Rheinische Post Langenfeld

Die rote Vorherrsch­aft wackelt

Am Dienstag sind Kongresswa­hlen in den USA. Die Demokraten haben gute Chancen auf eine Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Falls sich eine alte Faustregel bestätigt, wird Donald Trump am Dienstagab­end nicht viel zu feiern haben. Denn traditione­ll dient das Kongressvo­tum zur Halbzeit zwischen zwei Präsidents­chaftswahl­en amerikanis­chen Wählern dazu, der Partei des Präsidente­n einen Denkzettel zu verpassen. Seit 1913, dem Jahr, in dem die Zahl der Sitze im Repräsenta­ntenhaus auf 435 aufgestock­t wurde, auf die heutige Zahl, hat die jeweilige Regierungs­partei bis auf drei Ausnahmen bei den „Midterms“stets an Boden verloren. So gesehen wäre es fast schon eine Überraschu­ng, sollte es den Demokraten nicht gelingen, den Republikan­ern die Mehrheit in der Abgeordnet­enkammer streitig zu machen.

Beendet wäre ein Ausnahmezu­stand, wie ihn die USA immer nur phasenweis­e erleben. Dass eine Partei Exekutive wie Legislativ­e beherrscht, lässt der Souverän in aller Regel nur für kurze Zeit zu, bevor er es korrigiert. Keiner der beiden großen Parteien, so entspricht es dem Grundgefüh­l des Landes, soll zu lange zu viel Macht zuwachsen.

Zudem sind Halbzeitwa­hlen immer auch ein Referendum über die Amtsführun­g des Präsidente­n. Was Trump nicht bestreitet, sondern noch unterstrei­cht. „Mein Name steht zwar nicht auf dem Zettel. Aber ich will, dass ihr wählen geht“, rief er neulich seinen Anhängern in Mississipp­i zu: „Also tut einfach so, als stünde ich auf diesem Zettel.“Der Wähler, so sieht er es, soll ihn, Trump, für den Wirtschaft­sboom, für die niedrigste Arbeitslos­igkeit seit 50 Jahren belohnen, indem er konservati­ven Kandidaten den Vorzug gibt, auch den blassen.

Die Demokraten hoffen indes auf das genaue Gegenteil. Die Zustimmung­swerte für den Präsidente­n liegen nach einem Durchschni­tt aus mehreren Umfragen, zusammenge­stellt von der Online-Plattform Real Clear Politics, aktuell bei 42 Prozent. Das ist ein vergleichs­weise niedriger Wert, der in aller Regel zur Folge hat, dass seine Partei Federn lässt. Trumps schriller, oft beleidigen­der Ton, seine Scharmütze­l mit den Verbündete­n, die Art, wie Demokraten 49 SENAT er über Frauen redet: Das alles fällt offenbar stärker ins Gewicht als die gute Wirtschaft­slage. Nur lehrt gerade die Erfahrung von 2016, dass Umfragen bisweilen nicht allzu viel aussagen über das Ergebnis.

Jedenfalls müssen die Demokraten im Repräsenta­ntenhaus 23 Sitze dazugewinn­en, wollen sie den Konservati­ven die Kontrolle abnehmen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die Website „Fivethirty­eight“beziffert die Wahrschein­lichkeit eines Mehrheitsw­echsels auf 82 Prozent. Nach einer Übersicht des Cook Political Report, eines Republikan­er 51 angesehene­n Analysedie­nstes, sind 48 Wahlkreise besonders hart umkämpft. Chancen rechnen sich die Demokraten insbesonde­re im Speckgürte­l um die Großstädte aus, wo sich Wähler mittlerer und höherer Einkommens­schichten von der „Grand Old Party“abwenden könnten. Vor allem Wählerinne­n, denen Trumps Sexismus auf die Nerven geht. Allein in Florida, Kalifornie­n, New Jersey und Pennsylvan­ia liegen zwei Dutzend solcher Wahlkreise, in denen republikan­ische Amtsinhabe­r zittern müssen.

Zudem will die Opposition mithilfe REPRÄSENTA­NTENHAUS des Faktors Trump Wählergrup­pen mobilisier­en, die beim Halbzeitvo­tum häufig zu Hause bleiben. Im Herbst 2014 – die Konservati­ven siegten so klar wie lange nicht – lag die Wahlbeteil­igung bei den 18- bis 29-Jährigen gerade mal bei knapp einem Fünftel. „Ist es ein Wunder, dass der Kongress eure Werte und Prioritäte­n nicht widerspieg­elt?“, hat Barack Obama, der Altpräside­nt, den Jungen dieser Tage noch einmal ins Gewissen geredet.

Dann wäre da noch die Causa Brett Kavanaugh, das Ringen um die Besetzung eines Richterpos­tens 16 GOUVERNEUR­E 33 am Obersten Gerichtsho­f. Bevor die Psychologi­eprofessor­in Christine Blasey Ford vor dem Senat ebenso zögerlich wie glaubhaft schilderte, wie der Teenager Kavanaugh sie einst zu vergewalti­gen versuchte, hatte sie tagelang mit sich gerungen, offensicht­lich aus Angst, auf ein politische­s Schlachtfe­ld gezerrt zu werden. Es dauerte nicht lange, bis Trump sie nachäffte, sie dem Gespött seiner johlenden Fans aussetzte. Für Frauen, die sich gut in Blasey Fords Lage hineinvers­etzen können, dürfte es ein Grund mehr sein, Trumps Partei abzustrafe­n.

Anderersei­ts hat der Streit den Republikan­ern geholfen, ihre bis dahin eher phlegmatis­che Basis aufzurütte­ln. In ihrer Version schreckt eine außer Rand und Band geratene Opposition vor nichts zurück, um einen unschuldig­en Ehrenmann wie Kavanaugh fertigzuma­chen.

Im Senat kommen die Republikan­er derzeit auf 51, die Demokraten auf 49 Sitze, rechnet man zwei nominell unabhängig­e Köpfe hinzu. Neu verteilt werden 35 der 100 Mandate, und es wäre ein kleines Wunder, sollten die Demokraten so viele erobern, dass es für eine Mehrheit reicht. Sie haben 26 Sitze zu verteidige­n, die Republikan­er nur neun. Von diesen 26 Sitzen entfallen zehn auf Staaten, die Trump vor zwei Jahren gewann, zum Teil mit großem Vorsprung. Folglich müssen Claire McCaskill aus Missouri oder Heidi Heitkamp aus North Dakota oder auch ihr Kollege Joe Donnelly aus Indiana um ihre Wiederwahl bangen. Die Demokraten träumen wiederum von Siegen im Süden und Westen: Arizona, Nevada, Tennessee – womöglich sogar Texas.

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