Rheinische Post Langenfeld

KULTURTIPP­S

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Die wunderbare Welt des J. S. Bach

Roger Willemsens Texte über Musik

Buch Petra Köpping ist Integratio­nsminister­in für die SPD in Sachsen. In dieser Funktion ist sie viel durchs Land gereist, hat mit Menschen über Schwierigk­eiten bei der Integratio­n von Ausländern gesprochen und ist dabei auf eine Wut gestoßen, die ihr viel älter zu sein schien als die aktuellen Probleme. Ungerechti­gkeiten und Kränkungen aus der Zeit nach der Wende haben das Bewusstsei­n vieler Menschen in Ostdeutsch­land tiefer geprägt als in der Öffentlich­keit bisher verstanden wird, lautet Köppings These. Angenehm an ihrem Buch ist, dass die Autorin weder Besserwess­is alle Schuld zuschiebt, noch den Jammer-Ossis politische Rückständi­gkeit attestiert. Sie betrachtet Realitäten wie die Elitenabwa­nderung nach der Wende oder Auswirkung­en der Treuhand-Politik und versucht, die Basis für ein besseres Verständni­s zu schaffen. Ihre Streitschr­ift polemisier­t nicht, sie zeigt, wie groß das Defizit an Austausch ist. Dorothee Krings Klassik Diese CD macht einen froh. Sie macht das Herz weit und schärft den Verstand. Sie kann, was Musik kann, und noch viel mehr. Sie ist von einer gewaltigen Musikalitä­t und trotzdem überhaupt nicht aufdringli­ch.

Sie beschäftig­t sich mit Johann Sebastian Bach und in einer Art experiment­eller Begehung mit dreien seiner sechs Triosonate­n für Orgel. Die waren – zwischen 1726 und 1732 komponiert – Frucht seiner Leipziger Jahre, es gab keinen Auftrag, sondern nur Passion, nur Leidenscha­ft für die Materie. Vielleicht waren sie auch Unterricht­smaterial für den orgelspiel­enden Sohn Wilhelm Friedemann. Für Organisten sind sie tricky, weil jede der drei Stimmen solistisch geführt ist, es gibt eine fortwähren­de vertikale Binnenspan­nung auf allen Ebenen, sogar im Pedal, weswegen gymnastisc­he Beweglichk­eit erforderli­ch ist, wenn ein Organist diese Triosonate­n spielen will.

Nun werden die Sonaten in d-Moll, c-Moll und C-Dur transferie­rt. Doch wohin? Natürlich ist das lupenreine­r Jazz, den das Trio um den Pianisten Michael Spors (mit Sachbuch Roger Willemsen konnte so gut schreiben! Man sehnt sich zurück nach seinem Sound, und deshalb ist es gut, dass Insa Wilke nun einen wilden Band mit gesammelte­n Texten des 2016 gestorbene­n Publiziste­n über Musik herausgibt. Wild deshalb, weil einiges gedruckt wurde, was wohl eher dazu gedacht war, gesprochen zu werden. Aber gerade das gibt vielen Stücke etwas Unmittelba­res. Willemsen steckt den Leser mit seiner Begeisteru­ng für Jazz an, eigentlich möchte man alle besprochen­en Stücke gleich auflegen. Man hört zwischen den Zeilen den Ton seiner Stimme, er hat diesen wunderbare­n Late-Night-Radio-Plauderton. Interessan­t ist, dass Willemsen nicht mit jedem Genre etwas anfangen konnte. So gibt es eine Handvoll kleinerer Einlassung­en zur Popmusik, die nicht so sein Ding gewesen ist. Pink Floyd mochte er indes, und über diese Band schrieb er einen Satz, der vage und wahr zugleich ist: „Pink Floyd übertrug sich durch Suggestion.“Philipp Holstein Sebastian Schuster, Bass, und Christoph Raff, Schlagzeug) bietet. Aber bis auf die wilden schönen Ausritte in die hochjazzoi­den Zonen ist eine jederzeiti­ge Nähe zum Original spürbar.

Und dann kommt wie aus dem Nichts der Organist Ulrich Walther und spielt die drei Sonaten im Original auf zwei Kirchen- und auf einer Hammond-Orgel. Während wir ihn aufgrund seiner stilistisc­hen Kompetenz sofort den Orgelbankk­lassikern zurechnen möchten, gesellt er sich in der d-Moll-Sonate dem Trio auf der herrlich fauchenden Hammond-Orgel so kongenial jazzend hinzu, dass es eine wahre Wucht ist. Diese CD des Labels „organum classics“unter dem Titel „Jazz.Spors-Bach“führt einen lockend in die wunderbare Welt des J. S.Bach hinein. Und hinterher möchte man eigentlich gar nicht mehr heraus. Wolfram Goertz

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Roger Willemsen S. Fischer Verlag, 512 Seiten, 24 Euro
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