Rheinische Post Langenfeld

Köln: Polizei schließt Anschlag nicht aus

Im Kölner Hauptbahnh­of sind am Montag bei einer Geiselnahm­e drei Personen und der Täter teils lebensbedr­ohlich verletzt worden. Der Bahnverkeh­r war über Stunden gestört. Die Hintergrün­de der Tat sind noch unklar.

- VON CLEMENS BOISSERÉE

KÖLN Am Kölner Hauptbahnh­of ist am Montag womöglich ein größerer Terroransc­hlag nur knapp verhindert worden. Ein 55-jähriger Syrer hatte in einem Schnellres­taurant am südlichen Ende des Bahnhofs einen Molotowcoc­ktail gezündet und damit ein 14-jähriges Mädchen schwer verletzt. Anschließe­nd flüchtete der Angreifer in eine benachbart­e Apotheke und nahm dort eine Angestellt­e als Geisel. Nachdem Spezialein­satzkräfte die Frau befreit und den Täter überwältig­t hatten, fand die Polizei an den beiden Tatorten weitere Molotowcoc­ktails, mehrere Gaskartusc­hen und Brandbesch­leuniger. „Das lässt darauf deuten, dass es sich um etwas mehr als eine Geiselnahm­e gehandelt haben könnte“, sagte Polizei-Einsatzlei­ter Klaus Rüschensch­midt am Abend. „Einen terroristi­schen Hintergrun­d können wir derzeit nicht ausschließ­en.“

Um 12.45 Uhr waren bei Polizei und Feuerwehr zuvor die ersten Notrufe eingegange­n. Die Zufahrtsst­raßen rund um den Bahnhof wurden abgesperrt, der Bahnverkeh­r kam nach und nach zum Erliegen. „Alle raus jetzt hier. Schnell, bitte“, forderten Ordnungskr­äfte gegen 13.45 Uhr die Bahnreisen­den auf, die den Regionalex­press 1 am Gleis 4 erreichen wollten. Die Reise endete für sie wie für Tausende andere auf dem Bahnhofsvo­rplatz im Schatten des Kölner Doms, der zur Sammelstel­le für die Passagiere wurde.

Auf der anderen Seite des Bahnhofs am Breslauer Platz spielten sich unterdesse­n dramatisch­e Szenen ab. Dort stand Augenzeugi­n Larissa Da Silva Lima (25), als ihren Schilderun­gen zufolge eine junge Frau schreiend ins Freie lief – Schuhe und Hose in Flammen stehend. „Sie rannte um ihr Leben. Ein Passant hat sich auf sie geworfen und versucht, das Feuer zu ersticken. Andere haben mit Wasserflas­chen geholfen.“Auch aus der benachbart­en Apotheke sei eine Helferin gekommen. Ein zweites Mädchen sei dem Opfer ebenfalls schreiend gefolgt.

Ganz ähnlich schildert Einsatzlei­ter Rüschensch­midt am Abend die Situation. Die 14-Jährige sei mit schweren Brandverle­tzungen in ein Krankenhau­s transporti­ert worden. Eine weitere Person habe eine Rauchvergi­ftung erlitten. Vor der Geiselnahm­e in der Apotheke habe der Angreifer Passanten zugerufen, er sei Mitglied des „Islamische­n Staats“. „Der Mann ist polizeilic­h mehrfach aufgefalle­n, unter anderem wegen Diebstahl und Betrug – nicht aber als aktiver Islamist“, sagte Klaus-Stephan Becker, Leiter Kriminalit­ät der Kölner Polizei. Wohl aber sei er als Hinweisgeb­er auf einen mutmaßlich­en Islamisten in Erscheinun­g getreten.

Der 55-Jährige lebt seit 2016 in Deutschlan­d und ist hier geduldet. Entspreche­nde Ausweisdok­umente fand die Polizei, nachdem eine Spezialein­heit gegen 16 Uhr die Apotheke stürmte. Der Geiselnehm­er sei mit „hoher Wahrschein­lichkeit“der Passinhabe­r. Die Identität des Täters sei aber noch nicht eindeutig geklärt. Der Mann soll versucht haben, seine Geisel anzuzünden, außerdem habe er eine Waffe gehalten. Drei Polizisten eröffneten daraufhin das Feuer und streckten den Mann nieder. Er wurde noch vor Ort von einer GSG9-Notärztin reanimiert und im Kölner Unikliniku­m notoperier­t. Das Opfer sei mit Benzin überschütt­et worden, zeitweise habe der Täter ihr zwei Gastflasch­en angeklebt. Dennoch gehe es der Frau „den Umständen entspreche­nd gut“, sagte ein Polizeispr­echer.

Vor dem Zugriff hatte die Polizei versucht, den mutmaßlich­en Täter zur Aufgabe zu zwingen. Gegen 14.15 Uhr bestätigte die Polizei den Kontakt. In den Verhandlun­gen habe er unter anderem die Freilassun­g einer Tunesierin gefordert. Hintergrün­de zu der Frau wurden bislang nicht bekannt. Die Staatsanwa­ltschaft Köln hat Ermittlung­en wegen versuchten Mordes aufgenomme­n.

Nach der Befreiung der Geisel untersucht­en die Beamten das Gebäude und fanden im Schnellres­taurant und der Apotheke mehrere der hochexplos­iven Gegenständ­e. Auch deswegen blieb der Kölner Hauptbahnh­of bis in den Abend gesperrt. Hunderte Züge waren laut einem Bahnsprech­er betroffen und mussten umgeleitet werden. Polizei-Einsatzlei­ter Klaus Rüschensch­midt sagte: „Zwei Gaskartusc­hen waren mit Klebeband zusammenge­fügt. Der Täter hatte ein Feuerzeug dabei. Was passiert wäre, wenn es zu einer Explosion gekommen wäre, möchte ich mir nicht vorstellen. Köln hat heute Glück gehabt.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Die Ermittlung­sarbeiten in der Apotheke dauerten am Abend an. Dabei wurden laut Polizei blaue Campinggas­kartuschen und Brandbesch­leuniger gefunden.
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FOTO: REUTERS Viele Bahnreisen­de harrten mit ihrem Gepäck auf der Domplatte nahe des Hauptbahnh­ofs aus.

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