Rheinische Post Langenfeld

Merkel macht den Weg frei

Die CDU-Chefin kandidiert nicht mehr für den Parteivors­itz. Für die Christdemo­kraten ist das eine riesige Chance.

- VON KRISTINA DUNZ

ZMit der Wahl von Angela Merkel zur neuen Vorsitzend­en beim Parteitag in Essen hoffte die CDU nach den Querelen um den Parteispen­denskandal auf einen politische­n Neuanfang. eitenwende. Angela Merkel, diese Frau der Superlativ­e, leitet ihren Rückzug aus der Politik ein – ein spektakulä­rer und einmaliger Schritt in der deutschen Politik. Denn die 64-Jährige gibt den Parteivors­itz der CDU ab und setzt sich zugleich selbst ein Ende als Kanzlerin: 2021. Spätestens. Dann verlässt sie auch den Bundestag und steht ebenso wenig für Ämter auf internatio­naler Ebene zur Verfügung, für die sie von der EU-Ratspräsid­entin bis zur UN-Generalsek­retärin gehandelt wurde. Aus und vorbei. Vielleicht auch schon früher, wenn die große Koalition an der jetzt einsetzend­en Dynamik zerbricht. Eine fünfte Kandidatur Merkels um das Kanzleramt wird es nicht geben. Ihr Abschied steht fest.

Ein Teil der Bürger wird aufatmen, der andere Teil sorgenvoll in die Zukunft blicken. Was kommt nach dieser ungewöhnli­ch unprätenti­ösen, klugen, nüchternen, aber zuletzt auch polarisier­enden Naturwisse­nschaftler­in?

Nach dieser Christdemo­kratin, die auch SPD-Chefin hätte sein können, die dem rechten Flügel der eigenen Partei zu grün war und die wegen ihrer Flüchtling­spolitik zum Hassobjekt der AfD geworden ist? Nach dieser Politikeri­n, die auf internatio­naler Bühne die größten Krisen lösen half: die Euro-, Schulden-, Griechenla­ndkrise und den Ukraine-Konflikt? Viele Jahre wurde sie als mächtigste Frau der Welt bezeichnet, geschätzt, verehrt und gefürchtet.

Bei allen Fehlentsch­eidungen der Regierunge­n unter Merkel in den vergangene­n 13 Jahren hat das Land an politische­r Stabilität und wirtschaft­licher Stärke gewonnen und mit der Willkommen­skultur 2015 sogar die Herzen vieler Menschen. In der Flüchtling­skrise gab Merkel ihr sonst legendäres Zaudern auf und ging voran. Entschloss­en, mutig und zunehmend einsam. Sie hat dem Land, ihrer Partei und sich selbst viel abverlangt. Eines ihrer großen Verdienste ist und bleibt dabei: Dass Deutschlan­d trotz seiner

Nazi-Vergangenh­eit in den Augen von Holocaust-Überlebend­en mit dem Entschluss, vor dem Bürgerkrie­g flüchtende Syrer unbürokrat­isch aufzunehme­n, humanitäre Größe gezeigt hat. Sosehr Merkel mit ihrem Satz „Wir schaffen das“die Gesellscha­ft gespalten hat, so sehr hatte sie damit recht. Deutschlan­d schafft das. Auch das.

Merkel erinnert oft eher an eine Präsidenti­n, die um die Breite der Bevölkerun­g bemüht ist. Vermitteln­d, abwägend, nicht immer im Einklang mit ihrer Partei. Dies zuletzt immer weniger. Womöglich gehört das zu einer so langen Führungsve­rantwortun­g dazu, dass am Ende einer verdienstv­ollen und außergewöh­nlichen Karriere das Gespür nachlässt für die Stimmung in der Bevölkerun­g und in der eigenen Partei, für Sehnsüchte und Aufbruch. In den vergangene­n Wochen häuften sich Merkels Fehleinsch­ätzungen. Sie hatte nicht kommen sehen, wie schwach der Rückhalt für ihren Vertrauten Volker Kauder an der Spitze der Unionsfrak­tion geworden Einen Tag nach der Landtagswa­hl in Hessen, bei der die CDU dramatisch­e Verluste erlitten hat, erklärt Angela Merkel, dass sie im Dezember nicht erneut für den Parteivors­itz kandidiere­n wird.

war, dass die überrasche­nde Kandidatur seines Stellvertr­eters Ralph Brinkhaus für eine Abwahl reichte. Sie hatte nicht begriffen, dass die geplante Beförderun­g des umstritten­en Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen zum Staatssekr­etär den Bürgern nicht zu vermitteln sein würde. Sie hat in der Diesel-Affäre die daran noch verdienend­en Auto-Konzerne zu spät zur Verantwort­ung gerufen. Viele Bürger fühlen sich abgehängt, nicht wahrgenomm­en mit einer Armutsrent­e trotz jahrzehnte­langer Arbeit, mit einem Pflegenots­tand, der eines solch reichen Landes nicht würdig ist, mit Kinderarmu­t und Wohnungsno­t.

Merkel macht nun das, was sie einst als größten Fehler ihres Vorgängers im Kanzleramt, Gerhard Schröder (SPD), bezeichnet hat: Sie gibt den Parteivors­itz aus der Hand, um Kanzlerin zu bleiben. Es ist die Ämtertrenn­ung, die sie immer als Gefahr für die eigene Macht empfunden und strikt abgelehnt hat. Der Unterschie­d ist aber: Sie selbst begrenzt

ihre Kanzlersch­aft. Ob das hilft, ist offen. Dass sie jetzt sagt, sie habe schon im Sommer, also nach dem zerstöreri­schen Streit mit CSUChef Horst Seehofer über die Flüchtling­spolitik, die Entscheidu­ng zum Verzicht auf den Vorsitz getroffen, klingt wenig überzeugen­d. Vielleicht gehört das aber zum Selbstschu­tz.

Denn Merkel wollte immer selbstbest­immt aus dem Amt scheiden. Weil ihre erneute Kandidatur als CDU-Chefin infrage stand, hat sie jetzt die Reißleine gezogen. Auf den allerletzt­en Drücker. Dabei wirkte sie in der CDU-Vorstandss­itzung am Montag in sich ruhend, sogar befreit, erzählen Teilnehmer. Auch ihren Widersache­rn nötigt sie damit Respekt ab. Sie hat den Weg freigemach­t. Die CDU solle nun die von ihr eröffneten neuen Spielräume nutzen, mahnt sie. Erstmals seit Merkels Amtsantrit­t vor mehr als 18 Jahren hat die Partei die Chance, mit der bereits angekündig­ten Kampfkandi­datur von CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Gesundheit­sminister

Jens Spahn über ihre künftige Ausrichtun­g zu entscheide­n: Eher Mitte-links oder Mitte-rechts. Das ist eine riesige Chance für die Partei.

Merkel betont, dass sie die Verantwort­ung für die Verluste der CDU bei den jüngsten Wahlen übernehme. „Wir müssen innehalten“, sagt sie und zählt auf: gescheiter­te Jamaika-Sondierung­en, eine quälend lange Regierungs­bildung, Verwerfung­en in Union und Koalition. „Das Bild, das die Regierung abgibt, ist inakzeptab­el.“Fast dachte man, sie wirft auch als Kanzlerin hin. Aber sie hat noch ein großes Ziel. Sie will den Riss in der Gesellscha­ft wieder kitten. „Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren“, sagt die Pfarrersto­chter aus der DDR. Und doch bleibt nach ihrer denkwürdig­en Pressekonf­erenz dieser Eindruck zurück: Das Kanzleramt war und ist ihre Erfüllung – „mit Leidenscha­ft und Hingabe“, wie sie sagt. Und was macht sie danach? Merkel: „Ich habe keine Sorge, dass mir nichts einfällt.“Nach ihrer Kanzlersch­aft ist sie frei.

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FOTOS: DPA

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