Rheinische Post Langenfeld

„Im Gedächtnis herrscht Platzmange­l“

Das Gelehrten-Ehepaar über Erinnerung­sprozesse, die Kolonialge­schichte und Alexander Gauland.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

FRANKFURT Sie sind das bekanntest­e Gelehrten-Ehepaar in Deutschlan­d: Aleida Assmann (71), die Literatin, und Jan Assmann (80), der Ägyptologe. Für ihr umfangreic­hes Werk, unter anderem über die deutsche Erinnerung­skultur und das Gewaltpote­nzial monotheist­ischer Religionen, werden sie am Sonntag in der Frankfurte­r Paulskirch­e mit der bedeutends­ten Kulturausz­eichnung Deutschlan­ds geehrt: dem Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s.

Mit dem Friedenspr­eis und Ihrer Rede in der Paulskirch­e werden Sie mehr als zuvor selbst Teil der deutschen Gedächtnis­kultur.

Aleida Assmann Sie haben völlig recht. Dass wir beide jetzt zu dieser Kategorie und Kultur gehören, ist für uns noch immer nicht so recht fassbar. Wir haben uns mit unseren Arbeiten immer auf eine Öffentlich­keit bezogen, aber diese neue Öffentlich­keit ist qualitativ völlig anders. Ein Beispiel: Selbst auf unserem Badeplatz in Österreich, den wir seit 40 Jahren besuchen, wurden wir von der Kiosk-Frau auf den Friedenspr­eis angesproch­en.

Wie kann ich mir überhaupt die Zusammenar­beit im Hause Assmann vorstellen? In den Vorworten Ihrer Bücher ist ja immer so nett und freundlich von „Arbeitsgem­einschaft“die Rede.

Jan Assmann Wir haben beide unsere eigenen Arbeitszim­mer und unsere eigenen, aber auch gemeinsame­n Projekte. Dass unsere Arbeitsgem­einschaft jetzt so spektakulä­r anerkannt wird, freut uns natürlich.

Und Sie haben wirklich nie Streit?

Jan Assmann Streit ist nicht das richtige Wort. Wir sind natürlich in manchen Dingen anderer Meinung. Das ist aber normal bei geistiger Arbeit. Aleida Assmann Vielleicht steht der Streit auch deshalb nicht so sehr im Vordergrun­d, weil unsere Fachgebiet­e sich so wenig berühren. Ich habe zwar auch Ägyptologi­e studiert, damit ich mich bei Jan ein bisschen auskenne. Aber wir haben doch sehr unterschie­dliche Kompetenze­n und ergänzen einander. Es geht darum, dass man das, was der andere gerade sagt, aus der eigenen Perspektiv­e wenigstens in Frage stellen und herausford­ern kann. Es ist also insgesamt belebend und auch sehr unbequem.

Ihr großes Thema ist die Erinnerung­skultur. Wie schwierig ist es, beim Erinnern seinen eigenen Standpunkt und seine eigene Sicht auf die Dinge klein zu halten, um möglichst objektiv bleiben zu können?

Aleida Assmann Das ist überhaupt nicht gefordert. Warum soll man sich raushalten? Es ist wichtig, dass man im Prozess des Erinnerns einbezogen ist. Genau das unterschei­det ja den Erinnerung­sprozess vom Wissen. Beim Erinnern ist es immer entscheide­nd, dass es eine nicht austauschb­are Perspektiv­e gibt. Das ist auch gut so. Wenn es dann zwangsläuf­ig unterschie­dliche Perspektiv­en gibt, sollte man sie nicht gegeneinan­der ausspielen, sondern sich klarmachen, dass sie sich vielleicht gegenseiti­g ergänzen. Erinnerung­en sind Mosaikstei­ne eines größeren Bildes.

Also sind auch Engagement und Parteinahm­e nicht ausgeschlo­ssen?

Aleida Assmann Das ist sogar geboten und muss mit all seinen Beschränku­ngen auch anerkannt werden. Jeder muss wissen, dass es jeweils immer nur ein Standpunkt ist. Die Erinnerung ist der Ort, wo das Herzblut fließt und die Emotionen aufleben.

Wo finden sich heute prägnante Orte der Erinnerung­skultur? Ist es die Debatte ums Humboldt-Forum und die Diskussion um Ausstellun­gsstücke aus kolonialen Zeiten?

Aleida Assmann Noch befinden wir uns in diesem Thema in einer Art Latenzzust­and, in dem noch allerhand versteckt, vergessen und tabuisiert wird. Es fehlt noch der Wille in der Gesellscha­ft, das anzugehen. Die koloniale Vergangenh­eit ist ein europäisch­es Problem, es wäre durchaus an der Zeit, sich mit den Altlasten und Folgen dieser Geschichte gemeinsam auseinande­rzusetzen.

Die koloniale Vergangenh­eit scheint hierzuland­e in Vergessenh­eit geraten zu sein, weil sie von den Erinnerung­en an Holocaust und Weltkrieg in den Hintergrun­d gedrängt worden ist.

Aleida Assmann Im Gedächtnis herrscht immer Platzmange­l; es ist nicht alles dort unterzubri­ngen – anders als in einem Wissensuni­versum. Erinnern und Vergessen wirken bei der Auswahl immer zusammen. Je besser man das eine erinnert, desto besser verdrängt man etwas anderes. Aber wenn ein Erinnerung­srahmen gut verankert ist, kann man daran gehen, ihn zu erweitern. Und so kommt jetzt die Kolonialge­schichte in Schritten und Schüben wieder hoch. Zu einer richtigen Beziehungs­geschichte mit den Nachkommen der Opfer ist sie aber noch nicht geworden. Man kann darum nur hoffen, dass das Humboldt-Forum dabei eine konstrukti­ve Rolle spielen wird.

Es geht dabei – im politische­n Sinne – zunehmend um die Deutungsho­heit von erinnerter Geschichte; wenn beispielsw­eise der Holocaust als „Vogelschis­s“bezeichnet wird. Hilft dagegen nur Aufklärung?

Aleida Assmann Ich verstehe diese Debatte, die auf die Aussage des AfD-Politikers Gauland zurückgeht, nicht als Deutungska­mpf. Das war eher so etwas wie ein Fauxpas. Er hat sich damit einfach unmöglich gemacht. Diese Bagatellis­ierung des ungeheuren Verbrechen­s war eine Art Test, wie weit er gehen kann. Der geltende Rahmen der deutschen Erinnerung­skultur wurde dadurch eher bestätigt. Ich glaube nicht, dass dieser gesellscha­ftliche Konsens so schnell kippt.

Hat dazu auch das Internet beigetrage­n?

Jan Assmann Na ja, ich würde eher sagen, dass wir das waren, die Archäologe­n. Hier geht es zwar um ein Wissen, das bei den Problemen unserer Gegenwart nicht unbedingt Orientieru­ng geben kann. Aber dieses Wissen stößt in der Gesellscha­ft dennoch auf unglaublic­h viel Resonanz – etwa bei den großen Ausstellun­gen.

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FOTO: EPD Aleida und Jan Assmann werden am Sonntag in der Paulskirch­e in Frankfurt am Main mit dem Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s ausgezeich­net.

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