Rheinische Post Langenfeld

Trainerkar­ussell dreht sich schneller

Es gibt in Deutschlan­d rund 900 lizenziert­e Fußballleh­rer, aber nur 56 Profiverei­ne bieten ihnen Jobs. Im Durchschni­tt bleiben die Übungsleit­er nicht länger als ein Jahr bei einem Klub.

- VON JESSICA BALLEER UND GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Peter Neururer hat im vergangene­n Jahr ein rundes Jubiläum gefeiert. Seit 30 Jahren ist er im Trainerges­chäft. Mehr oder weniger zumindest. Neururer hat in dieser Zeit 14 Vereine betreut – von Rot-Weiss Essen, Schalke 04, Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC bis Hannover 96. Sein letztes Engagement endete beim VfL Bochum am 8. April 2013 – mal wieder vorzeitig. Seitdem ist Neururer, 63, „vereinslos“, wie in dieser Branche „arbeitslos“gerne umschriebe­n wird. Fußballer sind natürlich immer auf der Suche, immer bereit, eine neue Herausford­erung anzunehmen. Denn: Wer einmal einen Schritt vom Trainerkar­ussell zurückgetr­eten ist, der kann sich in der Schlange gleich ein paar Plätze weiter hinten einsortier­en. Wenn er sich denn überhaupt wieder anstellen darf. Neururer, ein Kind des Ruhrgebiet­s, hat indes seine eigene Lesart, warum er bisher keinen neuen Arbeitspla­tz hat: „Ich wollte es einfach nicht. Möglichkei­ten waren da, aber es hat mich nichts überzeugt. Ich habe mir den Luxus erarbeitet, nicht mehr zu allem Ja sagen zu müssen.“

In der Fußball-Bundesliga sind gerade einmal sieben Partien gespielt und bereits jetzt ist soviel Druck auf dem Kessel, dass der erste Trainer bereits entlassen worden ist. Das Vertrauen in Tayfun Korkut, noch vor wenigen Wochen als Retter beim VfB Stuttgart gefeiert, war schnell passé. Hoffnungst­räger bei den Schwaben ist nun Markus Weinzierl, ausgestatt­et mit einem Arbeitspap­ier bis 2020. Ob er tatsächlic­h so lange wirken darf, ist mindestens vorsichtig zu bezweifeln. Die Halbwertsz­eit in diesem Metier ist im Schnitt der ersten drei Profiligen selten höher als ein

Jahr. „Absolut pervers“, findet Neururer das. „Du kannst heute noch nicht einmal ausatmen, und schon sägt der erste wieder an deinem Stuhl. Das echte Problem ist aber, wer da sägt. Wo ist denn überhaupt noch Fachkompet­enz im Management und Aufsichtsr­äten?“

Mike Büskens hat sich als Schalke-Spieler verdient gemacht. Er war später als Trainer bei Greuther Fürth erfolgreic­h, bei den folgenden Stationen in Düsseldorf, wieder Fürth und bei Rapid Wien war sein Erfolg dagegen überschaub­ar. „Ich musste Abstand vom Fußball gewinnen. Es gab Momente in meinem Trainerleb­en, die mich beschäftig­t haben. Damit meine ich nicht zwei Trainer-Entlassung­en, sondern der allgemeine Umgang miteinande­r in diesen Situatione­n“, sagt der gebürtige Düsseldorf­er. „Fußball ist zum Geschäft geworden. Und ehrlicherw­eise habe ich auch von diesem System profitiert, aber die Liebe zum Spiel war immer mein Antrieb. Wenn der Sport nicht mehr für die Werte steht, die man mit Fußball verbindet, dann entfernt man sich davon. Vielleicht bin ich da zu sehr Fußball-Romantiker.“

Im Frühjahr sprach ihn sein ehemaliger Mitspieler Michael Prus an, ob er sich vorstellen könnte, ihn bei der U15-Nationalma­nnschaft zu unterstütz­en. „Bei den ersten Lehrgängen habe ich festgestel­lt, dass mir der Geruch des Rasens gefehlt hat und der Rasen riecht überall gleich, ob in der Düsseldorf­er Arena, bei einem Euro-League-Spiel in Bilbao oder in der Sportschul­e Bitburg. Ich verbinde wieder Freude mit diesem Spiel“, so Büskens. „Ich habe mich bewusst etwas zurückgezo­gen und habe in dieser Zeit auch Möglichkei­ten ausgeschla­gen, wieder an der Seitenlini­e zu stehen. Nun muss man damit leben, dass die Fußball-Welt dann auch nicht auf einen wartet, wenn man mal wieder den Rasen betritt.“Büskens wollte herausfind­en, ob er die Arbeit mit Spielern und in der Kabine vermissen würde. „Das kann ich für mich mit ja beantworte­n, und deshalb ist der Fußball auch wieder reizvoll für mich. Egal ob auf dem Platz oder im Hintergrun­d, ob in Deutschlan­d oder in einiger Zeit wieder das Ausland.“

Es gibt in Deutschlan­d rund 900 lizenziert­e Fußballleh­rer, aber nur 56 Profiverei­ne. Die Konkurrenz ist groß. Der Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) ist die Dachorgani­sation der Trainer. Der BDFL-Präsident prangert die Mechanisme­n an: „Das ist schon alarmieren­d“, sagt Lutz Hangartner. „Das schwächste Glied in der Kette

ist immer der Trainer. Da werden zum Teil illusorisc­he Erwartunge­n geschürt, die überhaupt nicht zu realisiere­n sind. Wir fordern deshalb mehr Geduld zu haben. Man kann keine Konstanz bekommen, wenn man ständig seine Konzepte über den Haufen schmeißt.“Und woran liegt das? Peter Neururer hat eine klare Meinung.

„Es wird immer schlimmer. Der Fußball wird von Menschen dominiert, die überhaupt keine Ahnung von diesem Geschäft haben. Jedenfalls nicht von dem Teil mit dem Fußball“, sagt Neururer. „Das ist natürlich schon ein Problem, wenn Leute die Entscheidu­ngsgewalt haben, die wenig bis gar keine Sachund Fachkenntn­isse haben. Das ist keine Entwicklun­g, die über Nacht gekommen ist, das hat sich seit Jahren so angedeutet.“Es sei ein Armutszeug­nis, dass Korkut bereits das Vertrauen entzogen wurde. „Der Trainer hat sich doch nicht verändert. Wer hinterfrag­t denn die Personalen­tscheidung­en?“, fragt Neururer. „Es werden immer neue tolle Trainer auf dem Markt gefeiert. Und Typen wie Julian Nagelsmann und Domenico Todesco machen wirklich einen tollen Job. Aber bei der Fluktuatio­n, die es in dem Geschäft gibt, muss man die Frage stellen, ob man sich noch in 30 Jahren an die Namen erinnern kann.“

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