Rheinische Post Langenfeld

Eine Ausstellun­g für das Reclam-Heft

Ein neues Museum in Leipzig widmet sich den berühmten gelben Büchern.

- VON SABINE FUCHS LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

LEIPZIG (dpa) Seit mehr als 50 Jahren sammelt Hans-Jochen Marquardt die kleinen, handlichen Hefte. „Reclams Universal-Bibliothek“hatte es ihm bereits als Jugendlich­er angetan. Aus der ganzen Welt trug er bis heute Hefte zusammen, vor allem aus Europa, aber auch aus Australien und Südafrika. Nun erfüllt sich ein Traum von ihm: Am Mittwoch öffnet in Leipzig das erste Reclam-Museum. „Mich hat fasziniert, wie Literatur für wenig Geld weiten Teilen der Bevölkerun­g zugänglich gemacht wurde“, sagt der heutige Pensionär (Jahrgang 1953) zu seiner Leidenscha­ft. „Reclam wurde in den Mansarden für Dienstpers­onal ebenso gelesen wie in den Salons.“

Vor allem der 2011 gegründete gemeinnütz­igen Verein „Literarisc­hes Museum“hat sich für die Reclam-Schau stark gemacht. Anliegen sei es, die Erinnerung an den Verleger Anton Philipp Reclam (1807-1896) in der Stadt lebendig zu halten, in welcher der Verlag gegründet wurde, so der Verein.

Blickfang der Ausstellun­g ist ein riesiger Schrank mit historisch­en Reclam-Ausgaben bis zum Jahre 1945. „5500 Hefte enthält er und sehr viel mehr gehen auch nicht hinein“, sagt Marquardt. Mehr als 10.000 Hefte aus der Leipziger und Stuttgarte­r Produktion sind im Museum zu sehen. Dabei werden die wechselnde­n Gestaltung­sarten und Formate der ältesten noch existieren­d deutschspr­achigen Taschenbuc­hreihe aufgezeigt.

Als erstes Heft der Universal-Bibliothek erschien am 10. November 1867 Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“. Das erste edierte Heft sei jedoch nicht das erstgedruc­kte der Reihe gewesen, erläutert der studierte Germanist Marquardt. Bereits im März 1865 sei „Romeo und Julie“von W. Shakespear­e – so das Titelblatt der damaligen Ausgabe – gedruckt worden. Das meistverka­ufte Buch der Reihe sei „Wilhelm Tell“von Friedrich Schiller.

Ein weiterer Hingucker in der Ausstellun­g ist der Nachbau eines Reclam-Bücherauto­maten – eine Dauerleihg­abe des Verlages Philipp Reclam jun. Stuttgart. Die Automaten wurden vor allem in den Jahren 1912 bis 1917 an öffentlich­en Orten wie Bahnhöfen und Krankenhäu­sern aufgestell­t. Die Interessen­ten konnten dabei zwischen zwölf Titeln wählen.

Der Reclam-Verlag wurde 1828 in Leipzig von Anton Philipp Reclam gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die DDR Reclam als Staatsbetr­ieb weiter. Die teilweise enteignete Verleger-Familie ging in den Westen und es kam zur Spaltung des Verlags. Nach der Wiedervere­inigung firmierte Leipzig als Zweigstell­e des Stuttgarte­r Unternehme­ns. Im März 2006 wurde das einstige Stammhaus in Leipzig geschlosse­n. Tonfälle, Mentalität­s-Schrullen, die irgendwie Wienerisch sind. Der Pathos des Nationalis­mus ist mir fremd, und ich will ihn daher nicht für eine höhere Ebene erfinden. Ich gebe zu, dass ich bei der Ode an die Freude eine Träne verdrücken muss. Aber was die allgemeine­n Rahmenbedi­ngungen unseres Lebens betrifft, bin ich fröhlich und engagiert dankbar für Sachlichke­it und Vernunft. Kann man sich in die Europäisch­e Menschenre­chtscharta verlieben? Ja, aber ganz anders als ein Nationalis­t in die nationalen Symbole seiner Besonderhe­it und den Stolz auf den Zufall seines Geburtsort­s.

Das Manifest will viel: den Weg Europas in die gemeinsame Zukunft zeigen mit dem deutlichen Hinweis auf die schuldvers­trickte Vergangenh­eit des Kontinents. Ist das eine ohne das andere nicht zu haben?

MENASSE Doch, es wäre schon das eine ohne das andere zu haben. Aber das wollen wir nicht haben. Wer keine Lehren aus der Geschichte zieht, wird in Zukunft die Lehren der Geschichte ziehen müssen, die er jetzt produziert. Und die werden nicht erfreulich sein.

Im Manifest heißt es, dass das Europa der Nationalst­aaten gescheiter­t sei. Woran machen Sie das fest?

MENASSE Die Konkurrenz der Nationalst­aaten hat zu einem zweiten Dreißigjäh­rigen Krieg geführt, von 1914 bis 1945. Friedensve­rträge zwischen Nationen haben nichts genützt, es gab trotzdem Krieg, Bündnisse zwischen Nationen sicherten den Frieden nicht, die Nationen sind dennoch übereinand­er hergefalle­n. Das alleine wäre schon Grund genug, die Nationalst­aaterei zu überwinden. Dazu kommt jetzt noch die Globalisie­rung, also die Zertrümmer­ung aller nationaler Souveränit­ät. Jeder Nationalst­aat scheitert gegenüber den Herausford­erungen, die sich daraus ergeben. Sie alle sind längst transnatio­nal, von den Finanzströ­men über die Wertschöpf­ungsketten bis hin zu den ökologisch­en Problemen und den Ansprüchen an Sicherheit und soziale Gerechtigk­eit. Da hilft nur Gemeinscha­ftspolitik. Unser Anspruch ist, diese demokratis­ch zu gestalten. Das ist nicht alternativ­los.

Aber die Alternativ­e wäre eine Misere.

„Europäer ist, wer es sein will“, heißt es. Angesichts der schwierige­n Flüchtling­sdebatte auch hierzuland­e verlangt das viel Souveränit­ät von den „Alt-Europäern“. Zu viel?

MENASSE Ja, viel zu viel. So sehr zu viel wie die zehn Gebote, der kategorisc­he Imperativ und die Menschenre­chtsdeklar­ation.

Wie euphorisch sind Sie?

MENASSE Überhaupt nicht. Der Anspruch auf Freiheit, Gleichheit, Solidaritä­t ist ja keine Droge, sondern ein Grundbedür­fnis. Manchmal ist die Verteidigu­ng dieses Anspruchs Notwehr. Euphorisch? Ich bitte Sie.

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FOTO: DPA Sammler Hans-Jochen Marquardt im Reclam-Museum in Leipzig.

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