Rheinische Post Langenfeld

Ein Hauch von Anarchie in der Union

Ralph Brinkhaus fängt in seiner ersten Sitzung als neuer Fraktionsc­hef mit Veränderun­gen an. Kampfkandi­daturen könnte es jetzt öfter geben.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Es ist ein ungewohnte­s Bild. 13 Jahre lang hat Volker Kauder dienstags um 15 Uhr die große goldfarben­e Glocke geläutet, damit die CDU- und CSU-Bundestags­abgeordnet­en sich hinsetzen und die Journalist­en den Saal verlassen mögen. Nun steht dort neben Kanzlerin Angela Merkel der Westfale Ralph Brinkhaus, der den Baden-Württember­ger Kauder vor zwei Wochen in einer Kampfkandi­datur schlug. Der 50-jährige Erneuerer und Brückenbau­er anstelle des 69-jährigen Bewahrers und Merkel-Vertrauten.

Es ist bereits nach drei Uhr, als Brinkhaus erstmals, fast ein wenig verschämt, aber doch lächelnd, die Glocke läutet. CSU-Chef Horst Seehofer ist diesmal auch da. Es soll über die Ergebnisse des Koalitions­ausschusse­s aus der Vorwoche berichtet werden. Der Bundesinne­nminister referiert über die Vereinbaru­ngen zum Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz. Abgeordnet­e lassen nach draußen durchsicke­rn, endlich werde mal wieder diskutiert. Die Leute trauten sich, etwas zu sagen. Als wären sie von Kauder unterjocht worden.

Der alte Chef wird nicht gesehen. Er trage schwer an diesem tiefen Fall, heißt es. Man werde sehen, ob und, wenn, wie er Bundestags­abgeordnet­er bleibe. Manche wünschen sich, er wäre jetzt da – um trotz allem ein Zeichen des Zusammenha­lts zu setzen. Denn immerhin war er von fast der Hälfte der Abgeordnet­en gewählt worden.

Brinkhaus hat schon vor Sitzungsbe­ginn ein Signal der Veränderun­g gesendet: Die Tagesordnu­ngen für die Sitzung sollen früher verschickt werden. Man glaubt es kaum, dass eine solche Formalie bereits als Aufbruch verstanden wird. Das wird aber eine der Hauptaufga­ben der Fraktion unter Brinkhaus sein: Zuversicht nach außen versprühen, durch die mühseligen Koalitions­verhandlun­gen verlorenes Vertrauen zurückgewi­nnen. Zum Beispiel dadurch, dass sich die Abgeordnet­en öfter aus dem Hohen Haus hinausbewe­gen, um Botschafte­n vor Ort und nicht nur im Sitzungssa­al zu platzieren, wie es heißt. Die Volksparte­ien seien in Gefahr. Sie müssten die Bürger wieder erreichen.

Brinkhaus gibt die Statements vor den Kameras auf der dritten Etage des Bundestags vor der Sitzung anders als Kauder nicht mehr allein, sondern mit einem seiner Stellvertr­eter. Es solle die Breite der Fraktion sichtbar werden, sagt er. Vize Hermann Gröhe berichtet über die Verbesseru­ngen im Rentensyst­em, die gleich Thema seien.

Interessan­ter sind aber die Wahlen an diesem Nachmittag. Brinkhaus’ bisheriger Posten als Stellvertr­eter muss nachbesetz­t werden. Schon wieder eine Kampfkandi­datur, die bei CSU und CDU so selten ist. Es weht ein Hauch von Anarchie durch die Union. Aus Proporzgrü­nden soll die CDU-Landesgrup­pe aus Baden-Württember­g den Posten bekommen. Deren Chef Andreas Jung ist nominiert. Doch es gibt einen Gegenkandi­daten aus Karlsruhe: den Finanzpoli­tiker Olav Gutting. Brinkhaus positionie­rt sich nicht. Die Fraktion sei frei in ihrer Entscheidu­ng. Jung siegt, mit 76,7 Prozent.

Zur Wahl stehen am Dienstag noch die Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer (PGF). Sie waren nach der Erschütter­ung durch die Abwahl Kauders vor zwei Wochen nicht angetreten. Inzwischen hat Brinkhaus sie motiviert zu bleiben. Bei allem Wunsch nach Veränderun­g will er Kontinuitä­t erhalten.

So tritt der erste PGF Michael Grosse-Brömer wieder an, obwohl er sich zuvor klar für Kauder ausgesproc­hen hatte. „Stabilität im parlamenta­rischen Alltagsges­chäft ist wichtig“, sagt der Niedersach­se und erzählt von einer offenen und klaren Aussprache mit Brinkhaus. „Das Vertrauen muss wachsen“, sagt er. Wegen der Verbundenh­eit zu Kauder hatte er sich auch Bedenkzeit erbeten. „Ich brauchte die berühmte Nacht, über die man schläft.“Er wird mit 87,9 Prozent wiedergewä­hlt.

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FOTO: DPA Ralph Brinkhaus läutet erstmals die Fraktionss­itzung ein.

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