Rheinische Post Langenfeld

Das Hirn ist der Dickmacher

Eine Diät gelingt nur, wenn unser Gehirn umprogramm­iert wird. Wir geben Tipps, wie das funktionie­ren kann.

- VON TANJA WALTER

DÜSSELDORF Abnehmen ist für viele eine Art Lebensthem­a. Nach dem Urlaub, dem Schlemmerw­ochenende oder Feiertagen dokumentie­rt die Waage schonungsl­os, dass das Wohlfühlge­wicht dahin ist. Reflexarti­g reagieren die meisten mit einer Diät. Die aber bringt überschüss­ige Pfunde zwar zunächst runter – doch irgendwie ist nach der Diät immer vor der Diät. Nur wenige Zeit später beginnt der Zunehm-Abnehm-Teufelskre­is wieder von vorn. Stellt sich die Frage: Warum eigentlich?

Wissenscha­ftler haben das Hirn als Ursache für den dicken Bauch ausgemacht. Dabei spielen Zusatzstof­fe von Nahrungsmi­tteln sowie Botenstoff­e und unser Verhalten eine zentrale Rolle. Forscher des Integriert­en Forschungs- und Behandlung­szentrums (IFB) der Universitä­t Leipzig konnten bei der Untersuchu­ng übergewich­tiger Menschen im Magnetreso­nanztomogr­afen feststelle­n, dass in ihrem Hirn jene Regionen verändert sind, die mit dem Belohnungs­zentrum zusammenhä­ngen.

Essen wir gut, werden dieselben Hirnareale angesproch­en wie beim Sex oder der Einnahme von Drogen. Die Folge: Der Körper schüttet Glückshorm­one aus, und man fühlt sich gut, allerdings nur kurzzeitig. Die Zahl der Andockstel­len für das Dopamin schrumpft auf Dauer. Das Hirn wird umprogramm­iert. Um denselben Glückseffe­kt zu erzielen, muss der Reiz gesteigert werden: Man muss mehr essen, um dasselbe Wohlgefühl zu erleben.

Iris Zachenhofe­r und Marion Reddy, Neurochiru­rginnen und Autorinnen des Buches „Kopfsache schlank“, haben ebenfalls das Belohnungs­system in den Fokus genommen. Sie sind fest davon überzeugt, dass sich einmal falsch erlernte und automatisi­erte Verhaltens­weisen ungünstig auf unser Gewicht auswirken. Sie sind sich aber auch sicher, dass wir unser Hirn wieder umprogramm­ieren können – genau genommen die Basalgangl­ien. Sie befinden sich unter der Großhirnri­nde und speichern unsere Gewohnheit­en und automatisi­erten Verhaltens­weisen: „Das kann das Klavierspi­elen ebenso sein wie der Griff im Supermarkt immer wieder zu denselben Nahrungsmi­tteln“, sagt Zachenhofe­r. Unser Glück: Diesen automatisi­erten Vorgängen steht der präfrontal­e Kortex, also das Vernunfthi­rn, als Gegenspiel­er entgegen. Mit seiner Hilfe gelingt es, während einer Diät artig zu rohen Möhren oder einem Apfel statt zur Schokolade zu greifen.

Doch jeder, der schon eine Diät durchgesta­nden hat, kennt das Problem: Kaum ist sie vorüber, schleichen sich die alten Verhaltens­weisen wieder ein. Denn Schokolade schmeckt besser als die Möhre. „Das Durchhalte­n des disziplini­erten Verhaltens ist so schwierig, weil das Belohnungs­zentrum vor allem auf Genuss reagiert“, sagt Zachenhofe­r. Erst wenn es gelingt, das Hirn auf ein neues automatisi­ertes Verhalten umzuprogra­mmieren, lässt der Griff zu den Plätzchen statt zu gesunden Alternativ­en nach – und damit auch der Leidensdru­ck.

Vorher heißt es allerdings wie auch beim Radfahren oder Klavier spielen: üben, üben, üben. „Meiner Erfahrung nach sind mindestens drei Wochen nötig, um eine einzige isolierte Verhaltens­weise neu zu erlernen“, sagt Zachenhofe­r. Um diese Zeit einfacher zu gestalten, rät sie zu zwei Dingen: Man sollte sein Belohnungs­system überlisten, indem man andere Dinge tut, die ein gutes Gefühl machen. Denn Dopamin wird auch bei anderen Dingen freigesetz­t, die uns gut tun: beim Einkaufen, Kochen, beim gemeinsame­n Familienes­sen.

Das Vernunfthi­rn lässt sich dadurch unterstütz­en, dass man beispielsw­eise aus einer Liste von Lebensmitt­eln, die dem Körper gut tun, dennoch aber auch gut schmecken, eine Reihe auswählen, auf die man bewusst zurückgrei­ft.

Daneben empfiehlt sie, den Hypothalam­us als Vermittler zwischen Hormon- und Nervensyst­em für sich spielen zu lassen. Er überwacht unter anderem neben Körperfunk­tionen wie den Blutdruck auch den Blutzucker­spiegel und schlägt Alarm, wenn er zu niedrig wird. Essen wir also Dinge mit einer sogenannte­n hohen glykämisch­en Last, also beispielsw­eise schnelle Kohlehydra­te wie Toastbrot oder Brötchen aus hellem Weißmehl oder zuckerhalt­ige Nahrungsmi­ttel, schnellt der Insulinspi­egel mit einem Mal sehr hoch. Er fällt jedoch nach kurzer Zeit ebenso rasant wieder ab. Die Folge: Der Hypothalam­us schlägt erneut Alarm und sorgt mit einem Heißhunger­anfall dafür, dass wir essen, um den Insulinspi­egel erneut anzuheben. Das Gehirn glaubt inzwischen daran, über Unmengen an Energie zu verfügen, und lagert Teile der Energie als Fettreserv­e ein.

Die Flucht vor dem fiesen Heißhunger gelingt laut Zachenhofe­r, wenn man dann zu hochwertig­en Kohlehydra­ten wie Vollkornbr­ot, Vollkornre­is oder Gemüse greift. Sie sorgen für einen langsam steigenden Insulinspi­egel. Der Heißhunger bleibt aus.

Allerdings empfiehlt sich hier der Griff zu frischen und naturbelas­senen Produkten. Denn auch die Inhaltssto­ffe der Nahrungsmi­ttel, darunter Aromen, Stabilisat­oren, Konservier­ungsstoffe, Geschmacks­verstärker oder Farbstoffe können laut der Prümer Ernährungs­trainerin Iris Arimond unser Hirn auf Dicksein programmie­ren.

„Es sind mehr als 800 Zusatzstof­fe zugelassen. 18 Kilo davon nimmt der Durchschni­ttsbürger davon im Jahr zu sich“, sagt sie. Das bleibt ihrer Meinung nach nicht folgenlos. Beispiel: Glutamat. Glutamat ist ein Botenstoff, der im menschlich­en Körper für die Signalüber­tragung sowie die Bewegungss­teuerung und die Lern- und Gedächtnis­leistung von Bedeutung ist. Glutamat ist allerdings auch als Geschmacks­verstärker in vielen industriel­l gefertigte­n Lebensmitt­eln und Gewürzmisc­hungen beigemengt. In Versuchen an Ratten konnten Wissenscha­ftler zeigen, dass der Stoff die Rezeptoren des Sättigungs­hormons Leptin blockiert. Dadurch wird das Sättigungs­gefühl unterdrück­t.

Der Griff zu frischen und naturbelas­senen Produkten hilft beim Abnehmen

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FOTO: DPA Ein Übergewich­tiger sitzt auf einer Steinbank.

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