Rheinische Post Langenfeld

Pflegt den Weltschmer­z!

Viele fürchten den November-Blues. Doch Vergänglic­hkeit rückt einiges zurecht.

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Nun hat er also begonnen, der berüchtigt­e Nebel-Monat, der selbst die sonnigsten Gemüter mit seinen klammen Klauen zu packen und dem Eishauch der Melancholi­e zu lähmen versteht. Über derlei Monatsveru­nglimpfung­en mag man lachen, solange sich der November von seiner goldenen Seite zeigt.

Doch fahles Licht, lange Nächte und die sterbende Natur können Wirkung haben aufs Gemüt. Vielleicht lockt das große Vergehen aber auch nur Gedanken hervor, die zur Rundung eines Jahres bedacht werden wollen.

Denn Melancholi­e ist ja nicht nur hohler Trübsinn. Auch keine Krankheit wie die Depression, die das Leben in eine kalte Hölle verwandeln kann. Melancholi­e ist ein mehr empfundene­s als reflektier­tes Gespür für Vergeblich­keit. Etwas, das der Dichter Jean Paul als „Weltschmer­z“beschriebe­n hat. Alles auf Erden ist vergänglic­h – jede Pflanze, jedes Tier, jeder Mensch. Diese Wahrheit macht nicht froh, aber sie lässt manche Aufgepumpt­heit schrumpfen. Ein missglückt­es Projekt im Job, ein Streit mit den Kindern, vielleicht ist dies alles nicht so schlimm?

Melancholi­e kann also auch Gelassenhe­it schenken, ist also etwas anders als Nostalgie. Das Gefühl, dass früher vieles besser war, ist in Deutschlan­d recht verbreitet. Zumindest antwortete­n in einer Bertelsman­n-Studie auf die Frage, ob die Welt früher ein besserer Ort war, von den mehr als 10.000 befragten EU-Bürgern mehr als 61 Prozent der Deutschen mit „Ja“. Nostalgie ist ein Sich-Wegwünsche­n aus der Gegenwart, ein Impuls zur Flucht vor den zahlreiche­n Zumutungen des Daseins. Die Melancholi­e hingegen ist stoischer. Sie akzeptiert, was ist, und brütet eine Weile darüber. Dafür bieten die dunklen Wochen Gelegenhei­t.

Und so sicher, wie alles vergeht, endet auch der November.

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