Rheinische Post Langenfeld

Studie: Brexit trifft NRW härter als Bund

Die Verhandlun­gen über einen glimpflich­en Brexit sind am Wochenende gescheiter­t. Ein neuer Versuch soll nun im November oder Dezember gestartet werden. Auch für NRW-Unternehme­n drängt die Zeit.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

LONDON/DÜSSELDORF Die britische Premiermin­isterin Theresa May hält die Hürden auf dem Weg zu einer Brexit-Einigung für überwindba­r. Die EU und Großbritan­nien seien bei den Gesprächen nicht weit voneinande­r entfernt, eine Vereinbaru­ng sei weiterhin machbar, sagte May am Montag. „Die Kontur eines Deals“sei in den meisten Punkten sichtbar, unterschie­dliche Ansichten gebe es aber weiter bei der Zukunft der Grenze zwischen Irland und Nordirland, sagte May. Die Unterhändl­er diskutiert­en nun über eine Zolllösung, die für ganz Großbritan­nien gelten solle und bei der alle Briten in einer Zollpartne­rschaft mit der EU blieben.

Spontane Brexit-Gespräche hatten am Sonntag nicht den entscheide­nden Durchbruch gebracht, obwohl die britische Regierung von „echtem Fortschrit­t“sprach. EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier sagte danach, dass einige zentrale Punkte eines Abkommens trotz all der Mühen noch immer offen seien. Die Frage nach der künftigen Durchlässi­gkeit der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland, das zum Vereinigte­n Königreich zählt, ist der wohl entscheide­ndste dieser Punkte. Eigentlich sollte ein vorläufige­r Brexit-Deal bei einem EU-Gipfel an diesem Mittwoch und Donnerstag unter Dach und Fach gebracht werden. Das wird mittlerwei­le nicht mehr für realistisc­h gehalten. Der irische Ministerpr­äsident Leo Varadkar sagte dazu am Montag, eine Einigung mit den Briten werde wahrschein­licher im November oder Dezember als beim Gipfel in dieser Woche erzielt.

Vor allem die Wirtschaft wartet dringend auf ein Signal, dass es nicht zu einem chaotische­n Bruch ohne Vertrag kommt. Dass jetzt die Klarheit weiter fehle, vergrößere die Probleme, warnte der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag: „Das Brexit-Trauerspie­l geht in die nächste Runde, der Ausgang bleibt völlig offen.“Nach dem Rückschlag vom Wochenende liegt aber nichts Greifbares auf dem Tisch.

Ein harter Brexit hätte gravierend­e Folgen für NRW. Wenn sämtlicher Handel mit Großbritan­nien über Nacht enden würde, wären 5,3 Prozent oder 36,7 Milliarden Euro der Wirtschaft­sleistung des Bundesland­es betroffen. Dies geht aus einer Studie der Universitä­t Magdeburg im Auftrag der Grünen im Europäisch­en Parlament hervor, die unserer Redaktion vorliegt. In NRW geht für die Region Detmold von einem Brexit das höchste Risiko aus: Mit 5,47 Prozent liegt der Regierungs­bezirk bundesweit an 16. Stelle. Dagegen kommt die Region Münster mit einem Risiko von 5,01 Prozent in NRW voraussich­tlich am glimpflich­sten davon.

„Der Brexit wird NRW stärker betreffen als Gesamt-Deutschlan­d“, sagte Daniel Schade, Politikwis­senschaftl­er an der Universitä­t Magdeburg und Autor der Studie. Wie stark genau, hänge von den Verhandlun­gen Fertigungs­industrie Gesamtwirt­schaft Primärindu­strie Dienstleis­tungen Baugewerbe der nächsten Wochen ab. Am geringsten wären die Auswirkung­en, wenn Großbritan­nien einen mit Norwegen vergleichb­aren Status erhielte und Mitglied der Währungsun­ion bliebe. Die Wahrschein­lichkeit, dass es so positiv ausgeht, hält Schade allerdings für gering. Realistisc­her ist seiner Einschätzu­ng zufolge, dass das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) durch den Brexit um 0,23 Prozentpun­kte sinkt: „Ein solcher Verlust an Wirtschaft­sleistung macht sich bei einem BIP-Wachstum in NRW, das unter zwei Prozent liegt, durchaus bemerkbar.“

Für NRW ist Großbritan­nien der Studie zufolge drittwicht­igster Exportund achtwichti­gster Importpart­ner. Auf Deutschlan­d bezogen liegt Großbritan­nien bei den Exporten hingegen nur an fünfter Stelle, bei den Importen nicht einmal unter den ersten zehn. Ursache sei die Stärke der Chemie-, Maschinenb­auund Autozulief­er-Industrie in NRW, so Schade. Autoteile etwa würden aus Großbritan­nien nach NRW geliefert, in NRW eingebaut und wieder zurück ins Vereinigte Königreich geschickt. „Solche Wirtschaft­sketten machen wegen der Zölle dann kaum noch Sinn“, sagte Schade. Sorge bereitete dem Wissenscha­ftler, dass sich erst 45 Prozent der Unternehme­n auf den Brexit vorbereite­n. „Das ist alarmieren­d“, sagte auch die Brexit-Beauftragt­e der deutschen Grünen im EU-Parlament, Terry Reintke. Hier müsse die Landesregi­erung mehr Druck auf die Unternehme­n machen. Ein weiteres Risiko sieht Schade darin, dass es vorübergeh­end von Ende März 2019 an keine Direktflüg­e mehr nach Großbritan­nien geben könnte. Es müsse von britischer Seite längst damit begonnen werden, die Landerecht­e neu zu verhandeln. (mit dpa)

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