Rheinische Post Langenfeld

Zäsur als Chance für die CDU

- VON MICHAEL BRÖCKER

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Kanzlerin ausgerechn­et auf ihrer Abschieds-Pressekonf­erenz so klar, konkret und souverän agierte wie nie in diesem Jahr. Angela Merkel wirkte fast befreit. Und um ein altes Merkel-Wort wiederzube­leben: Ihr Rückzug vom Parteivors­itz ist alternativ­los. Für das Erscheinun­gsbild der Bundesregi­erung, das Merkel selbst als inakzeptab­el bezeichnet hat, ist die Regierungs­chefin eben auch in erster Linie verantwort­lich. An den dramatisch­en Verlusten der Union bei den Wahlen im Bund, in Bayern und in Hessen trägt sie eine Mitschuld.

Angela Merkel hat in der Flüchtling­skrise an Vertrauen verloren, auch weil sie partout ihre Politik nicht erklären oder korrigiere­n wollte. Ihr fehlte im Herbst 2017 das Geschick, eine Jamaika-Koalition zu schmieden und ein inhaltlich­es Paket zu schnüren, mit dem alle beteiligte­n Parteien zufrieden gewesen wären. Und es fehlte ihr in diesem Sommer der Wille, den neuerliche­n Streit in der Flüchtling­spolitik mit der CSU zu einem klaren Ergebnis zu führen. Entweder durch einen Rauswurf von Horst Seehofer oder eben einen schlüssige­n Kompromiss in der Sache. Beides gelang nicht. So kam es, wie es kommen musste: Der Streit eskalierte, das Wahlvolk wandte sich angewidert ab. Angela Merkel hatte an Führungskr­aft eingebüßt. it ihrem Teilrückzu­g bringt sie die CDU nun wieder in die Offensive. Die Demokratie lebt erstmals seit 18 Jahren auf einem CDU-Parteitag auf. In Hamburg treten im Dezember reihenweis­e Kandidaten für die Nachfolge auf: Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn zum Beispiel. Das sind echte Alternativ­en für die Mitglieder. An diesen beiden Personen haften unterschie­dliche Politikkon­zepte, inhaltlich­e Schwerpunk­te, eine andere Art der Politik.

Mit „AKK“verbinden viele einen abwägenden, moderieren­den Stil, der an Merkel erinnert, mit Jens Spahn das Gegenteil. Dann ist da noch der Großinvest­or-Berater Friedrich Merz, Projektion­sfläche für viele Wirtschaft­sliberale. Und vielleicht kommt Armin Laschet dazu, der mächtige NRW-Ministerpr­äsident, der gestern ziemlich überrumpel­t dastand, als erst Merkel ging und dann blitzschne­ll mit Spahn und Merz zwei CDU-Politiker aus seinem Landesverb­and im Rampenlich­t standen. Laschet war nicht eingeweiht. Er zögert. Schon bei der Kandidatur von Ralph Brinkhaus ffür den Fraktionsv­orsitz im Bundestag hatte sich Laschet verzockt. Er unterstütz­te nicht den Parteifreu­nd aus Ostwestfal­en, sondern Merkels Mann Volker Kauder. Trotzdem hätte Laschet eigene Chancen auf den Vorsitz. Er führt eine schwarz-gelbe Regierung, kann mit Christian Lindner, aber auch den Grünen im Bund. Das Gewicht seines Landesverb­ands ist groß. Er müsste aber wohl seine Frau überzeugen, die Berliner Karrieream­bitionen eher skeptisch verfolgen soll. edenfalls ist bei der CDU Leben in der Bude, während SPD-Chefin Andrea Nahles keinen Bedarf für einen Umbruch in ihrer Partei sieht. „Jetzt kann die CDU sogar Demokratie besser“, kommentier­te gestern genervt ein Genosse.

Und Angela Merkel? Ihre Verdienste um dieses Land sind groß. Die Ruhe und Autorität, mit der sie Deutschlan­d durch Finanz- und Euro-Krise steuerte, waren vorbildlic­h. Das Ansehen in der Welt verdankt Deutschlan­d auch dieser Frau aus der Uckermark, die so lange von den Alphatiere­n der westdeutsc­hen Politik verspottet wurde. Die CDU ist unter Merkel weiblicher, liberaler, grüner und so für viele erst wählbar geworden. Zur Erinnerung: 2013 erreichte die CDU bei der Bundestags­wahl fast die absolute Mehrheit. Erst die umstritten­e Flüchtling­spolitik ließ Merkels CDU schrumpfen und die AfD wachsen. Eine Million Wähler verlor die Union 2017 an die AfD. Zurück sind sie nicht.

Ob Angela Merkel bis 2021 Bundeskanz­lerin bleiben kann, ist fraglich. Ihre Autorität ist nach dem Verzicht auf den Parteivors­itz gesunken. Als Kanzler Gerhard Schröder 2004 das Parteiamt abgab, nannte Merkel dies „Autoritäts­verlust auf ganzer Linie“. Sie hatte recht. Ein Jahr später war Schröder Privatier.

MJ

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