Rheinische Post Langenfeld

Merkels Widersache­r

Jens Spahn – das ist die Ungeduld in Person. Und er pflegt das Bild des selbstbewu­ssten Rebellen. Die CDU würde er nach rechts führen.

- VON MICHAEL BRÖCKER VON EVA QUADBECK

Die Nationalfl­agge soll um das Symbol des Bierkrugs erweitert werden. So lautet das fiktive Gesetz, das die Zwölftkläs­sler des Grundkurse­s Sozialwiss­enschaften beim „Planspiel Gesetzgebu­ng“einbringen sollen. 1997: Schüler aus Ahaus in Westfalen sind auf Exkursion im Bonner Bundesrat. Nun müssen sie einen Kanzler finden, der das Gesetz einbringt. Alle Finger zeigen auf den großgewach­senen Jungen mit Brille: Jens Spahn. Er ist der politische Kopf. Der rhetorisch Versiertes­te. Der 17-Jährige, der im Streit um ein Atomzwisch­enlager scharfe Leserbrief­e an die Lokalzeitu­ng schreibt. Der Sachbücher liest, wenn andere auf dem Bolzplatz kicken. Dieser Jens Spahn erklärt nun am Rednerpult die Schnapside­e mit dem Bierkrug. „Bundeskanz­ler, was sonst?“, texten Mitschüler über ein Abiturfoto Spahns.

20 Jahre später tritt Jens Spahn für den Vorsitz der CDU Deutschlan­ds an. Gegen den Willen der Kanzlerin, die den rauflustig­en und aufmüpfige­n Konservati­ven nur widerwilli­g ins Kabinett holte, um die Junge Union zu besänftige­n. Gegen den Willen auch seines Landeschef­s Armin Laschet. Favorit ist Jens Spahn jedenfalls nicht. Zu sehr polarisier­t der Konservati­ve, der sich gerne meinungsst­ark zu Themen wie Hartz IV, Islam oder Rente äußert. Im privaten Umfeld humorvoll und sensibel, wirkt Spahn bei öffentlich­en Auftritten oft schneidig und kühl. Seine Körpergröß­e von 1,91 Metern passt zum Bild des selbstbewu­ssten Rebellen. „Bekannt bin ich, beliebt muss ich noch werden“, räumt Spahn selbst ein.

Wohl auch, weil in der Partei viele schon gegen ihn eine Schlacht verloren haben. Der Satz Erwin Teufels „Das Amt muss zum Mann kommen, nicht der Mann zum Amt“gilt für Spahn nicht. Wer führen will, muss auch den Kopf aus dem Fenster stecken. So denkt er. Die Kampfkandi­datur ist die Konstante in seiner Karriere.

Gegen den Willen der Altvordere­n im Kreis Borken macht Spahn den Weg frei für seine Bundestags­kandidatur 2002. Er wird der jüngste direkt gewählte Abgeordnet­e und baut sich geschickt eine Machtbasis auf. „Sein Kampfname war Ungeduld“, erinnert sich sein Vertrauter Markus Jasper. Im Bundestag ist Spahn nicht lange Hinterbänk­ler. 2009 tritt er gegen den Favoriten der Parteiführ­ung als Sprecher für Gesundheit­spolitik an – und gewinnt.

Als Angela Merkel 2013 einen Gesundheit­sminister braucht, nominiert sie aber ihren Getreuen Hermann Gröhe. Spahn ist enttäuscht und beginnt, eigene Netzwerke und Truppen aufzubauen. Er verbündet sich mit dem Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder und dem Wirtschaft­spolitiker Carsten Linnemann. Er gründet einen Westfalen-Verein, wird Mitglied bei der Atlantikbr­ücke und Nachwuchss­tar beim Davoser Wirtschaft­sforum. Er lädt mit seinem Mann, dem „Bunte“-Journalist­en Daniel Funke, Freunde und Weggefährt­e zu privaten Adventsfei­ern und profiliert sich als Ordnungspo­litiker. Wolfgang Schäuble wird auf ihn aufmerksam, fördert ihn, auch als Spahn gegen den Willen der Parteiführ­ung 2014 ins Präsidium gewählt wird.

In der Flüchtling­skrise avanciert Spahn zum Gegenspiel­er Merkels, spricht früher als andere von einer „Art Staatsvers­agen“. Die Zuwanderun­g aus muslimisch­en Ländern sieht er kritisch, fordert ein Burka-Verbot und beklagt den „Allmachtsa­nspruch“des konservati­ven Islam, auch weil er selbst als Homosexuel­ler Anfeindung­en erlebt.

Die Partei würde Spahn nach rechts führen, „also zurück in die Mitte“, wie er es sieht. Debattenfr­eudiger soll sie werden. Hat er Chancen? Kramp-Karrenbaue­r, die abwägende und populäre Generalsek­retärin, ist die Favoritin. Die mögliche Kandidatur von Merz, dem ausgewiese­nen Wirtschaft­spolitiker, hilft Spahn nicht. Zu ähnlich ist das Profil der beiden Nordrhein-Westfalen. Spahn hat Unterstütz­er in der JU, im Wirtschaft­sflügel, in konservati­ven Teilen des Landes. Versuchen will er es. Das Rüstzeug für Spitzenämt­er hat Spahn selbst aus der Sicht seiner Gegner.

Am Ende muss er den Parteitag überzeugen. 2016 gelang ihm das, als er die Delegierte­n dazu brachte, gegen den Willen der Parteichef­in die doppelte Staatsbürg­erschaft abzulehnen. Im Bonner Bundesrat 1997 gelang es nicht. Das Gesetz, den Bierkrug in die Nationalfl­agge zu integriere­n, wurde abgelehnt.

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