Priorität hat, dass wir eine ähnliche Tragödie in Zukunft vermeiden. Hierfür trage ich auch die Verantwort­ung.

Und würde Ihre Übernahme von politische­r Verantwort­ung im Fall von nachgewies­enen Fehlern bei der NRW-Justiz Ihren Rücktritt bedeuten?

BIESENBACH Verantwort­ung bedeutet für mich, Fehler klar zu benennen, aufzuarbei­ten und Verbesseru­ngen in der Praxis durchzuset­zen.

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FOTO: DPA „Verantwort­ung bedeutet für mich, Fehler klar zu benennen und Verbesseru­ngen durchzuset­zen“, sagt NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (70).

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