Bilder ohne Maler
Die Versteigerung eines nicht von Menschenhand gemalten Bildes wirft die Frage auf: Verändert Künstliche Intelligenz die Kunst?
DÜSSELDORF Alle Welt redet von Künstlicher Intelligenz – da will der Kunsthandel nicht zurückstehen. Das Auktionshaus Christie‘s versteigerte kürzlich für 432.500 Dollar (380.500 Euro) ein Bild der Pariser KI-Kunstgruppe „Obvious“und verbreitete seinen Stolz darüber, dass das „Portrait of Edmond Bellamy“4320 Prozent über dem Schätzwert den Besitzer wechselte. Der Wirtschaftscoup ließ jedoch die Fragen untergehen, was an solcher Kunst sensationell ist, ob Künstliche Intelligenz im gängigen Sinne überhaupt etwas Neues darstellt und ob der Begriff Intelligenz nicht zwingend an den Menschen gebunden ist.
Sensationell ist vor allem die Tatsache, dass jemand für einen verschwommenen Druck, der in altmeisterlicher Art einen Mann in dunkler Kutte mit weißem Kragen zeigt, einen sechsstelligen Betrag ausgibt, bloß weil ein Algorithmus das Werk produzierte. Und weil dies den Durchbruch solcher künstlichen Kunst auf dem internationalen Markt bedeuten könnte.
Dabei hatte das Kollektiv „Obvious“schon zuvor zehn solcher „Belamy“-Drucke verkauft. Benannt ist die Serie nach dem KI-Forscher Ian Goodfellow, dessen Nachnahme im Französischen „bel ami“, guter Freund, lauten würde. Goodfellow legte seinem jüngst versteigerten Bild einen Datensatz aus 15.000 Porträts zugrunde, die zwischen dem 14. und dem 20. Jahrhundert entstanden sind. Auf dieser Grundlage erzeugte ein Generator so lange Bilder, bis ein gleichfalls elektronischer „Discriminator“eines davon für ein von Menschenhand geschaffenes hielt.
Bereits vor zweieinhalb Jahren hatte eine Künstliche Intelligenz in Amsterdam „The Next Rembrandt“erzeugt, das Bild eines Mannes im Stile des Altmeisters. Das Team hatte die KI mit dem Gesamtwerk des Malers gefüttert, mit dem Ergebnis allerdings nicht den Kunstmarkt, sondern lediglich die Teilnehmer von Digitalkonferenzen beglückt. Ihr Vorgehen glich demjenigen ihrer Obvious-Kollegen.
Das ist lediglich eine Fortentwicklung der computergenerierten Kunst, die schon in den 1960er Jahren die Runde durch die Galerien machte. Letztlich war der Computer dabei nur ein Werkzeug des programmierenden Künstlers. Das ist er auch bei der KI-Kunst von heute, mit dem Unterschied, dass die Algorithmen dem Rechner mehr Selbstständigkeit einräumen. Wenn das Bild mit dem Algorithmus signiert ist, dem es angeblich seine Entstehung verdankt, verschleiert das lediglich die Tatsache, dass menschliche Gehirne dahinterstecken.
Davon aber wollen die Auktionatoren nichts wissen. Sie benötigen immer wieder neue Sensationen und gehen oft großzügig darüber hinweg, dass das, was sie als neu propagieren, schon einmal da war. Wie im Falle des kürzlich bei Sotheby‘s versteigerten Bildes „Mädchen mit Luftballon“von Banksy, das für fast eine Million Euro wegging und sich dann ansatzweise selbst zerstörte. Man erinnere sich: Der Schweizer Künstler Jean Tinguely baute bereits 1960 im Garten des Museums of Modern Art in New York eine riesige Maschine aus Schrott, die sich selbst vernichtete. Man nannte ihn damals den Vater der autodestruktiven Kunst.
Malerei von Affen, ästhetisch ansprechende Fundstücke aus der Natur und jene Bilder von Sigmar Polke, die sich unter dem chemischen Einfluss von Feuchtigkeit selbst malten – all dies sind Kunstwerke, die nicht von Menschenhand stammen, bedingt allenfalls im letzten dieser Fälle.
Mit dem Aufkommen Künstlicher Intelligenz hat Selbsthervorbringung eine neue Qualität gewonnen. Ist das, was aus Algorithmen hervorgeht, nun Kunst, oder kann das weg? Bevor man aus der Kunsttradition abgeleitete Urteile fällt wie „Das lässt mich kalt“oder „armselige Laienkunst“, sollte man bedenken, was von Künstlicher Intelligenz überhaupt zu erwarten ist. KI ist definiert als Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem Maschinellen Lernen befasst. Die Wissenschaft unterscheidet starker von schwacher KI. Bei der schwachen geht es um die Simulation intelligenten Verhaltens mit Mitteln der Mathematik und der Informatik, nicht um die Schaffung von Bewusstsein. Ein starkes KI-System hat man sich so vorzustellen, dass es eine andere Erkenntnisarchitektur als der Mensch aufweist. Selbst diese „starke“Spielart der KI besitzt nichts, das sich mit Gefühlen wie Liebe, Hass, Angst oder Freude vergleichen ließe. Allenfalls kann sie solche Empfindungen nachahmen.
Bislang funktioniert nur die schwache KI, bei vernetzten Haushaltsgeräten ebenso wie neuerdings in der bildenden Kunst. Die starke KI ist einstweilen nur Forschungsziel und Fantasie, selbst wenn man sie sich ohne Gefühle denkt.
Eine philosophische, ja religiöse Frage ist es, ob man die Erschaffung eines Homunculus, eines Menschen aus der Retorte, für möglich hält oder aber bestreitet, dass Maschinen jemals mehr als nur simuliertes Bewusstsein mit wirklicher Erkenntnis und Freiheit besitzen könnten.
Im bisherigen allgemeinen Verständnis ist Kunst immer an einen Menschen gebunden. Denn nur er besitzt die Freiheit, gegen Vorgaben von Algorithmen, gegen Regeln zu verstoßen und dadurch Gegenwelten zu erschaffen. Der Begriff des Genies verknüpft sich unmittelbar mit dem göttlichen Funken, der ihm die Entfaltung seiner Kunst erst ermöglicht – ob bei Mozart, Goethe oder Picasso. Nicht aber bei Obvious, der immer nur aus Bekanntem schöpft.